München wird zur modernen Theaterstadt

Farblithographie für ein Kleinplakat des Münchener Künstler-Theaters von Emil Orlik, 1910, Foto: Hans Gärtner

Sie haben Eile. Die „Lange Nacht der Münchner Museen“ steht an. Zwei Mitarbeiterinnen des Museumspädagogischen Zentrums richten den großen Saal im Obergeschoss des Deutschen Theatermuseums in der Galeriestraße am Münchner Hofgarten neu ein. Ein Fries mit märchenhaft lustigen Schattenfiguren und dem Label SSS ziert den Eingangsbereich. SSS – was soll das denn heißen? Das habe etwas mit Schwabinger Schatten-Spielen zu tun, ist die Antwort. Aha. Schwabing und Schatten und Spielen passen gut zusammen und zur Kabinett-Ausstellung im Eingangs-Bereich.

Hier geht es um fünf „Spielorte des Münchner Jugendstils“. Eine ganz besondere Schau. Sie wurde lehrreich und unterhaltsam mit Plakaten, Theaterzetteln, Handschriften, Briefen, Künstlerfotos, Bühnenbildern und Spielplänen – alles vom Beginn der vor-vorigen Jahrhundertwende – ausgestattet und von Christoph Sauter sehr „jugendstilig“ beschwingt gestaltet. Birgit Kadatz-Kuhn kuratierte das Ausstellungs-Gut als wichtigen Beitrag zur Jugendstil-Stadt München, eine von drei europäischen Großstädten, die um das Jahr 1900 Wert darauf legten, das Naturalistische und Illusionistische der Bühnenkunst zugunsten einer neuen Sichtweise aufzugeben. Wie in Paris und Wien, wo ein Umbruch der Theaterästhetik bereits sichtbar geworden war: „Quer durch die künstlerischen Disziplinen wurden Stimmen nach einer Erneuerung der Bühnenkunst lauter“. So Kadatz-Kuhn.

Sie kann das alles exemplarisch an fünf Spielorten Münchens aufzeigen: am Prinzregententheater, am Schauspielhaus (heute: Münchner Kammerspiele), am Hinterhof-Vereinslokal der bissigen Elf Scharfrichter, am Schwabinger Schattentheater, schließlich am „Münchener Künstler-Theater“ auf der Theresienhöhe. Bleiben wir ein wenig bei diesem heute leider nicht mehr existenten Bau des großen Architekten Max Littmann, der das Schauspielhaus entwarf und Zuschauer-gerecht ausgestaltete.

Das Künstler-Theater wurde am 17. Mai 1908 eröffnet – im Rahmen der Ausstellung „München 1908“, einer Leistungsschau zur 750-Jahrfeier der Stadt. Weg mit all dem verstaubten „Kulissenkram mit gepappten Felsen und Leinwandhäusern!“, rief Littmann aus. Jetzt gab es unter dem Einfluss des Symbolismus Schattenfiguren, Farbwelten, Lichträume, Seelenlandschaften. Ein Ausspruch Littmanns ist an der weißen Wand zu lesen: „… wenn man durch ein solches `Künstler-Theater` . . .  vor aller Welt zeigt, was München zu bieten hat. Wenn wir diese Gelegenheit versäumen, besteht die Gefahr, dass Münchens Künstlerschaft bei der bevorstehenden Reform der Bühnenkunst der Berliner und Wiener Künstlerschaft gegenüber in den Hintergrund gedrängt wird“.

Neu war die sogenannte Reliefbühne in diesem Littmann-Bau, die der Theater-Magier Max Reinhardt sehr schätzte. Es kam dennoch nur zu acht Premieren. Das Publikum war weniger begeistert als erhofft, die Förderer waren wohl enttäuscht, der „Verein Münchener Künstler-Theater“ löste sich bereits 1909 auf. Operetten, Schauspiele, Tanzstücke standen dann auf dem Spielplan. 1928 kaufte die Stadt München das „Festspielhaus“, 1944 wurde der eine Zeitlang weitgehend leer gestandene Bau von Bomben zerstört und fünf Jahre später abgerissen.

Den bewegten „Lebensläufen“ aller fünf Spielorte kann der Besucher nach Lust und Laune, nach-gehen. Und Begegnungen mit historischen Mimen, Regisseuren, Musikern, Sängern haben. Bis in den März `25 hinein gibt es eine Gesprächsreihe, die sich „Spätschicht im DTM“ nennt. DTM? Deutsches Theatermuseum. – Die Ausstellung schließt am 23. März, sie ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

Über Hans Gärtner 490 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.