Der russische Überfall auf die Ukraine veränderte die Sicherheitseinschätzungen Finnlands und Schwedens. Beide Staaten tauschen angesichts der akuten Bedrohung ihre militärische Neutralität gegen die Sicherheit innerhalb des Defensivbündnisses NATO und folgen damit zwei Jahrzehnte später den Ungarn, Polen, Balten, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Slowenen und Bulgaren. Finnland ist bereits NATO-Mitglied, Schweden muss sich noch gedulden.
Sowohl die Türkei als auch Ungarn haben den schwedischen Beitrittsantrag noch nicht ratifiziert, obwohl beide Staaten im Grundsatz mit einer schwedischen NATO-Mitgliedschaft einverstanden sind. Während die Türkei mit der innenpolitischen Situation in Schweden hinsichtlich ihres Verständnisses von Terrorbekämpfung und Blasphemie Probleme sieht, sieht sich die ungarische Öffentlichkeit seit vielen Jahren von schwedischen Politikern verunglimpft und als Paria dargestellt.
Das Bild Ungarns in Schweden und in der EU bedarf der Richtigstellung. Partner ist man auf Augenhöhe und das besonders in einem Verteidigungsbündnis! Was aus Schweden seit 2010 über Ungarn aus linksgrünen Kübeln ausgeschüttet wird, muss abgeräumt werden – durch Schweden. Die neue schwedische Regierung könnte das geerbte Problem leicht und schnell lösen. Ungarns Verunglimpfung sprießte im geistig-kulturellen Klima der feministischen linksgrünen Vorgängerregierung.
Balazs Orban, der politische Direktor in der ungarischen Regierung (er ist nicht verwandt mit Viktor Orban) sagt es am 30. Juli 2023 im „Mandiner“ deutlich:
„Unter den Abgeordneten der Regierungsparteien meinten jedoch nicht wenige, warum sollten wir den Schweden zur Seite stehen, die uns seit mehr als zehn Jahren systematisch beleidigen?“. Weiterhin führte er aus „Einen konkreten Zeitpunkt dafür kann ich Ihnen nicht benennen, die ungarische Position hat sich aber nicht geändert. Die Regierung entschied nach heftigen Debatten, dem Beitritt der Schweden zum Militärbündnis zuzustimmen, nun ist das Parlament an der Reihe.“
Die ungarische Regierung ist demnach für eine schwedische NATO-Mitgliedschaft. Auch aus ungarischer Sicht wird die NATO damit noch abwehrbereiter, somit wird auch Ungarn noch sicherer vor Invasionen. Die NATO-Mitgliedschaft hilft nicht nur Schweden. Ich persönlich glaube ohnehin, die Armeen der Ungarn, der Polen, der Balten, der Finnen, der Schweden wären im Ernstfall, der hoffentlich für die NATO nie eintritt, sind neben den US-amerikanischen und britischen Streitkräften die stärkeren Garanten unserer Wehrfähigkeit als beispielsweise die systematisch zum feministischen Spielzeug transformierte Bundeswehr Deutschlands.
Balazs Orban verweist in dem Interview zu Recht auf die Mitspracherechte des ungarischen Parlaments. Viele Abgeordnete denken sicherlich „jahrelang haben uns schwedische Politiker ihre Geringschätzung der ungarischen Demokratie miserabel ‚mitgeteilt‘ und jetzt brauchen uns die Schweden und alles soll vergessen sein?“
Ich war selbst zwei Jahrzehnte Abgeordneter, ich verstehe die Haltung der Kollegen im ungarischen Parlament und diesbezüglich in der ungarischen Bevölkerung. Die Abgeordneten sind freie Vertreter ihres Volks und wurden bekanntlich nicht für Schweden in Schweden gewählt. Es liegt eindeutig an den schwedischen Politikern und der dortigen Regierung, den Ungarn mitzuteilen, dass Schweden in Zukunft vor der eigenen Haustür kehren und das nicht mehr überheblich und beleidigend von Stockholm oder Brüssel aus in Budapest, Debrecen, Pecs, am Balaton oder in der Hortobágy Puszta und allen anderen Regionen Ungarns praktizieren wird!
Mit den Worten Balazs Orbans klingt das so: „In jüngster Zeit waren mehrere Minister in Schweden zu Besuch, auch ich war dort, und eine Delegation unseres Parlaments verhandelte in Stockholm. Von einem Besuch der Schweden in Budapest habe ich aber nichts vernommen.“
Zugegebenermaßen stecken die schwedische Regierung und das schwedische Parlament in einem Dilemma. Abgeordnete sind frei und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Keine demokratische Regierung und kein demokratisches Parlament kann politische Positionen von Abgeordneten, von Abgeordnetengruppen oder von Fraktionen verbieten. Aber: beide Institutionen können ihre Mehrheitsmeinung eigenständig formulieren!
Soweit ich den richtigen Überblick habe, haben sich die schwedischen Regierungen und das schwedische Parlament nicht kritisch mit Ungarn auseinandergesetzt, sie haben die unsäglichen Diskussionen ohne Intervention und ohne Schadensabwägung laufen lassen. Das war nicht klug.
Es waren immer einzelne Abgeordnete, Abgeordnetengruppen oder Fraktionen, die sich zu Zensoren Ungarns aufschwangen. Sachlich kann somit nicht eindeutig von einer antiungarischen Haltung von Schwedens Regierung oder Parlament gesprochen werden. Aber, sie haben den Eindruck fahrlässig entstehen lassen.
Weder Regierung oder Parlament können sich für diese Einzel- oder Gruppenmeinungen entschuldigen. Der gangbare Weg für Schweden, um auf Ungarn zuzugehen, wären regierungsamtliche Neupositionierungen und parlamentarische Erklärungen, die den Wunsch des Königreiches Schwedens auf ein Verhältnis auf Augenhöhe mit der Republik Ungarn anstreben und sich ausdrücklich von Bestrebungen absetzen, Ungarn innerhalb der EU weiterhin parteipolitisch zu diskreditieren. Zumal die Flut falscher Beschuldigungen vor allem aus der äußersten Linken Schwedens kommt.
Eine Einladung des schwedischen Reichstagspräsidenten an den ungarischen Parlamentspräsidenten zum Zwecke besserer bilateraler Beziehungen zwischen den beiden Volksvertretungen könnte ein erster Schritt sein. Auch ein Treffen des schwedischen Ministerpräsidenten mit dem ungarischen Ministerpräsidenten in Stockholm wäre ein notwendiger und kluger Schritt. Regierungschefs sollten miteinander reden und nicht übereinander.
Demokratietheoretisch besonders interessant: Ausgerechnet Linksextreme verurteilen das demokratische Ungarn, welches sich vor über dreißig Jahren erfolgreich von einer linksextremen Diktatur befreite. Wer soll das eigentlich ernst nehmen?
Die schwedischen links-grün-femininen Kritiker Ungarns haben sehr viele überzogene Vorwürfe nach Budapest aus Brüssel und Stockholm gerichtet. Die Liste ist enorm. Fleißig wie die Antifa sozusagen. Ich rufe einiges davon in Erinnerung:
In Ungarn findet eine „staatlich unterstützte Verfolgung“ („state-sponsored persecution“) statt – „Ungarn kann man nicht länger als echte Demokratie bezeichnen“ – in Ungarn funktionieren „die Institutionen und die Gerichte nicht“ – „Viktor Orbán und seine Lakaien graben sich mit ihren Krallen tief in die ungarische Gesellschaft“ – In der aktuellen Legislaturperiode seit Juli 2019 hat das Europaparlament insgesamt 11 Plenardebatten geführt, die sich ausdrücklich mit Ungarn beschäftigten. Es gibt kein anderes Land, ganz zu schweigen von einem EU-Mitgliedstaat, mit dem sich das EP irgendwann in diesem Umfang und dieser Tiefe beschäftigt hätte – Die eklatantesten Beispiele für eine systematische und anhaltende Ungarn-Feindlichkeit der Linken sind der Tavares-Bericht (2013), der Sargentini-Bericht (2018) bzw. der Delbos-Corfield-Bericht (2022), bei deren Debatten in Fachausschüssen und im Plenum einzelne schwedische und finnische Europaabgeordnete eine markante Rolle spielten usw. usf.
Der Standpunkt vieler ungarischer Abgeordneter im EU-Parlament und im ungarischen Nationalparlament lässt sich aus meiner Sicht im Moment in diese Worte fassen:
Die in diesen Berichten niedergelegten, unendlich oft wiederholten politischen Anschuldigungen, ideologisch motivierten Lügen und Verdrehungen wurden von Seiten der ungarischen Regierung unzählige Male dementiert, die jene rechtlichen Debatten, die in den Berichten zur Hilfe gerufen wurden, mit der EU-Kommission überwiegend beilegen konnte. Die schwedische Linke hält all diese Themen nichtsdestotrotz auf der Tagesordnung.
Dem habe ich aus eigener Beobachtung der Diskussionen und Entwicklungen in der Europäischen und Union und Ungarns nichts hinzuzufügen. Außer: Der Ball liegt in Stockholm. Damit Schweden endlich NATO-Mitglied werden kann.
Quelle: Weissgerber – Freiheit