In den Wissenschaften gibt es wahre, falsche und sinnlose Aussagen. Wahre Aussagen lassen sich beweisen, falsche Aussagen lassen sich widerlegen, sinnlose Aussagen sind weder falsch, noch wahr. Wissenschaften basieren auf Axiome. Axiome sind notwendige Behauptungen, um die Wissenschaft erst zu ermöglichen. Ein mathematisches Axiom, ohne dem es keine Mathematik gäbe, lautet, dass jeder natürlichen Zahl eine weitere Zahl folgt, die um 1 größer ist.
Axiome lassen sich weder beweisen, noch widerlegen. Nach der obigen Definition sind Axiome sinnlos. Je weniger „sinnlose“ Axiome für eine Wissenschaft notwendig sind, desto genauer ist sie. Mathematik und Physik sind Wissenschaften mit den wenigsten Axiomen. Physikalische Aussagen lassen sich durch Wiederholung eines Versuches beweisen oder widerlegen. Exakte Voraussagen sind möglich: Wird ein Ball in einer gewissen Höhe über den Boden losgelassen, so lässt sich der Zeitpunkt bis zum Auftreffen genau berechnen und durch Versuch bestätigen.
Biologie und Medizin sind weniger wissenschaftlich Ob eine medizinische Therapie anschlägt, lässt sich nur hoffen. In den Geisteswissenschaften gehören eintreffende Voraussagen zu den seltenen Ereignissen. Hierzu gehört die Politik.
Es wird verständlich, weshalb es viele Parteien gibt. Keine Partei kennt die Zukunft, keine Partei kennt die Konsequenzen ihres Tuns, auch nicht die Konsequenzen des Tuns Anderer. Politische Aussagen sind nach wissenschaftlichen Kriterien sinnlos. Diplomatie hingegen ist ein Teilgebiet der Psychologie. Hier erlernt man lügen, drohen und täuschen, ohne rot zu werden. Diplomatie gehört zu den exakteren Wissenschaften.
Trotz großer Erfahrung, tiefer Sensibilität und ausgezeichnetem Bauchgefühl, ist es so gut wie unmöglich, die Zukunft der Ukraine vorherzusagen. Was wir politisch analysieren können, sind die Aussagen der Politiker, die sich für Diplomaten halten.
Nehmen wir die allseits gern gesprochene und gehörte Phrase, dass die Grenzen eines Landes nicht willkürlich geändert werden dürfen. Wenn wir die letzten 100 Jahre in Europa Revue passieren lassen, so erscheint uns die Beantwortung der Frage leicht, welches europäische Land in den letzten 100 Jahren keine Änderung seiner Grenzen erfahren hat: keines. Nicht einmal Luxemburg, welches von Hitler-Deutschland annektiert worden ist.
Es wird spannender. Wie oft und in welche Richtung hat sich die Grenze zwischen Deutschland (Kaiserreich, 3. Reich, BRD) und Polen in den letzten 100 Jahre völkerrechtlich bewegt?
Polen als Staat existiert erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Im Zweiten Weltkrieg wurde Polen aufgelöst. Zwischen 1949-1990 hatte die BRD keine gemeinsame Grenze mit Polen. Die Grenze Polens ist westwärts gewandert. Die Grenzen Polens vor und nach dem Zweiten Weltkrieg sind völkerrechtlich anerkannt gewesen. Weder die aus Ostdeutschland vertriebenen Deutschen, noch die aus Ostpolen (heute Weißrussland und Ukraine) nach Westen vertriebenen Polen sind über die Umsiedlungen befragt worden. Leidglich nach Ende des Ersten Weltkrieges hat es einige Plebiszite gegeben, deren Ergebnisse größtenteils nicht umgesetzt worden sind. Glücklicherweise haben erst DDR, dann BRD die Grenze zu Polen völkerrechtlich anerkannt, so dass es seitdem zu keinem Krieg zwischen Deutschland und Polen gekommen ist. Lässt sich daraus schließen, dass die heutige Grenze zwischen Deutschland und Polen niemals mehr verrückt werden wird?
Die Grenzen zwischen Polen und Deutschland sind Folge der von Deutschlands verlorenen Kriegen. Die Grenzen bilden das Recht des Stärkeren ab. Das Recht des Stärkeren ist im Falle Polens-Deutschland das Völkerrecht.
Nehmen wir uns beliebige Grenzveränderungen heraus, die alle auf das Recht des Stärkeren beruhen. 1950 nimmt die VR China Tibet ein, 1967 erobert Israel das Westjordanland und den Golan, 1974 marschiert die Türkei in den Norden Zyperns ein, in den 1970-er Jahren verleibt sich Marokko etappenweise die Westsahara ein, 2014 erobert Russland die Krim, die Jahrzehnte ukrainisch gewesen ist, zuvor Jahrhunderte russisch.
Tibet ist völkerrechtlich Teil der VR China. Israels Eroberungen werden von der Welt nicht anerkannt, genauso wenig wie die Republik Nordzypern und die Westsahara als Teil Marokkos. Es wird wenige Jahre dauern, bis die Krim als Teil Russland anerkannt werden wird.
Die völkerrechtliche Anerkennungen von Grenzveränderungen, die alle ohne echte Volksbefragungen abliefen, erscheint nicht nur willkürlich, sie sind es. Staaten erkennen sich mit ihren Grenzen gegenseitig an, wenn es ihren Interessen dient. Wie die Grenzen entstanden oder verändert worden sind, ist nebensächlich.
Waren aus Tibet werden unter „Made in PRC“ (People`s Republic of China) verkauft. Waren und Dienstleistungen aus dem Westjordanland und dem Golan werden boykottiert. Waren aus Nordzypern gelangen als zypriotisch, aus der Westsahara als marokkanischin den Welthandel. Waren aus der Krim werden kaum in die EU exportiert. Auch beim Export ist Willkür am Werk.
Wie wird die Krim-Krise ausgehen? Eine wissenschaftliche Antwort ist nicht möglich, denn alle Möglichkeiten stehen offen. Putin wird die moralischen Toleranzgrenzen der EU ausloten wollen, was ihm nicht gelingen wird, da die EU über keine moralischen Toleranzgrenzen verfügt. Es entspräche der Logik, wenn die EU dann einschreitet, wenn ein Wegesehen ihr teurer erscheint als ein Eingreifen. Da, wie beschrieben, nicht Logik sondern Willkür das jegliches politisches Handeln bestimmt, ist es nicht möglich, die politische Zukunft der Ukraine vorher zu bestimmen. Selbst Krieg ist möglich.
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