Glanzund Elend

Heiligkeit und Sünde: Zwei Begriffe, die nicht ganz aus dem Wortschatz unserer Zeit verschwunden sind, die aber der Bewohner unserer post-christlichen Breitengraden nicht mehr so richtig versteht. Benedikt XVI. besucht die Synagoge Roms, die älteste jüdische Gemeinde außerhalb Palästinas. Und in den vergangenen Wochen ist gerade mit Blick auf das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg immer wieder die Frage laut geworden, wie Papst und Vatikan nur von der – jetzt festgestellten – Heiligkeit Eugenio Pacellis sprechen können, des Mannes, der auf dem Stuhl Petri saß, als um ihn herum die Schrecken des barbarischsten alle Kriege und des Holocausts tobten.
Die internationale Forschung, jüdische Historiker eingeschlossen, zeichnet heute ein wesentlich differenzierteres und positiveres Bild Pius’ XII., als es sich Rolf Hochhuth für sein Schmähstück „Der Stellvertreter“ erfunden hatte. Aber darum geht es nicht. Die Feststellung der Heiligkeit ist etwas völlig anderes, als jemanden für die Verleihung des Friedensnobelpreises auszuwählen. Wobei man in Stockholm vielleicht doch noch einmal erklären sollte, weswegen man einen amerikanischen Präsidenten mit dieser Ehrung bedachte, als dieser gerade dabei war, eine Art Polizeiaktion im fernen Ausland in einen regelrechten Krieg umzuwandeln.
Heiligkeit dagegen im Sinne der Kirche hat nichts mit „political correctness“ oder Gutmenschentum zu tun. Heiligkeit ist etwas Dramatisches. Jesus Christus selber hat es vorgemacht, denn er hat die erste Heiligsprechung vorgenommen, als er das „Amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ jenem Verbrecher zusprach, der neben ihm am Kreuze hing und den die Tradition Dimas nennt – der erste Heilige der Kirche.
Heiligkeit bedeutet, sich trotz aller Schwächen, trotz aller Irrfahrten der Seele immer wieder dazu durchzuringen, den Willen Gottes zu erspüren und ihm zuzustimmen.
Historiker mögen einem Irrtümer bescheinigen. Die Kirche bescheinigt denen, die sie zur Ehre der Altäre erhebt, dass sie in diesem inneren Kampf aufrichtig waren und letztlich nicht sich und den Menschen, sondern Gott dienen wollten.
So wie Johannes Paul II., dessen Seligsprechung sich nun viele für dieses Jahr erwarten. Aber auch Stolz schwingt mit, wenn die polnischen Landsleute ihren Lolek bejubeln, der ein ganz großer Papst in einer anderen Zeitenwende war. Als dem morsch gewordenen Kommunismus im östlichen Europa die Luft ausging, erhielt die katholische Kirche mit Karol Wojtyla einen Protagonisten der Weltgeschichte.
Doch mit dem Stolz ist das so eine Sache. Wo der Glanz ist, ist auch das Elend, wo die Schönheit der Weltkirche aufscheint, zeigt sich auch ihr Drama. Etwa im vergangenen Dezember. Wieder ein Krisengipfel im Vatikan. Und wieder ging es um sexuellen Mißbrauch durch Priester, ein schweres Vergehen, dass plötzlich in ganz bestimmten Regionen der Kirche gehäuft und in besonders eklatanter Weise auftaucht. Bei seiner Reise durch die Vereinigten Staaten im April 2008 hatte sich Benedikt XVI. „tief beschämt“ über die Taten pädophiler Priester geäußert, die etwa in den Erzdiözesen Boston und Los Angeles zu hohen Entschädigungszahlungen geführt hatten. Nach den Vereinigten Staaten trifft der Vorwurf der Vertuschung nun die Kirche in Irland und insbesondere die Erzdiözese Dublin. Der so genannte Murphy-Report hängt an der gesamten Kirche wie ein Mühlstein – oder wie der Stein um den Hals, mit dem
nach Jesu Wort jene ins Wasser geworfen werden sollen, die den Kleinsten etwas zuleide tun. Gar nicht so lange vor dem Fest der Unschuldigen Kinder verschaffte der Murphy-Report auch im Vatikan letzte Klarheit über die Missbrauchsfälle, zu denen es in der Erzdiözese Dublin in den Jahren von 1975 bis 2004 gekommen ist. Entsprechende Vorwürfe hatten 320 Personen erhoben, ab Mai 2004 kamen jedoch 130 weitere Fälle hinzu.
Der Papst zitierte irische Bischöfe nach Rom, anschließend veröffentlichte der Vatikan ein ungewöhnlich scharfes Kommuniqué. Die Worte „traumatisch“, „erschüttert“, „Verrat der Gelübde“, „Empörung“ und „abscheuliche Verbrechen“ in der Erklärung zeigen, dass Benedikt XVI. geschäumt haben muss. Heiligkeit ist ein Drama, die Sünde ist es auch. Viel Unrat gebe es in der Kirche, das hat Papst Benedikt gleich zu Beginn seines Pontifikats gesagt. Bei allem Glanz, den die großen Heiligen dem pilgernden Volk Gottes bereiten – die Sünden vieler in der Kirche sind dann gleich auch wieder eine Mahnung, dass Heil und Erlösung nur in der Umkehr zu Jesus Christus zu finden sind.

Guido Horst ist Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatikan-magazin.de)

Über Horst Guido 35 Artikel
Guido Horst wurde 1955 in Köln geboren. Nach dem Studiun der Geschichte und Politologie arbeitete er für die katholische Presse als Journalist. Im Jahr 1998 übernahm Horst die Leitung der katholischen Zeitung Die Tagespost mit Sitz in Würzburg; 2006 gab er den Posten des Chefredakteurs ab und ging wieder nach Rom. Er wurde abermals Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur der zusammen mit Paul Badde konzipierten Zeitschrift "Vatican-magazin".

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