Kain und Abel im finsteren Wald – Erster Gastauftritt des Wiener Kunsthistorischen Museums in Salzburg

Paolo Caliari, gen. Veronese (1528 bis 1588): „Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies“ (1580/1588). Foto: Hans Gärtner

Was wohl Adam und Eva nach dem Sündenfall so getrieben haben, fragte mal die Wochenzeitung „Welt am Sonntag“. Hätte der Reporter Paolo Caliaris Spätwerk aus den Jahren 1580/1588 gekannt, das das Wiener Kunsthistorische Museum aus der Sakristei von San Giacomo, Venedig, erhielt und nun an die Salzburger Residenzgalerie im DomQuartier ausgeliehen hat, wäre die Antwort gewesen: Viehzucht und Babysitillen in einem finsteren Wald. Der besser unter dem Namen Veronese bekannte Caliaris ist in der Ausstellung „Die Farben der Serenissima. Venezianische Meisterwerke“ mit seinem 124 x 175 cm großen Gemälde „Adam und Eva nach der Vertreibung“ zusammen mit einigen bedeutenden Werken seiner Kollegen aus der Zeitspanne von der Renaissance bis zum Rokoko, also von Tizian bis Canaletto, vertreten.

Besagtes Ölgemälde steht mit seiner „Verwendung kostbarer Farben, die neuartige, lockere Malweise sowie die erstaunliche Kontinuität von typischen Motiven“ der venezianischen Malerei jener Kunstepochen exemplarisch da. Es spricht für den Geschmack der Direktorin der Salzburger Residenzgalerie Andrea Stockhammer, die die Ausstellung chef-kuratierte, dass sie einen anderen Veronese, nämlich dessen circa 1582 geschaffene Ölbild „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ als Plakat-Motiv wählte. Licht und Dunkel sind hier, der Aussage der bei Oscar Wilde und Richard Strauss zu Salome und Jochanaan mutierten Erzählung entsprechend, in feinster malerischer Wiedergabe des Gehalts verteilt: Judith in strahlender Helle, in blonder, mädchenhafter Zopfhaartracht und brillantem Schmuck der reichen Prinzessin, den Blick versonnen und nachdenklich über das grausame Geschehen dargestellt. Im Gegensatz dazu: der von dem Mädchen sichtlich  „verdrängte“ Kopf des den Tod erlittenen Holofernes, wie auch die völlig ins Dunkel gerückte junge Magd, rechts im Bild.

Das beschriebene Gemälde reiht sich wie etwa auch Giorgiones „Krieger“ in die Abteilung „Dramatische Momente und innere Reflexion“ ein. Um bei Veronese zu bleiben: von ihm ist in die Abteilung „Mit Gefühl und Überzeugung“ die von ihm geschaffene „Anbetung der Könige“ gehängt worden. Die Niedergeschlagenheit im Gesicht der jungen Gottesmutter Maria überrascht, weil man eigentlich Freude über die Geburt ihres Sohnes erwartet. Judith und Maria – da sind Welten dazwischen, und der Maler findet dennoch eine Gemeinsamkeit. Theologisch sogar trefflich: Maria ahnt bereits die Leiden Jesu voraus.

Der Versuch, die ausgewählten Gemälde und einige zwischen sie gesetzte, aber eher als schmückendes Beiwerk wirkende Skulpturen in einzelne „Abteilungen“ einzureihen, geht nicht ganz auf. Manches hätte auch unter  „Himmlische Sinnenlust“ oder „Eleganz und Makellosigkeit“ subsumiert werden können. Sehr gut passt wiederum Domenico di Bernardino Capriolos verschmitzter Blick auf einen Drehleier spielenden, selbstgefälligen, mit Efeu bekränzten wohlgenährten Dichter und seine verwöhnte stinkreiche Schülerin aus dem Jahr 1520 in die Abteilung „Wohlklang und Harmonie“.

Ob die Intention dieser Ausstellung zum 10. Jubiläumsjahr des 2014 neu konzipierten DomQuartiers, die „fulminante Erfolgsgeschichte der Malerei in Venedig“ aufzuzeigen, beim Besucherklientel so ohne weiteres und in jedem Fall ankommt, sei dahingestellt. Ein Katalog ist für 24,90 Euro im Museums-Shop und online erhältlich. Bis Heilig Drei König 2025 täglich außer Dienstag  von 10 bis 18, im Dezember und Januar bis 17 Uhr geöffnet.

Über Hans Gärtner 482 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.