„Gott ist tot“, erklärte Friedrich Nietzsche 1881, Regisseur Tobias Kratzer, vor 44 Jahren in Landshut geboren, lässt Richard Wagners Alberich, das bedauernswerte Ekel im „Ring“-Vorabend, den rigorosen Untergang der Religion an den Eingang in eine gotische Kirche sprühen. Hier, vielleicht am Kölner Dom, machen sich drei wie Lerchen zwitschernde junge Schlampen, Wagners Rheintöchter, zu schaffen. Nie gesehen, so ein Entree ins 1869 auf König Ludwigs II. Geheiß in München uraufgeführte „Rheingold“. Die Mädels geraten an den sie demütigenden zwielichtigen, unappetitlichen Kerl, der hier, nicht etwa am Rheinufer, nach einem Goldschatz gräbt.
Warum kein Fluss (Wagners Musik hob unter GMD Vladimir Jurowski mit düster-tiefen dahinfließenden 136 tiefen Es-Takten an)? Stattdessen eine beängstigend leere, düstere Kathedrale. Dazu sagte Kratzer schon im Vorfeld etwas schwer Verständliches. Jedenfalls pfiff er auf jegliche „Rheingold“-Tradition, will er doch seinen „Ring“ nicht gegen die Kapitalisten in Szene setzen. Er nimmt sich lieber die Religion als Folie für seine Interpretation. Sein Ausstatter Rainer Sellmaier aut ihm die Vorder- und quasi ewig im Bau befindliche hässliche Rückansicht eines goldenen Neo-Gothik-Altars. Führt die Zuschauer in eine trashig bewegte, dunkel-öde Szenerie, die – Buhrufe nach der Premiere sagten es deutlich – befremdet, irritiert und ratlos macht.
Kein realer, sondern ein Video-gefilmter Abstieg des wuchtigen Göttervaters mit neckischem Flügelhelm und Speer und seines smarten Kumpels Loge nach Nibelheim, wo Hundebesitzer Mime (stark: Matthias Klink) in einem Garagen-Waffenarsenal – wo ist das Gold der Nibelungenbrut? – schuftet. Wenig lustig vollzieht sich hier Alberichs Verwandlung in eine Kröte. Wotan zeigt sich jovial, aber goldgeil, Loge hat hier Rauchverbot. Genug über das Optische.Es ist alles schwer erträglich. Also lieber Platz fürs Akustische dieser ersten Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper-Spielzeit 24/25!
Vier der 14 Rolleninhaber stechen gesanglich und zugleich mimisch positiv aus dem insgesamt sehr respektablen Ensemble (mit zwei devot-geldgierigen Prediger-„Riesen“ – von welcher Sekte?) hervor: Nicholas Brownlee, das perfekt Text-verständlich markant singende Schlitzohr eines Wotan, Sean Panikkar als nur wenig hämisch ätzender Loge, ein Zündler am Glauben im schwarzen Existentialismus-Look, Markus Brück als bewundernswert seine splittrige Nacktheit als sich seiner Erbärmlichkeit bewusster Giftzwerg präsentierender Alberich, dazu Wiebke Lehmkuhl als mausgraue wunderbare Endzeit-Mahnerin ihres Sohnes und seiner weitläufigen Sippe, angeführt von Fricka (Ekaterina Gubanova).
Dem souveränen Vladimir Jurowski – er gebietet über eine Unterwelt-Passage mit 18 Ambossen – gelang mit dem Bayerischen Staatsorchester ein musikalisch nachhaltig, leider allzu gedehnter, aber auch viel zu (be)denken gebender Abend. Ein glasklares Orchesterbild, geformt von Wagner-erfahrenden Musikerinnen und Musikern und einem intellektuellen Dirigenten.
Wie geht`s weiter? Bis der komplette neue Münchner Nationaltheater-„Ring“ geschmiedet ist, wird`s Herbst 2027. Ein Trost: Tobias Kratzer, auf dem Weg in seine Hamburger Staatsintendanten-Position, weiß jetzt schon, wie das letzte Bild der Münchner „Götterdämmerung“ aussieht, lässt sich aber eine Tür offen. Könnte ja sein, gab er in einem Interview zu verstehen, dass „Figuren in einzelnen Akten oder Stücken auftauchen, in denen sie eigentlich nichts zu singen haben“. O je. Na, dann!