Ist „Genosse“ tatsächlich noch verwendbar, wenn „Alles für Deutschland“ verboten ist?

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„Alles für Deutschland“ verboten. „Genosse“ erlaubt.

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Bernd Höcke stand ein zweites Mal vor Gericht.

Im Mai 2021 skandierte er im Landtagswahlkampf Sachsen-Anhalt „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“. Dafür wurde er im Mai 2024 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 130 Euro, insgesamt 13.000 Euro verurteilt.

Im Dezember 2023 rief Höcke auf einer AfD-Veranstaltung in Gera „Alles für… “ und ließ das Publikum mit „für Deutschland“ den Satz vollenden. Im Juli 2024 wurde er dafür erneut verurteilt. Der Vorwurf lautet in beiden Fällen Verwendung verfassungswidriger Symbolik. „Das Landgericht Halle an der Saale sah es als erwiesen an, dass der AfD-Politiker Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verwendet hat. Dies ist nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs verboten. Der Vorsitzende Richter Jan Stengel verurteilte Höcke deshalb zu einer Geldstrafe von 16.900 Euro.“
„Alles für Deutschland“ verwendeten nach Meinung der Gerichte vor allem die Schergen der paramilitärischen SA-Truppen der Nationalsozialisten vor und während des NS-Staates.

Höcke, im bürgerlichen Beruf Geschichtslehrer, bestreitet, von der Verfassungswidrigkeit von „Alles für Deutschland“ gewusst zu haben. Für die Bevölkerung dürfte das sogar zutreffen. Im Falle eines Geschichtslehrers mit Hang zur Geschichte zwischen Kaiser- und Drittem Reich ist das eher nicht zu vermuten. Doch die Gedanken sind frei und in die Gehirne vermag noch niemand hineinzuschauen.

Auch ich denke, Höcke kennt den SA-Satz und bezog sich auf diesen. Doch beweisen läßt sich das nicht.

Dass deutsche Gerichte sich zu Verurteilungen möglicher „gemeinter“ Gedanken und Aufrufe hergeben, ist für mich ein Rückfall in jene Zeiten, in denen Gedankenpolizisten Menschen in Zuchthäuser und Lager brachten. Damit wird das Gegenteil von dem erreicht, was die Prozeßführer erreichen wollen. Intelligent geht anders.

Erschwerend für den Vorwurf der Verwendung von NS-Symbolik durch Herrn Höcke steht die Geschichte im Raum. Erstaunlich, dass die Richter diesbezüglich eine Leerstelle aufblitzen ließen.
Am 26. Dezember 1931 lautete die Überschrift in der Zeitung des sozialdemokratisch geführten Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold „nichts für uns – alles für Deutschland!“. Wer sagt uns denn, dass der Geschichtslehrer Höcke sich nicht auf diesen SPD-Satz von 1931 bezog?

Der Ruf „Alles für Deutschland“ war zwischen dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und der NS-Diktatur eher ein Allerweltsruf im Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen. Demokraten wie Antidemokraten reklamierten ihn für sich.

Die bundesdeutschen Gerichte haben sich von Herrn Höcke auf gefährliches Glatteis ziehen lassen. Das ist jetzt meine unbeweisbare Annahme. Zugegeben.

Wir sollte gespannt nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof schauen. Dort werden Höckes Revisionsverfahren laufen. Die Karlsruher Bundesrichter werden professionell arbeiten und Historiker zu Rate ziehen müssen. Bernd Höcke hat diese Prozesse wohl längst noch nicht verloren.

Zumal ich sicher bin, auf SPD-Bundesparteitagen solche Aufrufe sicher auch schon gehört zu haben. Auch hier können Historiker sachgerechte Recherchearbeit abliefern. Wenn sie denn wollen oder sollen.

Bei dieser Gelegenheit komme ich auf die komischerweise noch immer erlaubte Anrede „Genosse“ zu sprechen.

Entstanden in der Handwerkerschaft des frühen 19. Jahrhunderts, übernommen von den Sozialdemokraten ab 1863, sprachen und sprechen sich weltweit viele Menschen mit „Genosse“ an. Darunter demokratische Bewegungen wie die Sozialdemokratie, aber auch Antidemokraten wie Kommunisten und Nationalsozialisten. Letztere setzten vor „Genosse“ noch das Wort „Partei“ und redeten sich als „Parteigenosse (PG)“ an.

Mit dem Wort „Genosse“ praktizierten viele Menschen demokratische Politik. Was dem Wert des „Genosse“ zur Ehre gereicht.

Andererseits verfolgten, ermordeten und führten „Genossen/Parteigenossen“ mörderische Kriege und drangsalierten mit der erzwungenen Anrede „Genosse“ ganze Bevölkerungen.

„Genossen“ sind für 100 Millionen Tote des Kommunismus verantwortlich. „Parteigenossen“ für zig Millionen Tote des Zweiten Weltkriegs, der NS-Konzentrationslager und der Judenvernichtung.

Ist „Genosse“ tatsächlich noch verwendbar, wenn „Alles für Deutschland“ verboten ist? Die Frage ist berechtigt.

Ich für meinen Teil verwendete aus diesen Gründen als SDP/SPD-Abgeordneter in Volkskammer und Bundestag jedenfalls nie diese Anrede. Ich sprach die Kollegen meiner Fraktion immer als Freunde und Freundinnen an.

Selbst Willy Brandt, Helmut Schmidt uva. Sozialdemokraten änderten nach 1989 ihre Anrede in „Liebe Freunde und Freundinnen“ um. Ihnen leuchteten diese Vorbehalte ein.

Bernd Höcke ist mir in seiner ganzen Art, seinem Duktus, seinen Inhalten und geschichtsrevisionistischen Anschauungen zutiefst zuwider. Von solchen Menschen möchte ich nicht regiert werden!

Weil ich denen dasselbe an Machtmißbrauch und Verfolgung zutraue, was Deutsche im Dritten Reich und in der DDR erleben mußten. Doch kann ich das auch nicht beweisen. Ich kann nur vor ihm warnen, so wie ich vor Sarah Wagenknecht warne und die Regierigen ständig auffordere, Politik für die Bevölkerung und nicht für das Wetter und das Umerziehen zu machen. Denn diese Politik ist die Ursache der Wahl eines Bernd Höcke oder einer Sarah Wagenknecht.

Quelle: Weissgerber – Freiheit