Ein Weltkunstwerk zu Gast in Freising: der „Tassilo-Kelch“

Feierliche Überführung des Leichnams des hl. Korbinian nach Freising, Wandgemälde (1724) der Brüder Asam im Freisinger Dom, Herzog Tassilo III.: 1. v. links, Foto: Hans Gärtner
Feierliche Überführung des Leichnams des hl. Korbinian nach Freising, Wandgemälde (1724) der Brüder Asam im Freisinger Dom, Herzog Tassilo III.: 1. v. links. Foto: Hans Gärtner

Der kleine Bär heißt Tassi und begleitet die Kinder durch die diesjährige Bayerische Landesausstellung. Tassi, weil es um „Tassilo, Korbinian und der Bär“ geht. Dazu mehr ein bisschen später. Vorerst dies: Bayern-Herzog Tassilo III. (reg. 748 bis 788, gest. um 794) benahm sich wie ein König. Er war ein Agilolfinger, unterwarf die Karantanen, das waren Heiden, und stellte sich mit den Langobarden gut. Nicht weniger wichtig: Tassilo III. hatte eine „Hofschule“, aus der bedeutende Kunstwerke hervorgingen. Eines davon wurde weltberühmt: der nach ihm benannte Kelch. Den hatte er mit seiner Frau Liutpirc, einer langobardischen Königstochter, in Auftrag gegeben.

Der „Tassilo-Kelch“, ein Kunstwerk von Weltrang, gilt als Schlüsselobjekt des frühmittelalterlichen Bayern. Er steht nun solo in einer Vitrine als Zentrum der Schatzkammer des Freisinger Diözesanmuseums, das einen guten Einblick in Tassilos Hofschul-Produkte gibt. Das Prunkstück tritt im Kammer-Dunkel als die eklatanteste in der ganzen Ausstellung gezeigte Kostbarkeit hervor. Eine Seltenheit, dass es vom oberösterreichischen Benediktinerstift Kremsmünster, einer von Tassilos Klostergründungen, ins benachbarte Oberbayern, an Freisings Domberg, ausgeliehen wurde. Aber nur für kurze Zeit. Am 16. Juni muss der Messkelch wieder dorthin zurück, wo er seit 1000 Jahren aufbewahrt wird.

Wie ein Gebäude ist der „Tassilo-Kelch“ aufgebaut, Symbol des himmlischen Jerusalem. Zum Bildprogramm gehören Christus, die Gottesmutter, Johannes der Täufer und die vier Evangelisten. Die Bilder sind, nach angelsächsisch-irischer Art, von Weinranken und S-förmigen Greiftieren umgeben. Wer das Glück hat, in die Schatzkammer eintreten und in Ruhe das auch audiovisuell vorgestellte Wunderwerk betrachten zu können, fühlt sich ein paar Minuten lang in die Frühgeschichte Bayerns zurückversetzt. Wenn er dann noch liest, dass es mit Tassilo III. ein schlimmes Ende nahm – 788 wurde er wegen Heeresflucht angeklagt, abgesetzt und von König Karl d. Großen in Klosterhaft genommen – wird er Tassilo nicht mehr nur bewundern, sondern auch bedauern.  

Wo Tassilo zu sehen ist? Im Freisinger Dom. Auf dem letzten der 20 Bilder aus dem „Leben des hl. Korbinian“ der Brüder Asam von 1724. Tassilo III. nimmt an der im Jahr 724 stattgefundenen feierlichen Überführung von Korbinians Leichnam von Mais in Südtirol nach Freising teil, wo noch heute seine Gebeine in einem Schrein aufbewahrt werden. Vor 1300 Jahren, so kriegen es die Kinder in einem für sie bunt und gut lesbar gestalteten Heft von „Tassi“ erzählt, soll Bischof Korbinian nach Freising gekommen sein. „Aha, deshalb die Ausstellung im Jahr 2024!“, geht es durch die Köpfe der Kinder. „Ja, und deshalb ist der Tassi ein Bär“, weiß ein Schulbub, der rechnen kann und die Geschichte von Tassilo III. und dem Diözesan-Patron Korbinian (mit dem Bären) zu verbinden versteht.

Die Sonderausstellung zur Bayerischen Landesausstellung lädt ein, der 1300 Jahre alten Geschichte des Erzbistums München und Freising nachzuspüren. 25 Haltepunkte sind über den Domberg verstreut. Sie führen zu verborgenen und altehrwürdigen Räumen, zu Krypta, Friedhof-Garten, Maximilianskapelle, Barockbibliothek. „Männer Macht Geschichten“ heißt die Sonderschau. Darunter sind Otto von Freising, Kaiser Friedrich Barbarossa, Peter Paul Rubens, Bischof Arbeo und natürlich Korbinian, erster Oberhirte der Erzdiözese München und Freising. – – –  Bis 7. November täglich 9 bis 18 Uhr: Freisinger Diözesanmuseum, Domplatz, Dom.    

Über Hans Gärtner 502 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.