Der verborgene Mitbewohner – Das Lebenswerk des Priener Fotografen Nikolai Molodovsky (1899 – 1986) bereichert seit kurzem die Bayerische Staatsbibliothek

Umgeben von einigen seiner von ihm fotografierten „Pannonia“-Bändchen: Nikolai Molodovsky mit einem Selbstporträt. Foto: Hans Gärtner

Da muss erst ein „Staatsakt“ vollzogen werden und die Ausgabe 2/23 des großartigen „Bibliotheksmagazins“, 2007 gemeinsam von den Staatsbibliotheken Berlin und München herausgegeben, ins Haus kommen, um zu erkennen: Du lebst seit Jahrzehnten mit einem Künstler unter deinem Dach. Ja, so kann man`s wohl sagen. Mit keinem Geringeren dem Priener Fotografen Nikolai Molodovsky. Seit vorigem Jahr ging dessen unglaublich reiches Lebenswerk, sprich: 69 000 Fotografien, in die Sammlung des Bildarchivs der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) in München ein. Es wird als Ergänzung der BSB-Fotoarchive von Georg Fruhstorfer, Joachim Kankel und Max Prugger willkommen geheißen.

„Ähnlich wie diese bekannten Fotoarchive“, so ist in besagtem Magazin zu lesen, „dokumentiert das Fotoarchiv Molodovskys Landschaft, Alltag und Menschen in Bayern und stellt damit ein wichtiges Bavarikum dar“. Nikolai Molodovsky, ein russischer Adeliger aus Pinsk, heute: Belarus, kam über Umwege 1933 nach der Hochzeit mit der aus dem Rheinland stammenden Malerin Doris Keetman in deren Heimatort Prien am Chiemsee. Wie einer der Keetman-Buben, vor allem Peter, begann Molodovsky ab 1937 ernsthaft an zu fotografieren. Seit den 1950er Jahren vertrieb er als Verleger seine Ablichtungen auch auf Ansichtskarten. Doch fotografierte Molodovsky auch für altbayerische Kunst- und Kulturführer und Bildbände.

Und jetzt kommt`s: Unterm Dach, in einer der kleinen Bücher-Kammerln, ruhten gut drei Dutzend Büchlein der „Kleinen Pannonia-Reihe“. Für nicht einige, gefühlt viel mehr als insgesamt ein Dutzend, schuf Nikolai Molodovsky die den Texten beigegebenen Schwarzweiß-Aufnahmen. Wer die Pannonia-Bändchen, die seit 1971 bis in die jungen 1990er Jahre hinein erschienen, sammelte, der sammelte diese Monographische Schriftenreihe der Themen wegen. Text- und Bild-Autoren waren Nebensache. So ist verzeihlich, dass der Name des Foto-Lieferanten auf den im Regal unterm Dach stehenden „Pannonias“ nicht weiter auffiel und quasi im Verborgenen blieb – bis nun seine Sternstunde, in einer Art „Staatsakt“ in die BSB-Archive aufgenommen zu werden, schlug.

Weit brauchte der stets in Prien Ansässige, der 87-jährig dort starb, nicht zu reisen, um für den Freilassinger Pannonia-Verleger zu fotografieren; bevorzugte der doch, zumindest zum Start seiner berühmt und beliebt gewordenen Reihe, Orte im Rupertiwinkel, Chiemgau, Berchtesgadener Land Inn-Salzach-Gau. Später kamen dann ein paar „Ausreißer“ hinzu: Kelheim, Braunau am Inn, Isartal, Passau. Die unter der Dachschräge schlummernden Pannonia-Bändchen erarbeitete Nikolai Molodovsky mit den Autoren Walter Brugger, Josef Rosenegger, Ottmar Schuberth, Erica Schwarz, Alois J. Weichselgartner und Paul Werner. Da hing es um Bauernhausmuseen, Volkskunst und Wallfahrten  zwischen Inn und Salzach, die Streichenkirche, die Familie Asam, Urschalling   und Berchtesgadener Handwerks-Kunst. Molodovsky erwies sich nicht nur als glücklicher Finder des jeweils Wesentlichen eines und „Ausleuchten“ eines seiner ihm anvertrauten Themen, sondern auch als professioneller Designer und Bildkomponist. Wie aus dem BSB-Magazin zu ersehen ist, „konnte“ er als Fotokünstler aber keineswegs nur Kunst, er „konnte“ auch Menschen.

Über Hans Gärtner 502 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.