Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler vor dem Konzertder Augsburger Domsingknaben und des Münchner Residenzorchesters in derSixtinischen Kapelle

Deutschland hat in diesem Jahr allen Grund zur Dankbarkeit. Wir sind dankbar für 60 Jahre geglückte Demokratie. Wir sind dankbar dafür, dass vor 20 Jahren in einer friedlichen Revolution die Mauer fiel und sich der Weg für die deutsche Einheit in Freiheit öffnete. Und da sind unsere Gedanken natürlich auch bei Papst Johannes Paul II.
Er hat den Menschen vor mehr als 30 Jahren zugerufen: „Habt keine Angst! Öffnet, ja, reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht!“ Johannes Paul II. hat sich nicht an einzelne Staatsmänner gewandt, sondern direkt an die Völker. „Habt keine Angst!“ Wie viel Kraft hat er den Menschen damit gegeben. Seine Worte waren eine große Ermutigung für die Freiheitsbewegungen in Mittel- und Osteuropa.
Für mich bleibt auch das folgende Wort von Johannes Paul II. eine bleibende Wegweisung: „Es ist Gottes Wille, der Deutschland und Polen zu Nachbarn gemacht hat.“ Ich verstehe dieses Wort als Verpflichtung, gerade auch die gute Zusammenarbeit und Versöhnung mit unseren polnischen Nachbarn voran zu bringen. Wir haben auf diesem Weg schon viel Gutes erreicht. Und unsere gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union erleichtert die weiteren Fortschritte.
Vor 20 Jahren schwammen die Völker Europas auf einer Welle der Euphorie. Doch nicht alle Erwartungen von damals haben sich erfüllt. Probleme, die der Ost-West-Konflikt in den Hintergrund gedrängt hatte, fordern jetzt unsere Aufmerksamkeit. Ich nenne Armut, Hunger und Unterentwicklung. Und ich nenne neue Herausforderungen wie den Klimawandel und eine nachhaltige Bewältigung der Finanzkrise.
Sie, Eure Heiligkeit, haben die Staaten der Welt aufgefordert, bei diesen Fragen gemeinsam zu handeln. „Die Entwicklung der Völker hängt vor allem davon ab, sich als eine einzige Familie zu erkennen, die in einer echten Gemeinschaft zusammenlebt (…)“, heißt es in Ihrer Sozialenzyklika. In einer echten Familiengemeinschaft muss niemand beiseite stehen, und alle achten und helfen einander. Für die Völkergemeinschaft heißt das: Afrika muss sich mit den gleichen Rechten und Pflichten in sie einbringen können. Sie haben das schon oft hervorgehoben, Eure Heiligkeit, und ich bin dankbar dafür. Uns eint der Wunsch und die Forderung, eine „echte politische Weltautorität“ zu schaffen, damit alle Menschen unserer Erde ein gutes Leben haben können.
Vernunft und Glaube begründen eine kooperative Weltpolitik. Der Kampf gegen Armut und der Kampf gegen den Klimawandel sind ein gemeinsamer Kampf für Frieden und für eine lebenswerte Welt.
Denken wir an unsere gemeinsamen Verpflichtungen. Denken wir an das Glück, das der Mauerfall und die europäische Einigung uns gebracht haben. Denken wir daran, wenn wir gleich die Augsburger Domsingknaben und das Münchner Residenzorchester spielen hören. Mit den Kantaten aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach entbieten wir Ihnen, Eure Heiligkeit, zugleich die besten Grüße aus der Heimat. Wir wünschen Ihnen Gesundheit und Kraft. Mit Ihrem Wirken tragen Sie zum Zusammenhalt der Welt bei. Das macht uns froh und dankbar.

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