Franz von Bayern: Der Ahnherr und Ahner aus Nymphenburg

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Das Buch:

Franz von Bayern: „Zuschauer in der ersten Reihe. Erinnerungen“, 304 Seiten, 66 Abbildungen, 28 Euro, München: C. H. Beck Verlag 2023,

ISBN 978 3 406 79708 8

 

Der Autor und seine Ko-Autorin:

SKH Franz von Bayern, geboren 1933 in München, Chef des Hauses Wittelsbach, Kunstsammler, -kenner und -förderer

Marita Krauss, Professorin für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg

Über das Werk:

Ungekämmt würde er nie sein Haus, Schloss Nymphenburg, verlassen. Er, der korrekt mit Seine Königliche Hoheit (SKH) anzusprechen ist, kommt stets geschniegelt und gebügelt daher. Auch dann, wenn er sich nicht in die erste Reihe setzen muss, wie seine Memoiren betitelt sind. Das Gekämmte, Ordentliche, Noble ist eines seiner Markenzeichen, seiner hervorstechendsten Merkmale. „Benimm dich!“ So erinnert er sich, war das einzige, das ihm, dem  Heranwachsenden, die Eltern, Erbprinz Albrecht von Bayern und Marita Gräfin Draskovic von Trakoscan, mit auf den Weg gaben. Alles andere durfte er selbst entscheiden – wohin er reiste, wann er ging und wiederkehrte, was er auf seinen Erkundungen ins Auge fasste oder vermied, mit wem er Freundschaft schloss … Welche Freiheit er genoss! Und das in einer Zeit und einer Familie, die, so gebot`s die Stunde, zu Gehorsam aufrief!

„Ungekämmte Bilder“ – so der lautet Titel der vom 11. Mai bis 3. Oktober `23 laufenden Ausstellung in dem Museum, das SKH in seinen Memoiren das „Museum des 20. Jahrhunderts“ nennt, also die Münchner Pinakothek der Moderne. Gezeigt werden 50 ausgewählte Werke aus Herzog Franz von Bayerns Privatsammlung zeitgenössischer Kunst. Diese der Öffentlichkeit zu präsentieren war von vornherein die Absicht des so ehrgeizigen wie ahnungsvoll auf Gegenwart und Zukunft Bildender Welt-Kunst gerichteten „Jägers“. Er verstand sich nie als Kenner, er hat nie Kunstgeschichte studiert. Er ahnte aber, was „gut“ ist und „wunderbar“ und „wichtig“. „Ich gehöre zu den Sammlern“, bekennt er, „die schlampig sammeln und einfach alles nehmen, was ihnen gerade gefällt. Am Ende kann dabei auch etwas Gescheites herauskommen. Ich wollte mich nie auf eine bestimmte Kunst festlegen: Wenn etwas kam, das mir Appetit machte, dann schnappte ich danach.“ Wie ehrlich: Der an Baselitz und Beuys, Anselm Kiefer und der mit 33 Jahren verstorbenen Blinky Palermo, Gerhard Richter und weiteren „Modernen“ und gar nicht so sehr an Picasso sich entzündende Prinz und spätere Herzog, der er offiziell seit 1996 ist, ließ sich beraten. Schon in den 1970er Jahren. Fred Jahn aus Heiner Friedrichs Münchner Galerie in der Maximilianstraße war sein Influencer. Siehe da: dieser Heinrich Friedrich taucht eben jetzt einmal wieder auf, in der von ihm initiierten Galerie „DASMAXIMUM“ im kleinen oberbayerischen Traunreut, wo man seinen 85. Geburtstag gebührlich feiert.

SKH hat da noch nicht ganz die 90 erreicht. Erst am 14. Juli ist es soweit, wenn Gott es will. So würde womöglich der hier sich so diskret wie beredt, so zart- wie weitblickend äußernde Ahnherr und Ahner aus Nymphenburg sagen. Nicht zu einem Gott auf dem Richterstuhl, sondern zu einem liebenswürdigen Gott schaut er auf. Der zum Beispiel durchgehen ließe, dass sein Geschöpf Franz, der zurzeit erste Wittelsbacher, sich keine Gattin, sondern einen männlichen Lebensmenschen zur Seite nahm, zu dem er sich offen, auch wenn erst nach 42 Jahren des engen Beisammenseins, bekennt. Mit ihm,  dem Juristen und Heilpraktiker Thomas Greinwald, ließ er sich 2021 von Erwin Olaf fotografieren – eines der distinguiertesten und mutigsten Adels-Konterfeis, gezeigt in der Münchner Hypo-Kunsthalle.

25 Gespräche führte Marita Krauss seit März 2021 in Schloss Nymphenburg, an denen Greinwald teilnahm. Um „Geschehenes ans Licht zu holen und Impulse zu setzen“, war die Historikerin angetreten, wie sie schreibt. „Erinnerungswege“ wollte sie „durch Fragen begehbar machen“. Das ist ihr rundweg gelungen, zum Vergnügen des neugierigen Lesepublikums. Vieles, was Krauss da entgegenschlug, ließ sie „ungekämmt“. Was so manches für sich hat: Ungeschminktes, Ehrliches, Spontanes brachte sie zu Papier. Hätte ihr für den letzten Schliff Korrektheit nur ein „fehlerfindefreudiges“ Lektorat dabei tüchtig geholfen! Von den Anfängen – Exil, Entbehrungen, Erniedrigungen, Flucht, Wiederaufbau in der Heimat – bis zum Tag kurz vor dem Groß-Ereignis der sicherlich glanzvollen Geburtstagsfeier im Sommer  ist alles drin; bietet es doch „Einblicke in ein Leben zwischen Internationalität und bayerischem Patriotismus, ein Leben für die Familientradition wie für die lange verfemte zeitgenössische Kunst, ein Leben voller Respekt für gesellschaftliche Formen, aber in persönlicher Freiheit“.

Um als Lesende(r) nicht ständig vor Rätseln (allein zur Einordnung der vielen Adeligen-Namen) zu stehen, hätte dem Buch eine Wittelsbacher-Genealogie beigegeben werden können. Die feinen Fotostrecken genießt man. Die Auswahl ist gelungen, die genannten Quellen überzeugen. Aufschlussreich sind die das Buch beschließenden, gewissermaßen krönenden Apercus zu so unterschiedlich gewichteten Begriffen von „Älterwerden“ bis „Zukunft“. Nicht  ausgewogen hingegen: das als Glossar geführte 22-seitige Register. Verwunderung löst das fehlende oder nur gestreifte Eingehen des sich Erinnernden etwa auf das Museum Brandhorst, den Märchenkönig, die Freundin Eva Wagner-Pasquier und, vor allem die geliebte Mutter aus. Offen bleibt eine auch nur versteckt gelieferte Antwort auf die berechtigte Frage: Wer wird Herzog Franz von Bayerns Nachfolger?

Cover-Foto des C. H. Beck-Verlags von Daniel Grund:  Herzog Franz von Bayern vor Schloss Herrenchiemsee als 80-Jähriger

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.