Buchbesprechung: Szenen keiner Ehe – Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz

Autorin Marie Theres Relin und ihr Ex Franz Xaver Kroetz nach ihrer Ur-Lesung in München. Foto Hans Gärtner

Marie Theres Relin / Franz Xaver Kroetz: „Szenen keiner Ehe“, 317 Seiten, 25 Euro, Deutscher Taschenbuchverlag München 2023, ISBN 978-3-423-28374-8

Die Münchner Residenztheater-Bühne: schwarz wie die Nacht. Keine Tiefe, nur ein schmaler Streifen für einen langen schmalen Tisch und zwei Stühle, nebeneinander, aufs reichlich erschienene Publikum gerichtet und in gebührlichem Abstand nebeneinander gestellt. Zur Ur-Lesung ihrer Buch-Novität erscheint pünktlich das einstige Kult-Boulevard-Pärchen: Maria Schell/Veit Relin-Tochter Marie Theres und ihr einstiger, immerhin 17 Jahre lang gebenener Ehemann Franz Xaver Kroetz. Sie aufgedonnert im entschieden zu kurzen Schwarzen mit Spitzen, geföhntem Haar. Er mit Penner-Käppi, Jeans, Turnschuhen, blauem Sakko, Reiseandenken an ihrer beider wieder aufgesuchter Herbst `22- Auslands-Heimat Teneriffa.

Von der gemeinsamen 3000 km langen Reise von dort zurück nach München  (Grund: Er will unbedingt seinen alten Daimler 190 E zurückholen, den er Santi, dem Mechaniker seiner Wahl, zur Reparatur anvertraut hatte) erzählen beide auf ihre spezielle Art: der erfolgreiche Dramatiker (68 Bühnenwerke!) mit drei Wohnsitzen, unter anderem Kirchberg im Chiemgau, 77 Jahre, und die Schauspielerin, Autorin und „Hausfrauen-Revolutionärin“, Mutter dreier gemeinsamer Kinder, wohnhaft in Wasserburg am Inn, 30 Jahre jünger. Das Buch wartet im Foyer auf den beherzten Zugriff möglichst vieler, die der Lesung, gottlob keine vollen anderthalb Stunden lang, beiwohnten und nicht ohne Doppel-Autogramm damit nach Hause wollen.

Wer sich auf einen Abend mit Hauen und Stechen, wenigstens Kabbeln und Zerren zweier Kontrahenten eingestellt hatte, wurde enttäuscht. Sie schien nicht so recht dazu aufgelegt und auch zu aufgeregt, auf der Bühne, auf der sich beide vor 35 Jahren kennengelernt hatten, die Kratzbürste zu spielen, vielmehr lächelte sie gerne lange und harmonisierte ihre (im Buch erheblich heftigeren) Attacken zuckersüß bis kitschig. Ach ja, das Buch: Sie haben es  je zur Hälfte für sich geschrieben, den Reisetagen zwischen 14./15. Oktober und 18. Dezember 2022 chronologisch folgend. Während sie die Daten der Niederschriften angibt, zählt er seine maschinengetippten „Einträge“ von 1 bis 66 durch.

Mit dem 1. Eintrag beginnt Kroetz („oida Macho“, der die Brille verwechselt) den Lese-Abend. Schon nach wenigen Minuten erhält er auf eine Stegreif-Bemerkung hin einen schrillen Lacher auf die Bemerkung, dass das einzige, was für die um viele Jahre Jüngere an ihm, dem deutlich Älteren, noch interessant sei, sein Geld wäre. Marie-Theres rollt die Augen und schaut zur Decke hoch.

Hätte man das Buch dabei, um Auszüge daraus mitzulesen, hätte man es sich mit Kroetz` Text-Auszügen, herrlich wehleidig und miesepetrig, schwer getan. Egal – seine „Einträge“ sind die literarisch grandiosen. Auch die schauspielerisch bemerkenswerten, einprägsamen. Auf seine aphoristisch trockene, grantelnde, bissige, süffisant herausfordernde Parts folgen spontane Reaktionen des affizierten Publikums: „Ihre Fürsorge hat etwas Beleidigendes!“ – „Sie ortet mich zwischen Friedhof und Altersheim.“ – „Sie redet ohne Unterlass – und ich kann nicht davonlaufen.“ – „Sie nimmt mich halt als verkleinerte Reisegruppe wahr.“ – „Altwerden ist nix für Feiglinge.“

Kroetz` Selbsteinschätzung als bedauerlicher „Rest-Greis“ mit Schreib-Blockade, dessen Asthma-, Prostata- und Knie-Probleme der agilen, umtriebigen Retro-Gattin auf Zeit und versierten Reise-Organisatorin die letzten Nerven kosten – das Publikum kriegt viel davon mit, wenn nicht ein bisschen zu viel.

Gut, dass der Zuhörer sich das im Buch gebrauchte unterwertige, bisweilen widerwärtige Vokabular ersparen konnte. Gut aber auch, dass die Ambivalenz der Führung einer wenigstens erträglichen Künstler-Ehe auf überaus geglückte Art sicht- und auf der Bühne durch beide Protagonisten hörbar wurde, auch wenn das Kampfhahn-Getue, das im Buch zur Genüge zum Vorschein kommt, an diesem Abend ausblieb. Dass man sich „hakelt“ und einander auf die Palme bringt: okay. Ob es angemessen war, dass Relin den von ihrem Onkel Maximilian Schell erlittenen sexuellen Missbrauch an den  Schluss setzte? Sie jedenfalls bekam dafür Applaus.

Relin-Kroetz-Buch, Foto: Hans Gärtner

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.