Ganz Altötting ist aufs Radl gekommen – Ausstellung in der Stadtgalerie

Der aus Siebenbürgen stammende geniale Holzmodellbauer Lajos Antal schuf das Glanzstück der Ausstellung: das Flugrad, Foto: Hans Gärtner

Sie mache immer weniger Geschäft mit Wallfahrer-Souvenirs wie Engerl, Wetterkerzen oder Schneekugeln, seit die Stadtverwaltung des oberbayerischen Altötting „zu sehr auf die Radwanderer gesetzt“ hat. Radler, erklärte Gabriele Gschwendtner kürzlich einer Journalistin, hätten, im Gegensatz zu Bus- und Autofahrern, „kaum Platz in ihren Fahrradtaschen, um Souvenirs zu verstauen“. O je! Was sagt wohl die altgediente Devotionalienhändlerin zu ihrer derzeitig „radl-narrischen“ Stadt?

„Mit dem Fahrrad durch die Zeit“ heißt die neue Sonderausstellung in der Stadtgalerie. Hier geht es mit hölzernen Kunst-“Maschinen“ aus allen Fahrrad-Epochen um die jahrhundertealte Geschichte des Drahtesels – keineswegs erst seit seiner Erfindung im Jahre 1817, sondern durchaus detailliert um die Vorgänger und vor allem technisch immer perfekter gewordenen Nachfahren.

Die Ausstellung gibt Gelegenheit, sich von der erstaunlichen Lebensleistung eines rumänischen Künstlers zu überzeugen. Vor fünf Jahren liefen in- und ausländische Flug- und Fahrrad-Techniker in Altöttings Stadtgalerie zusammen, um die Schau „Leonardo da Vinci – Maschinen nach seinen Zeichnungen zum Leben erweckt“ und deren Kreator zu erleben, den heute 55-jährigen Siebenbürger Lajos Antal.

Diesen hochtalentierten Ingenieur feiert Altötting nun erst so richtig. Von ihm stammt – bei aller Hochachtung vor seinen kleineren phantasievollen Exponaten – das Glanzstück der Ausstellung, das riesige Flugfahrrad. Um das beinahe die halbe Stadtgalerie ausfüllende Gefährt herum drängt sich jung und alt. Man muss schon Glück haben, das tolle Ding auch einmal nah betrachten zu können. 1994 sei es unter dem Namen „Flyke“ offiziell zum Verkehr zugelassen worden, wird man belehrt. Wer`s nicht glaubt, kann sich durch Scannen des OR-Codes davon selbst überzeugen. Lajos Antal habe sein Herzblut in dieses Modell fließen lassen. Ein aktuelles Foto des handfesten Künstlers mit Details zu seiner Person und seinen Erfindungen prangt in einem Goldrahmen an der Wand.

Man wundere sich nicht über die derzeit an Bayerns berühmtestem Wallfahrtsort abgestellten, wundersam verfremdeten oder auch nur floral geschmückten Fahrräder. Sie sind Teil der Ausstellung, erweitern und krönen sie sogar. Schülerinnen und Schüler der „Gestaltung“-Klasse 11 der Montessori-Fachoberschule Neuötting griffen sich die ihnen zur Verfügung gestellten, in der Stadt aufgesammelten Radln, die keinen Besitzer mehr haben und veränderten ihr Design ein halbes Schuljahr lang. Der Kunstschmied Christian Pöllner half dabei. Das Projekt läuft unter der ambitionierten Bezeichnung Upcycling. In einer Glasvitrine zeigt man einer  amüsierten Besucherklientel Zeichnungen von einigen, auf den ersten Blick für verrückt zu haltenden Fahrradmodellen. Der Montessori-Schüler Philipp Snoppek erging sich zeichnerisch in witzigen Vorschlägen für ein verstiegen anmutendes Kraken-Radl, das auf ein (vielleicht sogar) traumatisierendes Urlaubs-Erlebnis am Meer zurückgehen dürfte. Philipps toll-dreistes Modell harrt noch der Realisierung. Dagegen hatte eine Klassengruppe um die Montessori-Schülerin Julia Drinhaus mit einem Radl-Modell Erfolg, das den Namen Gottesanbeterin erhielt. Julia hat sich mit dem „Tier“, stellvertretend für ihre Mitstreitenden, fotografieren lassen. Und zwar an ebenso prominenter wie symbolisch aussagekräftiger Stelle: neben dem großen roten Herzen auf dem Platz vor dem Rathaus, gegenüber der Gnadenkapelle.

Die Stadtgalerie ist bis 20. Oktober Mittwoch bis Freitag von 14 bis 17 Uhr und samstags, sonntags und feiertags von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Ein gut gemachtes und bebildertes Infoheft gibt es pro Eintritt gratis.

Über Hans Gärtner 482 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.