Das Münchner Stadtmuseum und die Kunsthalle machen in einem Gemeinschafts-Unternehmen immensen Ausmaßes aus der Not eine Tugend: Der noch etliche Jahre währende Umbau des Stadtmuseums gibt dazu Gelegenheit. Seine überreichen einzigartigen Schätze an „Jugendstil – made in munich“ finden eine willkommene Herberge auf Zeit in der Theatinerstraße 8, bei Kunsthalle-Direktor Roger Diederen.
Er gibt der längst fälligen Mega-Schau der Sammlungen vom Jakobsplatz genügend Raum. Bei ihm können sie sich so toll-dreist und beinahe unverschämt verschwenderisch ausbreiten. Angefangen bei Wohnzimmer-, Küchen- oder Bibliotheks-Mobiliar der Wohlhabenden bis zu rekonstruierten Haus-Fassaden ehrgeiziger Schwabinger (eklatantes Beispiel: das einstige Hof-Atelier „Elvira“), von der Türkis-besetzten Brosche Karl Rothmüllers von 1910 bis zu den eine lange Wand schmückenden Titeln der Münchner illustrierten Wochenschrift „Jugend“, die der Kunst-Epoche den Namen gab. Die Ausgabe vom 29. Januar 1900 druckte Fritz Erlers in der Ausstellung breitwandig zu sehendes Riesengemälde „Rübezahl auf Reisen“ ab. Eine Schau für sich, von der man sich, gar als Märchenfreund, nur schwer löst.
Man wird nicht fertig mit der Aufzählung der die Kunsthalle füllenden, auf großartige Weise komponierten und geradezu erzählerisch fungierenden Exponate. So wie man es kaum schafft, sie alle in einem einzigen „Rundgang“ ins Auge zu fassen. Es sind zu viele. Und zu diverse. Große und winzig kleine. Die 480 Gemälde, Gläser, Wandbehänge, Kleider, Schmuckstücke, Stoffmuster, Stühle, Teppiche, Bucheinbände sind nur in einer sich von den Besuchenden selbst auferlegten Auswahl wahrzunehmen.
Man staunt über so viel Üppigkeit, die vor 130 Jahren eigentlich gegen den Überschwang des schwülstig-plüschigen Historismus emporwuchs, besser: wucherte, um, wie Stadtmuseumskurator Nico Kirchberger sagt, „das Leben mit Kunst zu durchwirken, es zu ästhetisieren“. Carl Strathmanns Furcht einflößende freche Medusa mit dem Schlangen-Haarkranz, Hermann Obrists sich in Gelbgold schlängelndes gesticktes Alpenveilchen, Hermann Gradls frisches Grün ausstrahlender Wandbrunnen mit Fischen von 1899 – es gibt hier kaum etwas ohne Natur-Vorbild. August Endells Bücherregal aus demselben Jahr kommt ohne ein welliges Gekräusel als Blickfang nicht aus. Alles ist von der Natur abgeschaut. Das Florale des in München „geborenen“ Jugendstils ist in jeder nur denkbaren Farb- und Form-Facette anzutreffen. Zur Erheiterung und Erhebung des Gemüts. Dabei wurde die Natur nicht kopiert, vielmehr wurden nach ihren Prinzipien eigene Gestaltungen erfunden.
„Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden“ steht in Großbuchstaben unter dem Holz-gerahmten, mit bemaltem Stuck verzierten Gemälde „Garten Eden“ von Richard Riemerschmid, Öl auf Leinwand, 1900. Wenn man sich ein „Bild“ von dieser grandiosen Schau in Erinnerung behalten sollte, dann dieses. „Der Baum des Lebens ist aus dem Zentrum gerückt, sein zuvor strahlender Nimbus ist zur feinen Lichtlinie geworden, die grell-expressive Farbigkeit zu einer herbstlich-warmen Idylle gedämpft“, heißt es dazu im des Anschaffens werten schmucken Katalog des Deutschen Kunstverlags (in der Kunsthalle 29, im Buchhandel 49 Euro). Wer es eher märchenhaft-lustig als biblisch-verklärt möchte: bitteschön! Schönstes Beispiel, geliefert von Ernst Fuchs im Jahr 1906, ist dessen 55 x 30 x 23 cm große Faun-Büste aus Gips: der volkstümlich märchenhafte Wonnebrocken eines nackten Waldgottes.
Die gewiss Furore machende Ausstellung läuft bis 23. März, täglich von 10 bis 20 Uhr.