Der Antisemitismus und die Israelfeindlichkeit von AfD und BSW sind noch immer lebende Tentakel der sowjetischen Indoktrinierung

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Ich schreib‘ beim Juden
Ein guter Freund fragte mich im Sommer, wo ich so schreibe. „Ich schreib‘ beim Juden“ war meine Antwort. Erst dann legte ich säkular erklärend mit Achse des Guten/Broder/Maxeiner nach.

Noch vor kurzem hätte ich nie so geantwortet. Bei Broder interessierte mich immer nur der intelligent-humorvoll schreibende Journalist. Der Jude Broder war mir egal. So wie mir auch der Katholizismus oder Protestantismus anderer Menschen egal ist.

Religion ist Privatsache und wird in ihrer Ausübung staatlich geschützt, sofern diese Ausübung grundgesetzkompatibel ist. So die Theorie. Damit ist das Thema für mich immer erledigt. Es sei denn, Menschen werden wegen ihrer Religion oder ihres Atheismus verfolgt. In den Fällen stehe ich auf Seiten der Verfolgten. Sofern sie nicht selbst Verfolger von Anhängern anderer Religionen sind. Dann werde ich zu deren Gegner.

Henryk M. Broder genieße ich als Leser seit Jahrzehnten. Den wöchentlichen Spiegel, den ich zu DDR-Zeiten auch manchmal riskant durch die bedrohlichen Grenzkontrollen CSSR/DDR schmuggelte, verpasste ich zwischen dem Mauerfall 1989 bis zum Seebeben vor Fukushima 2011 nie. Broders segensreichem Wirken für den Spiegel zwischen 1995 und 2010 konnte (und wollte) ich dadurch überhaupt nicht entgehen. Stand im alten Spiegel ein großer Teil für mich seriös Verwertbares und ein kleiner Teil eher linksgrünes Gesülze, so drehten sich diese Relationen in den letzten Jahren leider zu einem großen Teil linksgrünen Gesülzes angereichert um kleine Teile eher seriösem Journalismus um. Der offenbare Wunsch, politische Stimmungen zu erfinden und zu lenken, ist widerlich.

Die Geburt der Achse des Guten bekam ich vor zwanzig Jahren am Rande mit. Das war damals nichts Aufregendes. Die deutsche Medienwelt schien noch multipositional in Ordnung, Internetmedien wie Achgut bereicherten die Landschaft. Der kommende Vernichtungskrieg der großen Printhäuser und der Öffentlich-Rechtlichen gegen die klugen und die Medienwelt bereichernden Blogs war noch nicht zu ahnen. Ich las also weiterhin alles vom Spiegel, Focus, Welt, FAZ, Süddeutsche und wie die wichtigen Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik von vor 2015 alle hießen. Nur das eigene Parteiblatt Vorwärts las ich damals schon lange nicht mehr.

Reine Parteisichten sind was für politische Selbstbefriediger. Gerade Politiker sollten sich umfassend informieren. So dachte ich als SPD-MdB, so denke ich heute als Sozialdemokrat ohne Parteibuch noch immer. Dass sich die deutsche Medienlandschaft viele Jahre später wie der SPD-Vorwärts lesen läßt, das hätte ich in meinen skeptischsten Augenblicken nie angenommen. Die Realität ist halt oftmals härter als schwere Albträume es sein können.

Meine Antwort „Ich schreib‘ beim Juden“ auf des Freundes Frage läßt mich seitdem nicht zur Ruhe kommen. Warum war mir die Formulierung in dem Moment so wichtig?

Aufgewachsen bin ich in einem proisraelischen Elternhaus. Der Vernichtungswille von Israels Nachbarn gegenüber der kleinen Demokratie im Nahen Osten war mir von Kindheit an so gegenwärtig wie die furchtbaren Kenntnisse der durch Deutsche industriell betriebenen Judenvernichtung im Dritten Reich. Auch in unserer Familie galt „Nie wieder dürfen Juden dem Vernichtungswillen ihrer Gegner schutzlos gegenüberstehen!“.
Die Juden hielten sich an den UN-Teilungsplan von 1947, die Beduinen nicht. Im Gegenteil, von der ersten Minute seines Bestehens musste sich der Judenstaat Israel genauso verteidigen wie es die Juden im Warschauer Ghetto 1943 unter unbeschreiblichen Opfern leider erfolglos versuchten.

Was gegen SS und Wehrmacht nicht gelang, das gelang 1948, 1956, 1967, 1973 bis heute. Israel, der demokratische Staat der Juden, zeigt auch aktuell erneut, Auschwitz wird sich nicht wiederholen können! Die Gegner Israels im Nahen Osten müssen auf ihr Ziel der Vernichtung des Judenstaates verzichten, erreichen werden sie dessen Ausradierung nicht.

Die politischen Helden meiner Kindheit und Jugend waren die Sozialdemokraten Willy Brandt, Moshe Dayan und Helmut Schmidt. Der NS-Verfolgte Willy Brandt war für mich der wichtigste Regierende Bürgermeister der Frontstadt (West-)Berlin und deutlicher Gegner der Kommunisten. Seine Mai-Reden prägten sich mir ein. Moshe Dayan war für mich der geniale Kopf der israelischen Verteidigung im sechs-Tage-Krieg 1967. Und Welt-Ökonom Helmut Schmidt stand so mutig wie konsequent gegen den RAF- und palästinensischen Terror (Mogadischu 1977) und für die Doppelte Nulllösung/NATO-Doppelbeschluß. Alle drei waren Sozialdemokraten. Alle drei waren schuld daran, dass ich Sozialdemokrat wurde.

Nicht nur die neuzeitlichen Überlebenskämpfe des neuzeitlichen jüdischen Staates prägten mich. Früh interessierte ich mich für Geschichte. Speziell die griechisch-römische Antike hatte es mir angetan. Wer sich für die Römische Republik und das Imperium Romanum interessiert, der kommt zwangsläufig an den jüdischen Aufständen gegen die Römer und vor allem an Flavius Josephus nicht vorbei. Dessen „Jüdischer Krieg“ ist Weltliteratur und beschreibt den jüdischen Aufstand zwischen 66 und 74 u.Z.

In dem Krieg siegte die römische Weltmacht, zerstörte 70 u.Z. den Tempel nach den Neubabyloniern 586 v.u.Z. ein zweites Mal. Der Kampf war auf jüdischer Seite sehr opferreich, jedoch noch kein römischer Vernichtungskrieg. Den Kaisern Vespasian und Titus ging es um die Niederschlagung. Der römische Vernichtungswille kam erst mit der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes 132-135 u.Z. unter Hadrian über die Juden in dessen Ergebnissen „die jüdische Bevölkerung drastisch dezimiert und vertrieben (wurde). Die Juden hatten kein eigenes Land mehr“. (Landeszentrale für politische Bildung BW). Juden lebten dennoch durchgehend im heiligen Land.

Pontius Pilatus, den Hohepriester Kajphas und Jesus einige Jahrzehnte vor dem Jüdischen Krieg beziehe ich absichtlich nicht ein. Ich schreibe diese Text als Agnostiker im Hinblick auf den sehr weltlichen Deutschen Henryk M. Broder, der auch Jude ist. Der „religiöse Zwist“ zwischen Juden und Frühchristen (Udo Lindenberg in „Wozu sind Kriege da?“) ist in diesem Punkt für mich nebensächlich in meiner Position zu Achgut.

Genug der alten Geschichte. Die zeitgenössische hat es auch in sich. 1947 stimmten 33 UN-Mitgliedsstaaten für und 13 gegen den Teilungsplan hinsichtlich des britischen Mandatsgebietes. Auf Seiten der Befürworter fanden sich mit den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die zwei wichtigsten Alliierten des Zweiten Weltkriegs. Das allerdings nicht mehr lange.

Stalin merkte schnell, die Juden tendieren zwar zum Sozialismus, jedoch nicht zu dem unter den Kasernenbedingungen der Sowjetunion. Frei, demokratisch und sozialistisch wollten es viele Juden in Israel. Der natürliche Partner für diese Rahmenbedingungen waren die Vereinigten Staaten. Die hatten es zwar nicht mit dem Sozialismus, aber unter demokratischen Bedingungen konnte der Klamauk ja nicht so schlimm werden. Die Amis hatten recht, wie der weitere Fortgang im entstehenden Israel des 20. Jahrhunderts bewies.

Stalin schwenkte um, vom temporären Nah-Ost-Juden-Förderer schwenkte er zurück zum in zaristischer Manier agierenden Judenmißgönner. Die jüdische Weltverschwörung waberte wieder durch die politische Landschaft, eine jüdische Ärzteverschwörung wurde in Stalins Umfeld strategisch „aufgedeckt“ und ein Schauprozess gegen die „jüdischen Ärzte“ war in Vorbereitung. Des Diktators Ausscheiden aus den weltlichen Dingen im März 1953 behütete die sowjetischen Juden vor der nächsten Pogromwelle nach dem Holocaust.
Siehe: Dan Diner: Ein anderer Krieg

Nach Stalins Tod kam zwar eine sogenannte Tauwetterperiode, eingeleitet mit Chruschtschows Geheimrede, doch die sowjetische Politik gegen den „zionistischen Judenstaat Israel als Marionette des US-Imperialismus“ blieb.  Auch in der DDR wurde Israel verteufelt und wurden seine Vernichter gepäppelt.

Der Antisemitismus und die Israelfeindlichkeit von AfD und BSW sind noch immer lebende Tentakel der sowjetischen Indoktrinierung, verbunden mit gesamtdeutschen Ressentiments aus NS-Zeiten.

Warum das Ausschweifen nach Israel und in den Nahen Osten, wenn ich doch meinen Satz „Ich schreib‘ beim Juden!“ auf den deutschen Staatsbürger Broder münze? Broder ist Deutscher, kein Israeli. Soweit ich weiß, geht er weder in Deutschland noch in Israel zum Zwecke der Religionsausübung in Synagogen. Broder nimmt an deutschen Wahlen teil, nicht an israelischen. Broders Regierungen sind deutsche Regierungen, keine israelischen. Broder schreibt und handelt als engagierter deutscher Staatsbürger, nicht als israelischer. Letzteres ist er nicht.

Henryk M. Broder kritisiert den Mumpitz der Transformation und allerlei weiteren unsäglichen Unfug. Deshalb gilt er im linksgrünen Mainstream als Rechter und seine Achse des Guten als verdammungswürdiges und zur wirtschaftlichen Vernichtung freigegebenes Medium. Wer bei Achgut schreibt, fällt ebenfalls unter dieses Verdikt. Es riecht und schmeckt nach „Annonciert nicht beim (rechten) Juden! Scheibt nicht beim (rechten) Juden!“

Achgut steht auf Seiten des von Vernichtung bedrohten Israels und der überfallenen Ukraine. Das missfällt vielen Putinfreunden im Lande. Auch die sehen insgeheim den Juden Broder und nicht den Journalisten Broder.

Es hat sich also nix geändert. Juden, ob religiös oder säkular, bleiben unter besonderer Beobachtung. Und wenn sie die Klappe und dazu noch intelligent aufmachen, wird’s anrüchig.

Diesen Text schreibe ich vor dem 7. Oktober 2024. Ich schreibe gern beim Juden. Auch weil der israelische Jude Netanyahu in diesen Tagen, Wochen und Monaten drauf und dran ist, nicht nur Israel und sein Volk vor der Vernichtung langfristig zu retten und eine friedvollere Ordnung im Nahen Osten zu etablieren, sondern weil er damit sogar dem feigen Westen das Überleben sichert.

Quelle: Weissgerber – Freiheit