Seit Ende Oktober `22 steht, viel zu selten, die überraschend von dem eher dem Russisch-Slawischen zugetanen GDM Vladimir Jurowski einstudierte Mozart-Oper „Cosi fan tutte“ auf dem Spielplan. Nicht überrascht, dass „die Cosi“ Münchner Opernfestspiel-Programm Eingang fand. Die Dreier-Serie bekam im Vorverkauf nicht den Zuspruch, den sich GMD, Intendant und Ensemble erwarteten. Am ersten Abend kam die „Chemie“ zwischen Publikum und Bühne/Graben nur zögerlich zur Wirkung. Bei Jurowski blieb sie in der Schwebe zwischen Handfestigkeit und Ziselieren, da gab es Unstimmiges zwischen Sängern und Orchester. Man hatte es von Anfang an schwer, die Schauplätze einzuordnen und die Gestalten zu orten. Da rutschte Kindisches (aufblasbarer Gummi-Turm mit Erotik-Symbolik), Dreistes (mit Sex-Topoi beschmierte Wände a la Bahnhof-Toilette), Versifftes wie die in jedem Akt „aktivierte“ Matratze und Heiter-Fröhliches für die Hochzeitspaare (Blumen-Regen) ineinander. Da wusste man immer noch nicht: Meinen die da vorne (Ausstattung: Magda Willi, Victoria Behr, Licht: Mark Van Denesse) es ernst oder ironisch? Oder wollen sie halt, Mozart folgend, amüsieren?
Regisseur Benedict Andrews fand das „Cosi“-Thema „Treue/Untreue“ in Mariveaux` Stück „Der Streit“, wo Partnertausch und emotionale Gewalt die erotischen Turbulenzen junger Liebender, wie Mozart/Da Ponte sie später in Wort und Noten gossen, vorweg genommen. Was Andrews daraus machte, liegt zwischen eckig und kantig, verführerisch furios und zauberhaft zärtlich, um auf Premieren-Kritiken zurückzugreifen. Im Drahtzieher Don Alfonso und Despina, der Zofe der Schwestern Fiordiligi und Dorabella, sieht Andrews mit Bezug auf Slavoj Zizek das „wahre leidenschaftliche Liebespaar der Oper, das die beiden pathetischen Paare (die Mädels und ihre angehimmelten Jungs namens Guilelmo und Ferrando) ihr lächerliches erotisches Durcheinander als Instrument benutzt für die Verarbeitung seiner eigenen traumatischen Bindung“. Beide würden, von Illusionen und falscher Staffage hergebrachter Konventionen befreit, wie neu geboren. Wahre Liebe liege jenseits von Idealisierung, brauche endlose Erneuerung und radikale Empathie. Jeder von uns müsse erkennen, dass er „Vielheiten enthält“.
Als Don Alfonso agierte herrlich infam und heuchlerisch Johannes Martin Kränzle, als die beiden Schwestern warfen sich Louise Alder und Avery Amereau ins Zeug, Guilelmo (Konstantin Krimmel) und Ferrando (Bogdan Volkov) glänzten akrobatisch nicht weniger als stimmlich, und Sandrene Piau ist als herrliche Rampensau-Despina kaum ersetzbar. Ideale, großartige Protagonisten. Prächtiges Horn. Verlässliche kleine Chöre in den Logen. Unterm Strich hat`s gefallen, auch wenn sich manch verzogener Mundwinkel zeigte, der Dieter Dorns chicer, gesitteter, langlebiger Inszenierung vor 30 Jahren im gleichen Haus nachtrauern mag.