Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Es wird bei minus 252 Grad Celsius flüssig und bei minus 259 Grad Celsius fest. Wasserstoff kann mit verschiedenen Verfahren gewonnen werden. Seit mehr als hundert Jahren bekannt ist die Wasserelektrolyse. Leitet man Gleichstrom durch Wasser, dann entwickelt sich an der Kathode Wasserstoff und an der Anode Sauerstoff. Zwar gibt es noch weitere Möglichkeiten, Wasserstoff zu erzeugen („Reformierung“), doch haben diese nur geringere Bedeutung.
Der Wirkungsgrad von Wasserstoff ist schlecht. Er liegt – über die ganze Energiekette gerechnet – für ein Wasserstoff-Brennstoffzellen-Auto bei nur 27 Prozent, also deutlich unter dem Wirkungsgrad von Batterie betriebenen Autos. Wasserstoff ist damit ein teurer und rarer Energieträger und wird dies auch bleiben. Dennoch ist Wasserstoff in der Politik ein heiß gehandelter Favorit, u.a. um nach Abschalten der nuklearen und fossilen Kraftwerke eine drohende Dunkel- oder Halbdunkelflaute zu überstehen. Die Kohlekommission weist in ihrem Abschlussbericht ausdrücklich auf die Nutzung von erneuerbarem Strom zur Erzeugung von lagerfähigem Wasserstoffgas und die Rückverwandlung des Gases in Strom hin, um Versorgungslücken zu überbrücken. Das Gas könne, so die Theorie, in das bestehende Gasnetz eingespeist oder in unterirdischen Speichern mit hoher Speicherkapazität gelagert werden, in welcher Form auch immer. Fachwelt und Politik, so fährt die Kommission fort, seien sich einig, dass man diese Technologie in jedem Fall benötige. Ob und wie die dazu notwendige Hochdruck- oder Tiefstkühlspeicherung erfolgen soll, ob eine Umwandlung in Methanol o.ä. vorzuziehen ist, bleibe Folgeuntersuchungen vorbehalten. Die mit hochkarätigen „Fachleuten“ aus Kirche und Gewerkschaft besetzte Kohlekommission steht damit im Widerspruch zum „Umweltrat“, der in einem Gutachten feststellt: „In Deutschland ist derzeit eine unterirdische Ablagerung von CO2 rechtlich nicht möglich“ (Wasserstoff im Klimaschutz, Juni 2021).
Deutschland, Cape Canaveral des Wasserstoffs
Die Bundesregierung plant „zur Förderung von zwanzig Modellprojekten in Form von ‚Reallaboren‘ sowie für die Erforschung ‚energieoptimierter Quartiere‘ 700 Millionen Euro“ ein. Insgesamt will sie neun Milliarden Euro in das neue Programm „Grüner Wasserstoff“ investieren. Das Verfahren wird von der Bundesregierung – analog zur Windkraft-Technologie – zu einer weiteren „Schlüsseltechnologie der Energiewende“ erhoben. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Altmaier äußerte im Oktober 2019 vor 3.000 Vertretern des deutschen Mittelstandes: „Wir wollen bei Wasserstofftechnologien die Nummer eins in der Welt werden“. Sein damaliger Kollege, der Bundesminister des Auswärtigen, Heiko Maas, ein Jurist, ergänzte: „Wasserstoff ist das Gold der Zukunft“, während Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, eine ausgebildete Hotelfachfrau, im Januar 2020 ergänzte: „Wir brauchen ein Cape Canaveral des Wasserstoffs in Deutschland“.
Für die Produktion von „grünem“ Wasserstoff“ sei ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlich“, stellt der Stahlproduzent ThyssenKrupp in einer Untersuchung fest („Klimastrategie von Tyssenkrupp Steel“, 2021). Das Thyssenpapier fordert deshalb, „da der Bedarf nicht allein durch einen Heimatmarkt gedeckt werden kann, muss über Importvarianten nachgedacht werden“. Und auch die Bundesregierung meint, dass „der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage importiert“ werden müsse. Als mögliche Handelspartner gälten insbesondere Länder, die über vorteilhafte Standortbedingungen für die Produktion von Solar- und Windstrom verfügten. Welche Länder konkret infrage kämen, ob deren Kapazitäten ausreichen, um das hungernde Deutschland mit Wasserstoff zu versorgen und ob die Transportkosten des importierten grünen Wasserstoffs überhaupt eine industrielle Nutzung zulassen, ist in allen Studien und Verlautbarungen der Bundesregierung unbeantwortet geblieben.
Auf dem o.a. Wunschzettel von Thyssenkrupp stehen sehr ausgeprägte Forderungen an die Politik: „Für die bauliche Anpassung der Anlagen […] ist das Unternehmen darüber hinaus auf schnelle Genehmigungsverfahren angewiesen“. Mit anderen Worten: eventuelle Einsprüche, aus welchen Gründen auch immer, sollen im Schnellverfahren abgewiesen werden. Außerdem „dürfen sich die Produktionsbedingungen für die Stahlindustrie nicht verschlechtern“. Dahinter verbergen sich vom Steuerzahler subventionierte Energie- und Wasserstoffpreise, Sonderkonditionen im Europäischen Emissionshandel und Schutz vor „unfairen Importen“. Zum Schluss fordert Thyssenkrupp: „Um einen Absatzmarkt für klimaneutralen Stahl zu schaffen, sind Anreize zu dessen Einsatz auf Abnehmerseite erforderlich“. Unter solchen Bedingungen – staatliche Subventionen, Sondergenehmigungen, Handelsvorteile und Importbeschränkungen – kann die Stahlerzeugung mittels grünem Wasserstoff gedeihen. Ob diese verdeckte Verstaatlichung der EU, China oder den USA gefallen wird, steht in den Sternen.
Das konkurrierende Ausland schläft nicht
Ohnehin ist der Anspruch,“Weltmeister“ in der Wasserstoffproduktion zu werden, als Ausdruck der deutschen Leidenschaft zu bewerten, sich zu überheben. Denn das konkurrierende Ausland schläft nicht. Japan gilt als Vorreiter der Wasserstofftechnologie für Verkehrszwecke. Die dafür benötigte Elektrizität will Japan durch Steigerung des Kohleverbrauchs von 24 auf 26 Prozent im japanischen Energiemix gewinnen. Frankreich will mithilfe seiner 56 und weiterer in Planung befindlichen Kernkraftwerke Wasserstoff durch die stromintensive Elektrolyse erzeugen. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire stellte am 08. September 2020 Pläne vor, bis 2030 sieben Milliarden Euro zu investieren, um in Frankreich Wasserstoff herstellen zu können. So soll die heimische Industrie gestärkt und verhindert werden, auf Importe angewiesen zu sein. Parallel will der französische Energiekonzern Engie im sonnenverwöhnten Spanien große Mengen an grünem Wasserstoff erzeugen („HyDeal“). Russland plant, die jährlichen Exporte des grauen Wasserstoffs bis 2050 auf 33,4 Millionen Tonnen zu steigern. Die großen Erdgasreserven könnten das Land innerhalb von Jahrzehnten zu einem der größten Wasserstoffproduzenten der Welt machen, teilte der stellvertretende russische Energieminister Pawel Sorokin im April 2021 mit (RT DE). Der preisgünstige russische „graue“ Wasserstoff würde damit zur Konkurrenz des teuren deutschen „grünen“ Wasserstoffs.
Katherina Reiche (CDU), seit 2020 Vorsitzende des „Nationalen Wasserstoffrates“, versetzte der Regierungs-Euphorie einen weiteren Dämpfer: „Der Rest der Welt schläft nicht. Andere Nationen waren schneller als wir und sind zudem deutlich zielstrebiger. … Die Stromkosten sind der größte Kostentreiber bei der Wasserstoffelektrolyse. Unternehmen, die in die Wasserstoffelektrolyse investieren wollen, brauchen daher eine verlässliche und langfristige Zusage, dass sie bei den Stromkosten deutlich entlastet werden“ (Handelsblatt, 23. März 2021). Das Ziel, bis 2030 mit Wasserstoff Elektrolysekapazitäten von fünf Gigawatt herzustellen, sei nicht erfüllbar. Dabei reiche diese Menge gerade mal aus, um jährlich 14 Terawattstunden grünen Wasserstoff zu produzieren. Es bleibe eine Lücke von jährlich etwa 40 Terawattstunden Wasserstoff, um den bereits heute vorhandenen Gesamtbedarf von 57 Terawattstunden decken zu können. So spricht also einiges dafür, dass Deutschland mit dem“Cape Canaveral des Wasserstoffs“ noch etwas warten muss.
Wasserstoff aus der Wüste
Da sich „grün-deutscher Wasserstoff“ als eine Utopie herausstellt, um ein auf Wind und Sonne angewiesenes neues Energiedeutschland mit Strom versorgen zu können, will die Bundesregierung „grünen“ Wasserstoff in großen Mengen aus Australien und Nordafrika importieren. Ziel sei es, den deutschen Energiebedarf bis 2050 aus importiertem, nachhaltig erzeugtem Wasserstoff zu decken. Wasserstoff-Importe seien notwendig, da in Deutschland „die Akzeptanz von Windrädern einfach begrenzt“ sei. In Afrika scheine die Sonne „nahezu unbegrenzt“, meint der ehemalige Entwicklungsminister Gerd Müller. Selbst die Ukraine mit ihren langen Wintern sei nach Überzeugung von Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energie-Agentur, ein aussichtsreicher Kandidat für eine Wasserstoffpartnerschaft. „Wir sehen in der Ukraine großes Potenzial für den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft“, so Kuhlmann.
Die Bundesregierung setzt damit auf die politisch instabilen Länder Nordafrikas, insbesondere auf das autokratische Königreich Marokko, das sich seit Jahrzehnten mit der Westsahara-Befreiungsfront Frente Polisario in bewaffneten Auseinandersetzungen befindet. Die FDP beeilt sich, auf den Zug aufzuspringen und will grünen Wasserstoff zum „Öl des 21. Jahrhunderts“ machen.
Aber bei der Elektrolyse wird nicht nur viel Strom gebraucht, sondern auch erhebliche Mengen an Wasser: Neun Kilogramm, um ein Kilo Wasserstoff herzustellen. Wo das Wasser in der nordafrikanischen Wüstenlandschaft herkommen soll, bleibt ein Geheimnis. Zwar ist es denkbar, entsalztes Meerwasser zu verwenden („Dieses Meerwasser soll mithilfe erneuerbarer Energie zuerst entsalzt und dann für die Wasserstoff-Produktion genutzt werden“,BM Forschung/Bildung2020), aber die hierfür benötigten Entsalzungsanlagen verbrauchen – welch eine Überraschung – wiederum Energie. So wird also zweimal Strom investiert, um am Ende einmal Strom für Deutschland zu produzieren; ein Verfahren, das dem deutschen Strompreis einen unangefochtenen Spitzenplatz garantiert.
Und da wäre auch noch das leidige Transportproblem, das den afrikanischen Traum zu einem Albtraum werden lässt. Denn Wasserstoff besitzt aufgrund seiner geringen Molekülgröße das höchste Diffusionsvermögen aller Gase, ist also recht flüchtig und lässt sich nicht gut transportieren. Üblicherweise wird der Wasserstoff entweder gasförmig bei 200 – 800 bar in speziellen Druckbehältern oder in flüssiger Form bei -253 Grad Celsius gespeichert. Afrikanischer Wasserstoff müsste also tief gekühlt oder hoch komprimiert gasförmig oder flüssig per Schiff nach Deutschland transportiert werden. Dabei gehen beim Transport etwa ein Drittel des Wasserstoffes verloren. Und die Schiffsmotoren möchten für die Hin- und Rückfahrt auch ihren Anteil an Wasserstoff haben. Greenpeace Energy schätzt in einer Studie, dass allein der Schiffstransport die Gesamtkosten der Wasserstoffproduktion in Afrika um 50-150 Prozent erhöht. Am Ende fressen Komprimieren/Kühlen des Wasserstoffes, Ausgasung, Schiffstransport und Distribution in Deutschland mehr als die Hälfte der erzeugten Energie bei nicht marktfähigen Preisen auf. Damit kostet der aus entfernten Ländern importierte Wasserstoff ein Mehrfaches des in Frankreich mit Kernenergie erzeugten oder des russischen grauen Wasserstoffs. Dazu meinte der Vorstand des französischen Total-Konzerns Philippe Sauquet (FAZ, 29. Dezember 2020), die Produktion von „grünem“ Wasserstoff sei fünf- bis zehnmal so teuer wie grauer, mit Erdgas erzeugter Wasserstoff. Und dieser sei wiederum dreimal so teuer wie Erdgas.
Übrigens wurde ein vergleichbares Projekt, Strom aus der Wüste zu gewinnen, schon 2014 begraben: Das Projekt Desertec scheiterte aus technischen, finanziellen und energiepolitischen Gründen. Zudem bestanden Bedenken, dass eine unerwünschte Abhängigkeit Europas von nordafrikanischen Ländern geschaffen werde. „Strom aus Afrika“ ist also angesichts der politischen Instabilität dieser Länder, der Kosten für die Herstellung der Solar- und Elektrolyseanlagen, für Lizenzen an die afrikanischen Länder und den Schiffstransport des tief gekühlten/hoch komprimierten Wasserstoffes sowie für die Anlandung und Verteilung in einem besonderen wasserstofffesten Pipeline-Netz ein utopischer Wunschtraum. Wie man hört, soll die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ die wieder aufgelegten Pläne der Bundesregierung, afrikanischen Strom für die heimischen Haushalte zu erzeugen, bereits enthusiastisch begrüßt haben.
Fehlendes Gesamtkozept, wirre Vorstellungen
Da die Bundesregierung die Einsparung von CO2 als oberstes Staatsziel definiert hat, alle ökonomischen und sozialen Bedenken hinten anstellt, und die Sinnlosigkeit der deutschen anthropogenen CO2-Einsparungen im Bereich eines tausendstel Prozent aus ideologischen Gründen nicht wahrhaben will, hat sie trotz eines Überangebotes an Erdgas einen Milliarden schweren Wasserstoff-Forschungsfond aufgelegt, auf den sich die Industrie nebst angeschlossenen Instituten als fette Beute stürzen, um auf Kosten der Steuerzahler verschiedene Methoden zur Herstellung von Wind-Wasserstoff zu untersuchen.
Hierzu sitzen Vertreter der Industrie/Institute in einem von der Bundesregierung eingerichteten „Wasserstoffrat“, der sicherstellt, dass die Beteiligten ausreichend Einfluss auf die Politik nehmen können. Und so kann es nicht verwundern, dass Werner Diwald, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes während einer Tagung verkündet: „Die Kombination aus erneuerbarer Energie und Wasserstoff könnte bald das neue Traumpaar der Energiewende werden“ (München, Oktober 2021). Im bewährten Verfahren werden die Vertreter aus Wirtschaft und Instituten zunächst eingehende Untersuchungen vorschlagen, denen dann „Pilotprojekte“ folgen, die wiederum zu „Folgeuntersuchungen“ führen, um nach zehn Jahren und weiteren nachgeschossenen Milliarden festzustellen, was die zuständigen Referatsleiter der Ministerien längst wissen, aber nicht sagen dürfen: Wasserstoff ist ein teures Produkt und nur in Einzelfällen für industrielle Zwecke nutzbar.
Ein führendes Energieunternehmen hat mit dem Vorschlag Aufmerksamkeit erregt, Wasserstoffgas direkt auf den Off-Shore-Plattformen zu erzeugen und diesen dann über Pipelines zur Küste zu transportieren. Eine wenig überzeugende Idee. Erstens soll der auf Off-Shore-Plattformen erzeugte Windstrom eigentlich die Stromversorgung der Küstenregionen sichern. Und zweitens verfügt die Küstenregion über Übersee-Anlandehäfen für Flüssig-Gas und Ostsee-Erdgas-Pipelines, die zur Herstellung von „grauem“ Wasserstoff genutzt werden können. Wozu dann noch teure Wasserstoff-Pipelines quer durchs Wattenmeer? Dennoch blieb der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei seiner Vision, Deutschland in Sachen Wasserstoffnutzung zur führenden Nation zu machen. Wasserstoff sei die „zentrale Klimatechnologie der Zukunft“, ergänzte die damalige Bundesbildungsministerin Karliczek, die sich als Leiterin eines Familienhotels das notwendige Know how erarbeitete, um Wasserstoff als „zentrale Klimatechnologie der Zukunft“ zu erkennen. Deutschland müsse hier eine Vorreiterrolle einnehmen – das sei auch im Sinne der deutschen Wirtschaft. Die Ministerin war schon vorher durch eine Einordnung der Technik in das „christliche Menschenbild“ aufgefallen: „Jeder technologische Fortschritt habe sich hinter dem christlichen Menschenbild einzureihen“ (25. Februar 2019), meinte sie und öffnete damit den Weg zu einem bibelgerechten, christlichen Wasserstoff.
Der Verfasser ist Autor des Buches „Die CO2-Falle Deutsche Klimapolitik und ihre Folgen“, 2. Auflage 2021.