„Metamorphosen“ – kein ungewöhnliches Thema für die vielfach prämierte zeitgenössische Fotografin Herlinde Koelbl. Sie zeigte schon in ihrer „Portrait“-Serie, wie sich Geschaffenes im Zeitraum von einem Jahrzehnt verändert: der Mensch Angela Merkel. Nun wandte Koelbl sich dem Reich der Blumen zu. Ob in Chikago oder Tokio unterwegs – stets hat die 84-Jährige Grande Dame der deutschen Photographie ihre Kamera dabei, die sie noch immer auf das erstaunlichste handzuhaben weiß. Nur: Das Bayerische Nationalmuseum (BNM) ist auf den ersten Blick nicht unbedingt die am besten geeignete Institution, ihre sagenhaften, in den prächtigsten Farben leuchtenden, staunenswert vergrößerten Blüten samt gelegentlicher Besucher aus der Kleintierwelt zu präsentieren.
Auf den zweiten Blick jedoch – man kommt eigentlich erst ganz zum Schluss des Rundgangs durch die Sonderausstellung im ersten Geschoss darauf – wird das Thema „Vergänglichkeit“ zwischen zwei der Vergangenheit und ausdrücklich zugleich dem Museum angehörige „Bilder“ eingespannt: auf der einen Seite ein farbenfroher, vor Lust und Leben überströmender, nur ein paar Jahre alter mexikanischer „Lebensbaum mit Sündenfall“ aus der Sammlung der Volkskundlerin Gertraud Weinhold, auf der anderen die dem BNM-Depot entstiegene hölzerne Skulptur „Der Tod auf dem Löwen“ von 1513.
Herlinde Koelbls künstlerische Arbeiten „stehen insbesondere für das Interesse am Menschen und seiner von Zeit und Lebensumständen beeinflussten optischen Wandlung“. So ist im Ausstellungs-Flyer zu lesen. Und: „Ihre neueste Werkgruppe entbehrt jedoch Gestalt und Gesicht des Menschen. Stattdessen fokussiert sie die Welt der blühenden Natur“. Die ins Foto gefasste vielfältige Flora dieser Erde könnte unter dem Motto „Zu schön, um zu sterben!“ stehen. Alles was heranwächst, ist ja dem Wandel unterlegen, „dem Werden, Vergehen und Entstehen und damit dem Leben“.
Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend,
Schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen,
Und in der Weite der Welt geht nichts – das glaubt mir – verloren;
Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden
Heißt nur, anders als sonst anfangen zu sein, und Vergehen
Nicht mehr sein wie zuvor.
Davon ist bei Ovid, und zwar in seinen „Metamorphosen“, zu die Rede. Daher also der schon ein wenig abgegriffene Ausstellungs-Titel. Herlinde Koelblließsich von dem alten römischen Dichter zu ihren jüngsten Kreationen anregen. Die von ihr gewählten Motive unterschiedlichen Ausmaßes bekommen, je mehr man sich in sie vertieft, Zeitlosigkeit. Sie werden immer abstrakter. „Die Zukunft“, lehrt die versierte, philosophisch denkende Fotografin, „liegt im Wiederwerden“. Das heißt: Nichts stirbt endgültig, alles wird wieder. Die Natur ist hierfür die beste Zeugin. Welch unerwartete Schönheiten sie hervorbringt, ist immer wieder aufs Neue zu bestaunen. Wie stark das, was von Herlinde Koelbls Videokamera eingefangen wurde, in den Bereich der Meditation hineinreicht, zeigt sich an dem 21 Minuten dauernden Videoloop, der in Zusammenarbeit mit Benjamin Krieg entstand. Er wird in einem separaten hinteren Zimmer gezeigt. Wer hierzu keine Zeit mitbringt, ist selbst daran schuld. Auf jeden Fall sollte er sich, wenigstens kurz, in den „Remember“-Raum begeben und genau zuhören, woran er sich erinnern soll.
Zeit dazu ist bis 8. Oktober. Das Begleitbuch „Metamorphosen“ ist für 45 € im Museumshop zu haben. Die Ausstellung gilt als Beitrag zum „Flower Power Festival München 2023“.