100 Jahre „Häschenschule“ – eigentlich ein Grund zum Feiern

Die alte und die neue Häschenschule, links die aus Leipzig, erschienen 1924, rechts die aus Stuttgart, erschienen im Februar 2024, Erstausgabe, Foto: Hans Gärtner

Aber da kommt nun „Die neue Häschenschule“ und verdirbt ausgerechnet der bayerischen Landwirtschaft die Freude. Wie denn das?

Gibt`s eigentlich noch eine(n) deutsche(n) Comedian, der/die kein Buch geschrieben hat? Hape Kerkeling verdiente schon vor Jahren ein hübsches  Sümmchen mit seinem Reisebericht gen Santiago de Compostela. Willi Astor ist dabei, mit dem Kochbuch „Wir sehn uns vorm Gericht!“ zu reüssieren. Und: Anke Engelke nahm sich kürzlich mal ihre alte, als Kind geliebte „Häschenschule“ vor, um sie im 100. Jubiläumsjahr ihrer Existenz frisch aufgemöbelt den kleinen und großen Kindern von heute und morgen anzubieten.

„Die neue Häschenschule“ mit Bildern von Mareike Ammersken heißt ihr aktuelles Präsent der wieder mal unter die Schreibenden gegangenen 59-jährigen Wahl-Kölnerin. Da man sie als keck und clever kennt, durfte man mit keiner brav-biederen Version der guten alten „Häschenschule“ von 1924 rechnen. Eher mit einer bissigen Auffrischung. Prompt nahmen sofort nach Erscheinen des Buches bayerische Landfrauen und Landwirte lautstark Anstoß an der Novität aus Stuttgart, so dass der Verlag Thienemann-Esslinger schon sehr bald einen Lieferstopp des keineswegs nur überarbeiteten, sondern völlig neu konzipierten „lustigen Bilderbuches“, das in Leipzig herauskam, ankündigte.

Wer schnell schoss und in seiner Buchhandlung ein fast druckfrisches Exemplar der Erstausgabe erwischte und nur kurz „hineinschmeckte“, kann den Grund für diesen Lieferstopp und erst recht die Verärgerung der die Barrikaden stürmenden Landbebauer erahnen: „Die neue Häschenschule“ ist höchst dreist ausgefallen. Die freche Engelke! Sie hat den Landwirtinnen und -wirten des Voralpenlandes die munter gereimte Häschengeschichte des Sachsen Albert Sixtus und des Thüringers Fritz Koch-Gotha gehörig gegen den Strich gebürstet.

Ging es vor 100 Jahren und in den Folge-Ausgaben, die bis heute im Handel sind, in der „Häschenschule“ um zwei Erzfeinde der Hoppler-Abc-Schützen, nämlich die Gier des bösen alten Fuchses und die treffsichere Flinte des hinterhältigen Jägersmanns, so ist es jetzt, angekündigt durch „einen dumpfen Motor-Ton“, „eine riesige Maschine“, die auf Hoppich und ihren zum „ganz lieben“ Freund Brehm auserkorenen Überraschungs-Mitschülers Fuchs lebensbedrohlich loszieht. Hasenmädchen Hoppich macht sich Sorgen um den Fuchsbuben namens – na, wer weiß, warum? –  Brehm. Er rettet sie am Ende aus der Gefahr, die von Seiten der Schrecken einjagenden, Gift spritzenden und jegliches Grün ausrottenden Bauern und der nach wie vor schussbereiten Jäger droht.

Die neue Bedrohung der Häschenschülerinnen und -schüler geht, wie Engelke in Interviews immer wieder betonte, von den Bauern aus, ihren Landmaschinen und Pestiziden. Der Mensch ist damit die Gefahr für die braven Tierchen, den Fuchs inklusive. Die Landwirte würden nach Ansicht des Bauern Christian Kergaßner aus Unsleben, Unterfranken, als Umwelt-Vernichter dargestellt. Er fahre seit einem Vierteljahrhundert Mähdrescher und habe jahrelang keine Tiere mehr überfahren: „Die Hasen hoppeln wieder raus, wenn man vorsichtig fährt!“ Die Garmischer Landes-Bäuerin Christine Singer sagte der Münchner Abendzeitung: „Ein veganer Fuchs? Wo gibt es denn sowas?“

„Wie Fuchs und Hase Freunde wurden“ – das ist der von Verlag und Autorin gewählte Untertitel der „neuen Häschenschule“. Da gibt es nun die Bauern, ohne die wir alle verhungerten, die aber hier zum Feindbild werden – für Kinder „ab vier Jahren“, wie die Verlagsempfehlung lautet. So werden leider, leider wieder einmal Stadt und Land gegeneinander ausgespielt. Und das in  wenig geglückter, holprig und ungelenk gereimter Art, wie sie Anke Engelke gar nicht gut zu Gesicht steht. Wenn sie ihr Buch ab vier Jahren empfiehlt, so sollte sie es mal mit dieser Kindergartengruppe ausprobieren. Nicht nur in Köln, auch mal in einem Kaff 30 km entfernt. Am Ende, wenn die Hoppich-“family“ einmütig Karotten futtert, die sie auf Gabeln spießt, fragt die Erstklässlerin ihre Mama: „Wie bewahr` ich diesen Tag?“ und kriegt zur Antwort „Teil ihn mit dem Klassenraum / oder mach ihn zu `nem Traum!“ Ob solche (und ähnlich gehobene)Töne nicht doch erst höchsten ganz schlaue  Grundschulkinder „verstehen“?

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Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.