Mit der Laufmaschine fing alles an – 70 Exponate zur Kulturgeschichte des Fahrrads

Legende zum Foto: Leicht und juvenil: Richard Sappers und Francis Ferrains Faltrad, vor 25 Jahren in Italien kreiert ist eines von 70 Ausstellungs-Stücken. Foto: Hans Gärtner

Es war kein Bayer, der das Radl erfand, sondern ein Baden-Württemberger: der Karlsruher Forstbeamte Karl von Drais. Am 12. Juni 1817 probierte er auf der acht englische Meilen kurzen Strecke Mannheim – Schwetzingen seine hölzerne Laufmaschine auf zwei Rädern erstmals aus. Drehschemel-Lenkung. Balancier-Brett für die Unterarme. Durchschnittstempo: 15 km pro Stunde. Da lachte er jeden Pferdekutscher aus, vorausgesetzt, es ging bei ihm nicht nur flach dahin, sondern bergab.

Das Urmodell des Fahrrads ließ der adelige Wald-Experte bei einem Mannheimer Stellmacher namens Frey fertigen. Noch harrte die Erfindung der Verfeinerung, zum Beispiel durch den Kurbelantrieb mit Kette. Doch wer denkt`s? Es gab bald – neben Hoch- und Niederrädern – eigene Damenräder, die das damals noch so benannte schwache Geschlecht mit Vorsicht nützen musste. Mit weiten langen Röcken waren die Mädels gefährdeter als die Burschen mit ihren eng anliegenden Beinkleidern.

Der Weg von der „Draisine“ bis zum E-Bike, vor allem dem aus dem 3 D-Drucker, ist ein gefundenes Schau-“Fressen“ für alle Fahrradfans und die, die`s werden wollen oder müssen, um zur Arbeit abgasfrei zu pendeln und das Geld für immer teurer werdenden Treibstoff zu sparen. Münchens glücklich in der Pinakothek der Moderne gelandete „Neue Sammlung“ dreht mächtig auf und lässt mit der großen Radl-Schau keinen Wissen-Wunsch offen, was das am weitesten verbreitete Verkehrsmittel betrifft. Mit 70 Modellen ist für jede und jeden etwas dabei, das das Herz höher schlagen lässt.

Allein die vielen, detailliert bis ins Kleinste beschriebenen 70 Exponate, die, durchwegs ihrer Entstehungs- und Entwicklungs-Geschichte folgend, in echt gezeigt werden, beschäftigen die aus dem Staunen so schnell nicht mehr herauskommende Besucherschaft mindestens zwei Stunden. Wer als Radl-Fan schon einmal in Bad Brückenau sein konnte, um im einzigen Deutschen Fahrradmuseum im Reich der Kulturgeschichte des Draht-Esels oder Stahl-Rosses zu schwelgen, wird in München Bekannte treffen; denn viele Leihgaben haben die Franken nach München gehen lassen. Insofern also spielt Bayern durchaus mit, wenn`s ums Radl geht.

Doch muss, der Gerechtigkeit halber, gesagt werden: die Franzosen sind, was die Weiterentwicklung des Drais-Laufrades betrifft, am kreativsten. Das geht schon 1870 mit dem von Eugène Meyer gebauten Tretkurbelrad der Manufacture Francaise d`Armes et Cycles de Saint-Ètienne los und endet spätestens mit Paule Guerins Holzfahrrad von 2014 – womit wir wieder bei dem Material sind, das am Beginn der Fahrrad-Historie steht: Holz. Wie experimentierfreudig der Techno-Mensch sein kann, ist an fast jedem ausgestellten Modell ablesbar, das entweder Stahl oder Kunststoff, Karbon  oder Titan, Magnesium oder Aluminium als Baumaterial aufweist. Dass der Rahmen des Faltrads/Zoombikes von Richard Sapper und Francis Ferrain, gebaut 1998/2000 aus dem leichtesten der gängigen Metalle besteht, sieht man ihm auf Anhieb an. Die Manufaktur Elettromontaggi srl aus Massa Martana, Italien, hat es geschaffen. Leihgeber ist der Sammler Sebastian Jacobi, Bad Ems. Dufte, juvenil, ohne Schnickschnack, die reine Form. Auch gern von Damen bestiegen und betrieben.

Die Ausstellung „Das Fahrrad. Kultobjekt – Designobjekt“ wurde von Josef Straßer kuratiert und ist bis 22. September zu sehen, täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.

 

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.