Sonderausstellung „Verdammte LUST! Kirche. Körper. Kunst“ auf dem Freisinger Domberg: Rühr mich nicht an!

Giovanni Battista Caracciolo, gen. Battistello, 1618-20: „Noli me tangere“, Öl auf Leinwand, Leihgabe aus dem Museum Prato , Foto: Hans Gärtner

Die Sonderausstellung „Verdammte LUST! Kirche. Körper. Kunst“ auf dem Freisinger Domberg greift mit üppigen Kunstwerken von der Antike bis heute   das schwer belastete Verhältnis von Religion und Sexualität auf   

Jesu Jüngerin Maria Magdalena hielt den gerade Auferstandenen für den Gärtner. Als dieser sie ansprach, wollte sie ihn berühren. Er verwehrt es ihr: „Rühr mich nicht an!“ Zu den vielen Malern, die diese Szene aus dem Johannesevangelium illustrierten, zählt Caracciolo mit seinem 500 Jahre alten Gemälde „Noli me tangere“. Jesu attraktiver Oberkörper ist entblößt, sein sinnlicher Mund halb geöffnet. Maria von Magdala greift nach ihm,  und zwar gezielt nach seinem Schritt. Auch ihr Mund ist geöffnet. Ihr Blick verrät Verzückung. Ist Jesus nicht auch affiziert, dem Reiz der Schönen verfallen?

Verdammte Lust! Verflixt und zugenäht! Hat sie nicht zwei Gesichter? Ist das Begehren nicht ambivalent? Die Frau ein Subjekt? Der Mann ein Objekt? Oder umgekehrt? Die Kunstwerke dieser famosen Schau mit 150 Exponaten aus 2000 Jahren erzählen, „wie der Mensch in seiner Körperlichkeit und damit auch als sexuelles Wesen von der Religion, insbesondere vom Christentum gesehen wird“, so Diözesanmuseumschef Christoph Kürzeder. Durch acht Abteilungen mit umwerfenden Highlights – das ergreifendste ist  wohl Michelangelos nackter Chrisuskörper – stürzt der Besucher von Glanzpunkt zu Glanzpunkt und denkt: O Himmel, so viel wird hier gewagt! So viel, was sonst nur hinter vorgehaltener Hand besehen wurde, um rasch wieder wegzuschauen, öffnet sich kühn und ohne Verbot und Vorbehalt. So wie die Kirche, die katholische, sein sollte: fleischliches Begehren zulassen, als gottgegeben erachten, nicht nur zur Fortpflanzung, auch zum Genuss des Liebens und Lebens freigeben. Zur „LUST“ um ihrer selbst willen.

Man staunt und ist freudig erregt. Gemälde, Skulpturen, Grafiken, Artefakte – Objekte der Volksfrömmigkeit ebenso wie solche aus vorrömischer Antike, fast gar nichts aus der Gegenwartskunst. Schwerpunkt: das Mittelalter bis um 1800. Der schamlose, sündige, sinnliche, reine, verbotene, erlaubte, verletzte menschliche Körper wird thematisiert. Am Ende das Bekenntnis: „Es bleibt schwierig“. Die Ausstellung, von Kardinal Reinhard Marx und Ex-Generalvikar Peter Beer vor fünf Jahren angeregt, verstehe sich als „Beitrag zu einem  aktuellen Diskurs, der so herausfordernd wie unumgänglich“ sei.

Fünf Zimelien aus 150:

* Artemisia Gentileschi: „Susanna und die beiden Alten“, 1610: Die Malerin sieht sich als wehrloses Lustobjekt. Sie selbst war Opfer von Sexual-Gewalt. * Sebald Beham: „Tod und laszives Paar“, 1529: Allegorische Verdichtung des Sündenfalls, mit dreister Geste Evas, die Adam ans Gemächt greift

* Hans Memling: „Allegorie der Keuschheit“, 1480: Als uneinnehmbare Festung thront eine Jungfrau im Fels, bewacht von zwei starken Löwen

* Hl. Sebastian, Süditalien, um 1750: „Erstaunliche Version“ des jugendlich-unschuldigen, total nackten Märtyrers, der zum Männerschwarm wurde

* Leonardo da Vinci: „Angelo incarnato“, 1513-15: Erst nach langem Schauen ist ein Busen und das erigierte Glied des Engels zu erkennen

Spricht der Blick dieses verschüchterten Androgynen nicht stumm die Worte „Rühr mich nicht an!“? Vielleicht hilft es, beim Besuch sich dieses – oder ein anderes – Thema zu wählen, um der Fülle des großartigen Angebots Herr zu werden. (Bis 29. Mai, täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, phantastisch bebilderter und getexteter Katalog 80 €)

Giovanni Battista Caracciolo, gen. Battistello, 1618-20: „Noli me tangere“, Öl auf Leinwand, Leihgabe aus dem Museum Prato , Foto: Hans Gärtner

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.