Heinrich Heine als Journalist

Gescholten und bewundert, gepriesen und verabscheut, die Facetten der Heineinterpretation sind vielgestaltig. Spektakulär ist Heine auf jeden Fall gewesen, auch wenn sein Abtritt von der Weltbühne vor 150 Jahren alles andere war. Das Sein zum Tode, das Heidegger später als Existential seiner Seinsanalyse zugrundelegen wird, verstellte Heine nicht die eigene, von Schmerzen zerrüttete Lebenswelt, er überwand das Schicksal, in dem er es annahm; statt vita contemplativa reinste vita activa, reinste Schaffenskraft. Der am Lebensende erschienene Gedichtsband „Romanzero“ und das 1854 veröffentlichte politische Vermächtnis „Lutetia“ veranschaulichen dies nachhaltig. Die legendären, selbst Geschichte gewordenen Selbstbeschreibungen, die der Literat in den letzten acht Jahren von seiner „Matrazengruft“ aus liefert, zeigen die ganze Existentialität, das jähe und nie erlöschende Ringen mit dem Leben.

Kaum eine Persönlichkeit, von Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche einmal abgesehen, war ambivalenterer Natur als Heine. Er war Hellene, deutscher Klassiker und Romantiker in einem. Heine war aber auch Kosmopolit, Kommunist, Theologe, Dandy und vor allem Journalist. Marcel Reich-Ranicki nennt ihn gar den bedeutendsten Journalisten unter den deutschen Dichtern und begreift ihn als berühmtesten Dichter unter den Journalisten. Eher als Karl Kraus und Egon Erwin Kisch prägte, ja, kreierte Heine jenen idealen Journalismus, den man heutzutage in den Gazetten vermisst. Es ist nicht der Romantiker, der über das Zeitgeschehen lasziv reflektiert, sondern der scharfe Analyst, der Dialektiker des Geistes, der Lessing maßgebliche Impulse verdankte.

Der wahrscheinlich am 13. Dezember 1797 geborene und im Geist des Judentums erzogene Harri Heine, der erst nach seinem Bekenntnis zum Christentum 1825 zu Heinrich Heine wurde, bleibt der Erfinder aller journalistischen Genres. Getreu der Maxime, die in der späteren Phänomenologie zum Schlagwort wurde, wollte Heine nicht hinter den Phänomenen suchen, sondern zu den Sachen selbst kommen. Wollte man daher einen kategorischen Imperativ formulieren, der als Sollensanspruch seinem politischen Journalismus zugrunde gelegt werden könnte, so müsste er lauten: „Schreibe so, dass die beschriebenen Phänomene der Wahrheit entsprechen.“ Damit ist zugleich ein wesentliches Merkmal dieses Journalismus benannt: Wahrheit. Wahrheit bedeutet für Heine Authentizität und impliziert die Autonomie des Verfassers – seine Unbestechlichkeit. Als Journalist suchte er nicht nach der Hinterwelt, zu der er sich, er, der sich zum Kommunismus von Marx und Engels hingezogen fühlte, als theologisch-inspirierter und bibelfester Denker bekannte, sondern nach der Offenbarung des „wirklich Wirklichen“. Gott spielte, dies verstärkt sich noch im Alterswerk, eine bedeutende Rolle in Heines Denken, nur, in den Journalismus gehört er eben nicht.

Man würde den in Düsseldorf geborenen Heine falsch verstehen, reduzierte man sein Denken auf einen platten Atheismus, der alle theologischen Bezüge verleugnet. Heine war und blieb bis zum letzten Tag seines Lebens religiös, ein zivilreligiöser Denker, wenngleich er sich von jeder Religion distanzierte, die ihre Glaubenssätze in Dogmen fasste. Jede Vereinnahmung der Religion durch das Zwangskorsett der Kirche und durch ihre subalternen Hierarchien lehnte er kategorisch ab – „Deutschland, Ein Wintermärchen“ bleibt überzeugendes Beispiel hierfür.

Aber auch mit seinen „Die schlesischen Weber“ schreibt Heine Journalismusgeschichte, denn hier deckt er soziale Mißstände gnadenlos auf. Statt dem vielbeschworenen Gesinnungsjournalismus Tribut zu zollen, der auf das unmittelbare Tagesgeschäft abzielt, ist Heine Verantwortungsethiker, der die Waffe des Schreibens bewußt einsetzt, um über soziale Mißverständnisse nicht nur aufzuklären, sondern auch auffordert, die Mißstände zu beseitigen. Die kritische Analyse des Zeitgeschehens, dieser frontale Angriff auf die despotischen Gesinnungsethiker und ihre politischen Intrigen zeichnet den scharf und präzis argumentierenden Journalisten Heine aus; die Sprache bleibt gezieltes Medium dauernder Provokationen, sie ist das kräftigste Mittel bei der Enttarnung jeder Schönhuberei.

Die radikal-inszenierte Kritik am politischen System endete, auch dies bleibt ein Phänomen, das im 21. Jahrhunderts die Journalisten provoziert, im Publikationsverbot, in der radikalen Zensur. Heine war unbeliebt, unbequem – ein kritischer Geist par excellence, dessen Wahrheitsempfinden nicht nur den braunen Machthabern später ein Dorn im Auge wurde, sondern auch all jenen, die Wasser predigten und heimlich Wein tranken. Die Bücherverbrennung, der Index, all dies nur Resultate eines politischen Despotismus, der sich jeder kritischen Zeitanalyse verschloß.

Die Radikalität des Schreibens, die eineindeutige Argumentation im Geschriebenen, die Authentizität der dargestellten Phänomene, dies ist es, was man im 21. Jahrhundert von Heine lernen kann, Zeichen eines Journalismus, der sich den Idealen der Aufklärung und des Humanismus gegenüber verpflichtet wußte, dem das geschriebene Wort damit zur politischen Tat wurde, ja, zu einer Revolution des Denkens führen sollte. Heine war also kein Literat, der sich auf den a-politischen Diskurs zurückzog, kein Denker des Unpolitischen. Der Lyriker, der zugleich mit der romantischen Tradition bricht, blieb Reporter im idealen Sinn, der – auch heute noch – aus Bagdad, Islamabad oder aus irgendeiner Krisenregion authentisch berichten könnte. Heine war, und dies zeichnet ihn aus, Anwalt der Armen, Anwalt der Entrechteten und Unterdrückten – ein Grund mehr, sich mit seinem Werk erneut und intensiv auseinanderzusetzen. Seine Berichte, die er für die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ schreibt, die Beschreibung der französischen Zustände lassen Heine aber auch zu einem Denker werden, der zwischen den Kulturen vermitteln will. Interkultureller Diskurs, Aussöhnung und eine friedliche Globalisierung der Lebenswelt bleiben Heines letztes Wort, dies sein europäisches Vermächtnis, dies sein übernationaler Geist. Heine wurde immer vorgeworfen, dass er keine Heimat hätte, Heine ist und bleibt Kosmopolit.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2155 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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