Gibt es ein Recht auf Drogen? – Vom Spagat der Politik und der Frage wann Rauschmittel legalisiert werdensollten

Seit uralten Zeiten beflügelt der Rausch jenseits von Rationalität und Gesundheitsökonomie den Menschen. Ob Drogenkonsum, Sexualität oder Alkohol – er zeigt sich als elementarer Trieb, der stärker als der Logos ist und jenseits irgendeiner Zweck-Mittel-Kalkül regiert; er entzieht sich jeder Pragmatik, ihm eignet pure Unmittelbarkeit und er ist der Freiheitsakt an sich, weil er Dispens von den Notwendigkeiten des Lebens verschafft und Dimensionen eröffnet, in denen das Ich aus sich heraustritt, sich transzendiert und sich dem Kollektiv oder Gott überantwortet.

Bereits Friedrich Nietzsche hatte zwischen zwei Prinzipien unterschieden, die die Welt regieren. Das Apollinische und das Dionysische. Wobei er dem Gott Apollon den klaren Verstand, das staatliche Ordnungsdenken, das Streben nach Begrenzung, Maß und Gestalt zuordnete. Unter das Dionysische subsumierte er das Rauschhafte und Ausufernde, das Grenzenlose und Formaufhebende, das das Gestalthafte in den Wesensgrund, den Weltgrund zurückwirft. Nietzsche machte keinen Hehl daraus, dem Dionysischen ergeben zu sein. Die hier entfesselte Freiheit, die das Gehirn bewußt umgeht, dieses suspendiert, kulminiert in berauschenden Festen, in der Ekstase – Orgien, Sex und Drogen inklusive. Das Dionysische bleibt die Kraft, die im wechselseitigen Kampf mit dem Apollinischen aber zu wahrhaft kulturellen Gestalten heranwächst.


Drogenkonsum hoch Hochkonjunktur
Auch im Jahr 2016 kämpft das Apollinische gegen das Dionysische. Laut neuesten Studien hat der Konsum von Drogen Hochkonjunktur. Jährlich geben Europäer 24 Milliarden Euro für den illegalen Drogenkonsum aus, allein 22 Millionen Erwachsene konsumierten 2015 Cannabis. Ecstasy, Kokain, neue psychoaktive Substanzen, LSD, Schnüffelstoffe, Crystal Meth, Heroin und Methamphetamine wie Crystal Meth sind beliebter denn je, getreu dem Motto, was verboten ist, reizt um so mehr. Die illegalen Drogen haben die legalen längst auf die hinteren Plätze verwiesen. Beim Cannabisverbrauch hat sich die Zahl in Deutschland in den letzten vier Jahren fast verdoppelt. 4,8 Prozent der Männer und 2,7 Prozent der Frauen unter 26 Jahren genießen die Droge regelmäßig.


Alkohohl und Zigaretten sind out, Opioide dagegen in
Immer uncooler bei Jugendlichen hingegen sind Alkoholexzesse und exzessiver Zigarettenkonsum. Nie wurde weniger gesoffen und geraucht als 2015 – ausgeschlossen dabei das Komasaufen, das sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Demgegenüber wollen ältere Bevölkerungsgruppen nicht auf den regelmäßigen Konsum von Alkohol und auf das Zigarettenrauchen verzichten. Doch immer mehr Jugendliche, so der Drogenbericht von 2015, greifen zu psychoaktiven Substanzen. Der derzeitige Hype auf dem US-Markt ist die „Superdroge“ Fentanyl, laut New York Times, „Heroins tödlicherer Cousin“. Fentanyl wirkt 50 mal so stark wie Heroin. In den USA hat das äußert gefährliche Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, das überdosiert zu akutem Atemstillstand führt, 2014 bereits zu 5500 Todesfällen geführt und damit das Heroin vom Spitzenplatz verdrängt. Fentanyl ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen.
Während die Drogenpolitik in Deutschland restriktiv ist, ist man in den Niederlanden liberaler, ein Gang in den Coffeeshop genügt und die Seligkeit naht. In den USA blüht geradezu eine Cannabis-Industrie. So darf in 23 Bundesstaaten Marihuana zu medizinischen Zwecken verkauft werden. Auch Kanada hat den Cannabiskonsum seit Anfang 2016 erlaubt. Dort erfreut sich „Chrontella“, eine Art Nutella mit Cannabis höchster Beliebtheit – 300 Milligramm vom Superstoff für 20 Euro.


Rot-Grün gegen Schwarz. Die Legalisierung ist ein Politikum
In Deutschland ist derzeit ein Kampf um die Legalisierung von weichen Drogen, insbesondere um Cannabis, entbrannt. Viele Städte, darunter, Düsseldorf, Berlin, Köln oder Duisburg werben dafür, das Rauschmittel in Maßen zu legalisieren und nicht mehr unter Strafe zu stellen. Rot-Grün in Bremen will gar das neue Flagschiff für eine neue Drogenpolitik werden und wirbt für eine Legalisierung der illegalen Droge. Nach dem Crystal Meth Skandal des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck hatte sich auch die grüne Jugend Baden Württembergs hinter den Politiker gestellt und die Prohibition der Drogenpolitik für gescheitert erklärt. Im Ländle, das vom schwarzen Grünen Kretschmann regiert wird, will man sich auf Landesebene dafür einsetzen, dass die straffreie Menge von Cannabis auf 10 Gramm angehoben wird. Durch eine Legalisierung ließe sich der illegale Konsum beschränken, so das Argument.
Während links-grün sich im Dionysischen wiegen, streiten CDU und CSU fast apollinisch gegen diese Offensive. So führt Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung (CSU) ihren harten Kurs gegenüber den weichen Drogen weiter fort und betont: „Wer in dieser Situation die vollumfängliche Legalisierung von Cannabis fordert, der sorgt dafür, dass noch mehr Jugendliche zum Joint greifen“


Cannabis als Medikament und die neue Sonderregelung für Schwerkranke
Für viele Mediziner hingegen ist Cannabis mehr als ein Rauschmittel, es ist ein Medikament. Hier setzt man auf seine therapeutische, heilende Wirkung. Hanf lindert Schmerzen, wirkt entzündungshemmend und hat weniger gefährliche Nebenwirkungen als Morphine oder etwa Opiate.Ob multiple Sklerose, die Augenkrankheit Grüner Star oder das Tourette-Syndrom – überall lassen sich Heilerfolge belegen. Selbst die „Apotheken Umschau“ sieht in Cannabis einen „Stoff für Herz und Hirn“.
Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig dürfen seit April 2016 chronisch Kranke unter bestimmten Voraussetzungen Cannabis zu Hause anbauen – unter der Voraussetzung, dass das Betäubungsmittel für die medizinische Therapie notwendig ist und das die Krankenkassen die Kosten für Cannabis-Produkte aus der Apotheke nicht übernehmen. Damit wurde eine Klage eines schwerkranken Mannes mit multipler Sklerose, der den privaten Hanfanbau legalisieren wollte, in dritter Instanz entsprochen.
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes steht es jetzt kranken Menschen frei, einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu stellen, um Hanf in der Wohnung, im Bad oder auf dem Balkon anzubauen. Was vor Jahren undenkbar war, ist jetzt zumindest in Ausnahmefällen erlaubt. Um derartige Sonderregelungen in Zukunft aber zu umgehen, hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) Anfang 2016 einen Gesetzentwurf vorgestellt. Danach sollen die Krankenkassen für Tropfen und Kapseln mit THC sowie für Cannabisblüten die Kosten übernehmen. Der Notwendigkeit des Eigenanbaus wäre dann ein Riegel vorgeschoben. Bis zur endgültigen Entscheidung im Bundestag ist der Anbau von Hanf für therapeutische Zwecke, wenn es keine Therapiealternative gibt, zumindest vorerst möglich. Droht uns aber jetzt, wie in Israel ein Run auf Hanfprodukte? Dort haben bereits mehr als 20.000 Patienten eine Lizenz zum Kauf der Medizin.


Überlassen wir die Drogen den Kranken
Was den illegalen Konsum von harten Drogen betrifft – von Fentantyl, Herorin und all den anderen gefährlichen Substanzen, auch der von Rot-Grün geforderte legale Gebrauch von Cannabis für alle –, so sollte weiterhin das Apollinische regieren, der Staat ein striktes Nein über den Gebrauch stellen und restriktivagieren. Das Dionysische, der Rausch um des Rausches Willen, erweist sich als potentiell gefährlich. Die Folgen, die dieser mit sich bringt, sind eben nicht kreativ, sondern im Gepäck trägt er Tod, Krankheit und Abhängigkeit. Drogen bleiben Killer der Selbstbehauptung und Mündigkeit, so sehr sie auch eine andere Form der Freiheit eröffnen. Sie sind Zeichen von Willensschwäche, von Entmutigung oder depressiver Verstimmung und sie finden dort eine Heimat, wo das menschliche Ich in Ausnahmesituationen sich selbst bewußt – sei es Vergnügen, sei es Gruppenzwang –gefährden will und die Droge als letzten Ausweg begreift, um die Absurditäten des Lebens, die Mühen der Ebene, die Seinsverlassenheit, die Einsamkeit und Arbeitslosigkeit zu kompensieren. Eine Kompensation, die aber zu kurzfristig greift und die Alltagsrealität später um so absurder erscheinen läßt. Die ewige Wiederkehr als Flucht vor Problemen der Realität ist dann vorprogrammiert. Der circulus vitiosus, der Teufelskreis, bleibt eine Abwärtsspirale.
Bei der Legalisierung zur Therapiezwecken für chronisch Schwerkranke hingegen erweist sich Cannabis zum Beispiel als probates Heilmittel, das den Betroffenen die Möglichkeit gibt, teilweise schmerzfrei zu agieren. Nur hier geht das Apollinische und das Dionysische eine Synthese ein. Und in der Palliativmedizin sind Opiate schon seit Jahren Gegenstand der Behandlung – und das ist auch gut so.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2161 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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