Am 10. Mai 1933 beginnen die Nazis die Kampagne „Wider den undeutschen Geist“. Tausende Bücher vor allem jüdischer Autoren, aber auch anderer politisch unliebsamer Schriftsteller, werden verboten und öffentlich verbrannt. Von Helmut Ortner.
Die Szenerie ist sorgfältig geplant: mit Fackeln zieht die auf mehrere tausend Menschen angewachsene Menge los, über das Oranienburger Tor, die Hannoversche, die Luisen- und die heutige Reinhardtstraße, geht es zum Reichstag, dann durchs Brandenburger Tor zum Opernplatz. Vorneweg Professoren in Talaren, dahinter NS-Studierende, SA, SS, Burschenschaften und Hitlerjugend. Auf dem Platz ist ein Holzstoß aufgeschichtet worden. Benzinkanistern stehen bereit. Ein Lastwagen karrt mehr als 20.000 Bücher herbei.
Um 23.30 Uhr werfen die ersten die Werke besonders verhasster Autoren ins Feuer, begleitet von vorgegebenen »Feuersprüchen«: „Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque! … Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs. Für die Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!“. Nun werden die Bücher stapelweise von den Lastwagen ins Feuer geworfen. Auch Propagandaminister Goebbels ist inzwischen erschienen. Er zeigt sich „vor dem Scheiterhaufen der von Studenten verbrannten Schmutz- und Schundbücher“ bei seiner Rede „in bester Form“, wie er später in seinem Tagebuch notiert. Mit seinem Auftritt gibt er dem Autodafé einen fast staatlichen Anstrich. Eine Blaskapelle der SA spielt »Volk ans Gewehr«, anschließend das »Horst-Wessel-Lied« und die Menge stimmt lauthals ein.
Erich Kästner, einer der geächteten Autoren, schreibt später: „Ich stand eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation und sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen.“ Werke von Heinrich Heine, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.
Verbrennen und Verbannen
Am Morgen danach sind Bücher nur noch ein rauchender Aschehaufen. Nicht nur in Berlin. Man versammelt sich am Wilhelmsplatz in Kiel, am Greifswalder Marktplatz, an der Bismarcksäule in Hannover und in weiteren Universitätsstädten. In München ziehen Studierende sowie mehrere tausend Schaulustige in einem Fackelzug durch die nächtlichen Straßen. Kurz vor Mitternacht versammeln sie sich am Königsplatz, darunter auch der bayerische Kultusminister Hans Schemm. In mehr als zwanzig deutschen Universitätsstädten versammeln sich Studenten, Professoren, Parteigenossen und Bürger zur öffentlichen Bücherverbrennung. In Hamburg findet die Verbrennung wegen starken Regens erst am 15. Mai am Kaiser-Friedrich-Ufer statt.
Sie sind der Höhepunkt der vierwöchigen Aktion »Wider den undeutschen Geist«, deren Ziel die Vernichtung des deutsch-jüdischen Geisteslebens. Schon Wochen zuvor werden an Universitäten hetzerische Plakate aufgehängt, die jüdische Mitbürger als »Widersacher« des deutschen Volkes bezeichnen, zur Reinerhaltung der deutschen Sprache auffordern und deutsche Hochschulen als »Hort des deutschen Volkstums« preisen. »Schwarze Listen« werden erstellt und die zu verbrennenden Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen ausgesondert. Autorinnen und Autoren ebenso Professoren von Hochschulen, an deren Gesinnung gezweifelt werden denunziert, beispielsweise durch das Aufstellen von öffentlichen Schandpfählen mit ihren Namen und Werken gebrandmarkt. Hetze und Hatz greift um sich. Nirgendwo regt sich hörbarer Protest. Das Verbrennen und das Verbannen vollzieht sich reibungslos und mit offener oder stiller Zustimmung. Auch noch Monate nach dem 10. Mai 1933 werden unter anderem durch die Hitlerjugend und Schulbehörden weitere Bücher verbrannt. Insgesamt sind 102 Bücherverbrennungen in über 90 deutschen Städten dokumentiert. Eine schauderhafte Bilanz.
Der Buchhandel begrüßt die »nationale Erhebung«
Wie viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller von der Verbrennung ihrer Werke betroffen waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Doch der 10. Mai 1933 war nicht das Finale, es war der Beginn der Auslöschung unliebsamer, »undeutscher« Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Dafür sorgte eine ständig erweiterte »Schwarze Liste«, die im Mai 1933 bereits 131 Namen der »Schönen Literatur« und 141 Autorinnen und Autoren der »Politik- und Staatswissenschaften« umfasste. 1939 enthielt die »Liste Nummer 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« akribisch aufgeführt 4.175 Einzeltitel und 565 Verbote von Gesamtwerken.
Da wollte auch der im »Börsenverein« organisierte deutsche Buchhandel nicht mehr im Abseits stehen. Schon am 12. April hatten deren Vertreter ein »Sofortprogramm des deutschen Buchhandels“ beschlossen, indem es hieß: „Der deutsche Buchhandel begrüßt die nationale Erhebung. Er hat seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an ihren Zielen alsbald zum Ausdruck gebracht“. Woran die Buchhändler so bereitwillig mitarbeiten wollten, verkündeten sie wenige Tage danach in ihrem Verbandsorgan »Börsenblatt«, das alle unerwünschten, »undeutschen« Schriftstellerinnen und Schriftsteller alphabetisch nannte: Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig – und weitere 131 Namen. Für alle waren die Folgen verheerend. Schreibverbote wurden verhängt, Vortragstätigkeiten und Lesungen untersagt. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller flüchteten ins Exil, darunter Anna Seghers und Else Lasker-Schüler. Einige wie Stefan Zweig und Walter Benjamin nahmen sich dort das Leben. Andere wurden verhaftet, gefoltert und im KZ ermordet, so Carl von Ossietzky.
Die Bücher der Verfemten und Vergessenen die einst auf dem Scheiterhaufen des »undeutschen Geistes« in den Flammen loderten, sollten wir in unser Gedächtnis zurückholen, sie neu entdecken oder wiederentdecken. Wir sollten sie lesen!
Lese-Tipp:
Volker Weidermann
Das Buch der verbannten Bücher
Kiepenheuer & Witsch / btb Taschenbuch