Gruppenvergewaltigung in Hamburg-Harburg – 14-jähriges Opfer wurde „weggeworfen wie Müll“

Spuren im Schnee, Foto: Stefan Groß

Chronologie einer herausfordernden Sexualstraftat

„Weggeworfen wie Müll“ – diese erschütternden Worte kamen aus dem Munde des Vorsitzenden Richters Georg Halbach am Landgericht Hamburg. Er leitete den Prozess gegen fünf Angeklagte wegen einer Gruppenvergewaltigung in Hamburg-Harburg im Februar 2016. Will man die Chronologie dieser furchtbaren Straftat zusammenfassen, so könnte dies wie folgt aussehen: extrem brutales und frauenverachtendes Sexualdelikt einer Gruppenvergewaltigung an einer 14-Jährigen im Februar 2016 in Hamburg-Harburg; die Täter waren drei Deutsche und zwei Serben; vier der Täter waren zur Tatzeit noch im Jugendalter; mildes Urteil im ersten Prozess, da alle Täter nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden; schamloses Verhalten der Täter vor Gericht; Aufschrei, Empörung und Petition der Bevölkerung wegen zu milder Urteile; Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft; sehr kluge Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs; Revisionsprozess mit Urteil im Juni 2018 und höheren Strafen. Nach dem ersten Prozess hatte nur der älteste 21-Jahre alte Haupttäter eine Haftstrafe antreten müssen. Nun erhielten drei der fünf Täter eine Gefängnisstrafe. Bei allen Tätern wurde das Strafmaß erhöht.

 

Was ist geschehen? – Zum Tathergang

Am 11. Februar 2016 besuchte die 14-jährige Nicola in Begleitung ihrer angeblichen Freundin Lisa A. (15 Jahre alt) die Geburtstagsparty von Dennis M., der gerade 14 Jahre alt geworden ist. Es wird wie üblich von allen viel Alkohol getrunken. Als Nicola betrunken und wehrlos auf der Couch liegt, wird sie von vier männlichen Tätern vergewaltigt. Darunter ist auch das 14-jährige „Geburtstagskind“. Haupttäter ist der älteste der vier Vergewaltiger, der 21-jährige Serbe Bosco Pavlovic. Die beiden anderen Täter sind bei der Vergewaltigung 16 Jahre alt. Die Demütigung der wehrlosen 14-Jährigen wird dadurch gesteigert, dass ihr die Täter eine Taschenlampe und eine Glasflasche in die Scheide einführen. Die angebliche oder „falsche“ 15-jährige Freundin Lisa filmt die ganze Aktion auf einem Video und gab sogar lachend Regieanweisungen. Das Video wurde später bei den polizeilichen Ermittlungen und im Gerichtssaal gezeigt wird. Nach der Gruppenvergewaltigung legten die Täter ihr Opfer spärlich bekleidet ins Freie auf einen Betonboden. Es war Februar und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ein Nachbar hörte schließlich das leise Wimmern des Opfers und betätigte den Notruf. Nicola war mittlerweile bis auf 35,4 Grad Körpertemperatur abgekühlt und in einem lebensbedrohlichen Zustand. Sie konnte gerade noch auf der Intensivstation gerettet werden.

 

Schamloses Auftreten der Täter und ihrer Angehörigen

Die Fratze der Menschenverachtung, das Böse, das Sadistische und das Schamlose, die bereits in der Brutalität der Vergewaltigung zum Ausdruck kamen, wurden während der ersten Gerichtsverhandlung durch das Verhalten des Haupttäters Bosco Pavlovic peinlich demonstriert. In Siegerposen mit Feixen, Grinsen, provozierendem Zuwinken an seine hinter einer Glasscheibe sitzende serbische Großfamilie verhöhnte er das Gericht ebenso wie das nicht anwesende Opfer. In der ZEIT vom 20.10.2016 hat Elke Spanner das Verhalten wie folgt beschrieben:

„Sie waren wie die Sieger in den Saal eingezogen, hatten vor den Zuschauern gepost und Faxen gemacht. Beim Urteil gegen sie sich etwas kleinlauter. Nur Bosco P. nicht. Als alles vorüber ist, steht er auf. Er dreht sich zu den Zuschauern um, reckt die Arme in die Höhe. Er ruft etwas auf Serbisch zu seiner Familie im Zuschauerraum. Dann macht er Gesten. Er deutet auch eine Sexbewegung an und grinst. Die Show ist erst vorbei, als ein Justizbeamter ihn in die Haft abführt.“

Ähnlich beschrieb es im Hamburger Abendblatt vom 26.10.2016 Daniel Herder:

„Bosco P. zeigte im Gerichtssaal erst feixend eine Stoßbewegung mit den Hüften, um sich dann für die geschmacklose Geste mit erhobenem Zeigefinger zu tadeln. Die Mütter der jugendlichen Täter brechen vor Freude in Tränen aus, Freunde und Angehörige der Angeklagten strahlen.“

Die milden Urteile des Gerichtes wurden von den Tätern und ihren Angehörigen wie ein Sieg gefeiert. Menschenverachtende Siegerposen und Feierlaune prägten die Atmosphäre nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Von Reue über die abscheulichen Taten keine Spur! Das alles ist sehr schamlos. Deshalb ist der Prozessbericht in der Berliner TAZ treffend mit den Worten überschrieben: „Kein bisschen Scham“.

 

Zu milde Urteile

Im ersten Prozess vom Landgericht Hamburg zwischen August und Oktober 2016 lautete die Anklage „schwerer sexueller Missbrauch und gefährliche Körperverletzung“. Die Urteile im Oktober 2016 lauteten wie folgt: Vier Jahre Gefängnis für den 21-jährigen serbischen Haupttäter Bosco Pavlovic, Bewährungsstrafe zwischen ein und zwei Jahren für die vier anderen jugendlichen Täter. Vor Urteilsverkündigung saßen alle vier männlichen Täter in Untersuchungshaft. Nach diesem milden Urteil konnten drei der vier Täter wieder als freie Menschen den Gerichtssaal verlassen. Nur der Haupttäter Bosco Pavlovic blieb in Haft. In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter Georg Halbach: „Die Strafen werden einem Teil der Öffentlichkeit milde erscheinen. Daran hat sich aber die Kammer nicht zu orientieren.“ Der Bundesgerichtshof war anderer Meinung und hob die zu milden Urteile auf.

 

Aufschrei, Empörung und Petition in der Öffentlichkeit

Das Entsetzen der Öffentlichkeit über die zu milden Urteile war groß. Dies spiegelt sich in den Medienberichten wider, die nach der Urteilsverkündung über diesen Prozess geschrieben wurden. Dass drei der Gruppenvergewaltiger nach dem Urteil den Gerichtssaal als freie Menschen verlassen konnten, hat viele Leserbriefschreiber empört. Die Bilder der Medien über die feixenden und jubelnden Täter mit Siegerposen hat die Öffentlichkeit mehr als befremdet und verstört. Es kam zu einer öffentlichen Petition, die von mehr als 100.000 Menschen unterschrieben wurde. Darin wurden höhere Strafen für die Vergewaltiger gefordert.

 

Revisionsantrag durch die Staatsanwaltschaft und Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs

Die Staatsanwaltschaft hielt die verhängten Urteile für unangemessen milde ein und beantragte Revision beim Bundesgerichtshof. Dieser hob die Urteile auf. Es forderte das Landgericht auf, neben der Vergewaltigung weitere Straftaten zu prüfen, die im ersten Prozess nicht genug berücksichtigt worden seien. Das Opfer sei schließlich im Hinterhof fast erfroren und wurde damit in Lebensgefahr gebracht. Weiterhin wurde der sexuelle Missbrauch von Anwesenden mit dem Handy gefilmt, was den Straftatbestand des Herstellens jugendpornographischer Schriften erfüllen könnte.

 

Härtere Urteile im zweiten Prozess

Vom Januar bis Juni 2018 erfolgte der Revisionsprozess am Landgericht Hamburg. Die Anklage lautete jetzt auf: „schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, gefährliche Körperverletzung und das Anfertigen jugendpornographischen Materials.“ Nun erhielten alle fünf Angeklagten höhere Strafen. Drei der männlichen Täter erhielten Haftstrafen. Zwei Angeklagte, die beim ersten Prozess eine Bewährungsstrafe erhielten, haben die Zeit bis zum zweiten Prozess dafür „genutzt“, weitere Straftaten zu begehen. Für sie waren nun Haftstrafen angemessen. Die Haftzeit wurde beim Haupttäter Bosco Pavlovic von vier auf viereinhalb Jahre Gefängnis erhöht. Von den beiden anderen männlichen Mittätern, die vorher Bewährungsstrafen erhalten hatten, wurde der eine zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, der andere erhielt drei Jahre. Der vierte Vergewaltiger erhielt nun eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Die „fragwürdige“ Freundin Lisa erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten.

 

Gruppenvergewaltigung in Freiburg vier Monate nach dem Revisionsurteil von Hamburg

Die entsetzliche Gruppenvergewaltigung von Hamburg hat die deutsche Öffentlichkeit fast drei Jahre beschäftigt. Nun ist kurz nach diesem Revisionsurteil am Landgericht Hamburg ein neuer schwerer Fall von Gruppenvergewaltigung aufgetreten. In Freiburg wurde am 13. Oktober 2018 eine 18-Jährige von mindestens acht Tätern vergewaltigt. Nach weiteren Tätern wird gesucht. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Als Tatverdächtige sitzen sieben Syrer und ein Deutscher in Untersuchungshaft. Der Haupttäter ist vermutlich der 21-jährige Syrer Majid H. Er ist seit Jahren wegen mehrerer schwerer Delikte (Sexualstraftaten und Gewaltdelikte) der Polizei bekannt und gegen ihn lag ein Haftbefehl vor, in dem er als gefährlicher Intensivtäter bezeichnet wurde. Der Haftbefehl wurde aber leider nicht vollstreckt, so dass dem Täter diese vorerst letzte Tat durch Nichthandeln der Polizei ermöglicht wurde.

 

Offene Fragen

Liest man die zahlreichen Medienberichte über die Hamburger Gruppenvergewaltigung, so dürfte sich bei den meisten Menschen Empörung und gerechter Zorn einstellen. Massive Ächtung solcher Schwerkriminalität erscheint dringend notwendig. Die Verhöhnung der Opfer und des Gerichts durch schamlos sich gebärdende Täter sollte ebenfalls massiver geahndet werden. Wie soll bei diesen Bildern, diesen Gesten und diesen Worten Respekt vor dem Gesetz und vor Gerichten vermittelt werden? Weiterhin sollte jeder Bürger, der eine oder mehrere Töchter hat, sich die Frage stellen: Was würde ich fühlen, wenn meiner 14-jährigen Tochter das widerfahren würde, was der 14-jährigen Nicola im Jahr 2016 im Hamburg widerfuhr?

 

Zitierte Literatur:

Herder Daniel, Gruppenvergewaltigung: 21-Jähriger feiert sich nach Urteil.                                       Hamburger Abendblatt vom 20.10.2016

Lettgen Stephanie, Dördrechter Wiebke, Weggeworfen wie Müll. Männer                             vergewaltigen Mädchen in Hamburg. DIE WELT vom 20.10.2016

Maestro Andrea, Kein bisschen Scham. Missbrauchs-Prozess in Hamburg.

Taz vom 25.8.2016

Maxwill Peter, „Bloßstellung, Verängstigung, Stigmatisierung. Prozess nach                          Gruppenvergewaltigung. Spiegel online vom 10.1.2018

Spanner Elke, Zu wenig Reue. Gruppenvergewaltigung. DIE ZEIT vom 13.6.2018

 

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacher Straße 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

 

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.