„Unverblümt. Floriferous“ heißt seltsamerweise die neue Sonderschau des „Schatzhauses am Eisbach“, wie Direktor Frank Matthias Kammel seine Institution gerne nennt. Alten Exponaten wurden einige neue hinzugefügt. Kammel macht neugierig, wer die von ihm hierfür eingeladene Künstlerin Keiyona C. Stumpf ist. Eine deutsch/englische, mit der Kuratorin Katharina Hantschmann herausgegebene Publikation von „60 Seiten mit zahlreichen Abbildungen“ würde das klären können – sie ist aber noch nicht greifbar. Niemand vom Bayerischen Nationalmuseum weiß, wann sie erscheint.
So viel ist bekannt: Keiyona C. Stumpf ist als junge Keramik-Künstlerin „vielbeachtet“. Sie setzt ihre Kreationen „in eine spannungsreiche Beziehung zu hochkarätigen Kunstwerken des Museums“, gibt Kammel bekannt. Es gehe da um „Gebilde“, „die vielfach bizarren Gewächsen oder verwunschenen Organismen gleichen“, mit denen die Künstlerin den Besucher „überrasche“ und „zu neuen Seherlebnissen“ herausfordere.
Um sich darauf einzulassen, muss man die Säle 23 bis 46 des Bayerischen Nationalmuseums durchstreifen. Einem Pfeil folgend und mit einem Lageplan in der Hand, wird man zu gut zwanzig Stationen geführt, an denen Werke der besagten Keiyona C. Stumpf anzutreffen sind. Den Weg dorthin zu finden, macht Mühe. Die Orientierung ist nicht einfach. Die Werke tragen durchwegs englische Namen: Figurine I, Crown, Shrine, Wild Once, Cascade – diese und andere sind meist glasierte Porzellane oder glasierte Kunststoff-Gebilde. Auf rot unterlegten Tafeln werden die auffälligen Beigaben zu meist barocken Kunstwerken unterschiedlicher Art erläutert: zu Bronzen, Möbeln, einem Gitter, Plastiken, Malereien. Dieser alten Kunst verleihe laut Flyer „das verstörende Gegenüber eine neue Sichtbarkeit“. Es sei möglich, in einen „anspruchsvollen Dialog“ zu treten, will heißen: Zwiesprache zu halten.
Es ist nicht leicht, diesen Ansprüchen zu genügen. Stumpfs meist üppigen, ausladenden Kreationen aus den Jahren 2010 bis 2022 ist durchaus hohe Kunstfertigkeit bestätigen. Man wüsste jedoch gern, was die verschlungenen Gebilde bedeuten, wie sie produziert wurden, ob die Künstlerin das barocke museale „Pendant“ bei ihrem Schöpfungsakt unmittelbar vor Augen hatte oder ob ihr eine Abbildung davon vorlag. Insbesondere interessiert den Besucher, wie sie sich den „Dialog“ vorstellt. Sie sei hierzu einesteils von der „Schönheit“, andern Teils von der „Komplexität der Natur“ inspiriert gewesen.
Wo bleibt bei alledem das Unverblümte? Wer unverblümt spricht oder sich unverblümt verhält, nimmt sich etwas für sich kein Blatt vor den Mund. Ist jemand unverblümt, gilt er als „geradeheraus“, vielleicht sogar kess und sagt ohne Umschweife und falsche Scham, was er denkt.
So mag man als Besucher dieser „Beigaben“-Schau (außer Montag täglich von 10 bis 17 Uhr bis 15. Oktober) seine liebe Not haben. Die Frage bleibt: Braucht der längst verstorbene Schöpfer der Bronzestatue des heiligen Bartholomäus die „Ergänzung“ durch die heute lebende Künstlerin? Gewinnt die alte Heiligen-Darstellung durch die rezente „Beigabe“ an Bedeutung, Aussage, an Wert? „Spricht“ sie nicht auch „ganz ohne“ Zusatz den Beschauer an? Hilft da ein Zwiegespräch weiter? Nicht anders ist es im Hinblick auf den kindlich-barocken Gott Bacchus, dem die Keramikerin „geflügelte Wesen aus Porzellan“ zur Seite stellt.