Am Montag war es ein Machtwort mittels Richtlinienkompetenz: Mit einem Brief des Bundeskanzlers wurden die drei Minister Habeck, Lindner und Lemke angewiesen, drei Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 laufen zu lassen. Nur so ließ sich der monatelange Streit der Ampel um die Restlaufzeit der Kernenergie in Deutschland auflösen. So ein Vorgehen kann man in einer Regierung nicht allzu oft wiederholen. Danach kommt eigentlich nur noch die Vertrauensfrage – oder gleich das Ende der Regierung.
Aber es gibt noch subtilere Formen des Ausbremsens und des Überfahrens in einer Koalition. Der mutwillig herbeigeführte Ablauf von Fristen gehört dazu. So etwas kennen wir aus dem Cum-Ex-Skandal, als der Hamburger Senat einfach die Verjährung einer Steuerschuld der Warburg-Bank in Höhe von 47 Millionen Euro eintreten lassen wollte. Einen ähnlichen Fall erleben wir in diesen Tagen auf der Berliner Bühne, und wieder geht es um Hamburg. Die dortige Hafengesellschaft will das chinesische Unternehmen Cosco mit 35 Prozent an einer Terminalgesellschaft beteiligen. Da es sich um kritische Infrastruktur handelt, muss die Bundesregierung den Erwerb genehmigen. Sechs Bundesministerien sind dagegen, die Sicherheitsbehörden warnen, ebenso die EU-Kommission. Die Entscheidung sollte in dieser Woche vom Bundeskabinett getroffen werden. Der Bundeskanzler aber will die Beteiligung unbedingt, er reist schließlich in der übernächsten Woche zum ersten Mal als Bundeskanzler nach China. Also wird die Entscheidung kurzerhand von der Tagesordnung des Bundeskabinetts genommen, denn die Untersagung will Scholz keinesfalls, die Beteiligung soll als Morgengabe ins Reisegepäck.
Da passt es gut zusammen, dass die Frist zur Untersagung am Montag, den 31.10.2022 ausläuft. Ist der Erwerb bis dahin nicht untersagt, gilt er als genehmigt. Also muss der Bundeskanzler nur noch dieses Datum erreichen – just den Tag, an dem seine Chinareise beginnt. Die Chancen stehen gut, denn auch der Bundestag kommt erst in zwei Wochen wieder zusammen.
So kann der Bundeskanzler sein Ziel erreichen, auch wenn alle wesentlichen Mitglieder seines Kabinetts anderer Meinung sind. Da ist ein erneuter Brief gar nicht notwendig. Richtlinienkompetenz durch Nichtbefassung könnte man den Vorgang nennen.
Aber unserem Land erweist der Bundeskanzler mit diesem Regierungsstil gleich in mehrfacher Hinsicht einen Bärendienst. Zum einen gibt er sein Kabinett der Lächerlichkeit preis. Wenn es darauf ankommt, haben sie nichts zu sagen. Zum anderen verweigert er – wie so oft – ganz einfach eine öffentliche Begründung für seine Haltung. Und zum dritten: Dieser Erwerb an der Terminalgesellschaft berührt zutiefst die Sicherheitsinteressen unseres Landes. Ein chinesischer Staatskonzern bekommt mit dieser Beteiligung Zugang zu wesentlichen Daten des Frachtverkehrs im Hamburger Hafen. Und das exakt zu dem Zeitpunkt, an dem die Kommunistische Partei in China ihren aggressiven Ton in der Außenpolitik erneut verschärft und mit einem Krieg gegen Taiwan droht.
Hat der Bundeskanzler aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts gelernt? Sieht er nicht, wie sich die Muster ähneln? Ist die Beteiligung der Chinesen an einem wesentlichen Teil unseres größten Seehafens genauso eine „rein privatwirtschaftliche Angelegenheit“ wie NordStream 2? Und wenn er das alles so sieht: Welche Selbstachtung hat eigentlich dieses Bundeskabinett, das sich innerhalb von einer Woche gleich zweimal so vorführen lässt?
PS: Im Podcast „Bei Anruf Merz“ erhalte ich am Ende jeder Sitzungswoche im Bundestag einen Anruf von der Journalistin und Moderatorin Shary Reeves. Zusammen erörtern und analysieren wir die wichtigsten Themen der Bundestagssitzungen. Hören Sie doch gerne mal rein: cducsu.de/podcast/bei-anruf-merz
Quelle: MerzMail