Gewalt Macht Recht

„Die Finanzkrise ist die Folge eines permanenten Rechtsbruchs“, sagte jüngst Paul Kirchhof. An dieses schon klassische Zitat des Rechtsgelehrten wird man sich noch zu erinnern haben. Vor allem dann, wenn die Folgen der Finanzkrise für alle oder wenigstens pro multis spürbar werden – und weitere Rechtsbrüche nach sich ziehen. Denn es scheint über politische Rechtsbrecher ein schicksalhaftes Verhängnis zu walten, daß sie nicht die Ursachen der Krise, also die Rechtsbrüche, zu beseitigen suchen, sondern diese fortsetzen, um die Krise zu bewältigen. Die Macht der Gewohnheit schafft neues Recht. Oder vielmehr Unrecht. Wie soll die rechtswidrige Staatsverschuldung durch weitere Verschuldung der europäischen Staaten finanziert werden? Wie läßt sich permanentes Wirtschaftswachstum durch immer mehr Staatsschulden herbeizaubern? Wie können die geschwächten Rettungsschwimmer die vielen Ertrinkenden – durch bailout – retten, ohne selber abzusaufen? Bewährt sich Solidarität im gemeinschaftlichen Rechtsbruch, im kollektiven Niedergang?

Diese Fragen beantworten sich von allein, und zwar durch Ereignisse, die wir Realität nennen, aber als solche erst anerkennen, wenn sie bereits eingetreten sind. Vor ihnen vorsorglich zu warnen ist zwecklos: Inflation und andere Enteignungen kommen bedrohlich näher. Die werden den realitätsfernen Idealpolitikern so auf den Leib rücken, daß es für Kurskorrekturen zu spät ist. Aber wo bleibt bei den Verstößen gegen das Grundgesetz und Europarecht die Rechtsstaatlichkeit, ohne die unsere Demokratie ihr Fundament verliert? Bisher durften wir darauf vertrauen, daß diese Rechtsordnungen geeignet sind, die Lösungen gesellschaftlicher Probleme in sinnvoller Weise „gerecht“ zu regeln. Die Einhaltung rechtlicher Regeln setzt freilich bei Politikern wie den übrigen Bürgern Gesetzestreue voraus. Die ist das Ergebnis von gefestigtem Wertkonsens, Loyalität zum Gemeinwohl und strengem Gerechtigkeitssinn, also kühler Rationalität. Erfordernisse, die dem Europa-Enthusiasmus wie auch der nationalen Gefühlsaufwallung entgegengesetzt sind. Namentlich sind es die politischen Gutwetterbeschwörer, die Magier der Geldmacherei, die sich nicht gerne von der Rechtsordnung disziplinieren lassen. Die kreativen Alchimisten des 18. Jahrhunderts sind zurückgekehrt mit ihren schwindelerregenden, durch Schwindel erzeugten Konstruktionen imaginärer Werte. Zum Feudalabsolutismus gehörte auch die Attitüde der Fürsten, sich selber nicht an die Gesetze zu halten, die für die Untertanen galten.

Der Rechtsbruch ist zu einer üblen Angewohnheit geworden. Er tangiert (zum Schuldenabbau) das Eigentumsrecht, zielt (zur Besänftigung der Muslime und zur Anerkennung ihrer Scharia) auf die Grundrechte der Glaubens-, Gewissens und Meinungsfreiheit, und hat bereits Artikel 6 des Grundgesetzes, nämlich den besonderen Schutz von Ehe und Familie, durch die Macht übler Gewohnheiten völlig durchlöchert. Da reicht es nicht, gutgläubig auf den ersten Artikel des Grundgesetzes, auf die „unantastbare Würde“ zu verweisen, wenn der inzwischen schon zur Rechtfertigung von Abtreibung, genetischer Selektion und Euthanasie in Anspruch genommen wird.

Unverfügbar ist der Mensch in seiner Würde und Selbstbestimmung besonders dann, wenn er jene durch diese abschafft. So scheint es. Und die höchste Form der Freiheit besteht wohl darin, nicht einmal seinem eigenen Willen unterworfen zu sein, seiner eigenen Erkenntnis, sondern sich irgendeinem machtvollen politischen oder medialen Wahrheits- und Geltungsanspruch zu beugen. Da darf man sich über nichts mehr wundern. Nicht einmal darüber, daß sich die christliche Theologie kaum mehr dazu aufraffen kann, die naturrechtliche Evidenz des Grundgesetzes aufzuweisen. Und zwar gegenüber einem westlichen Zeitgeschmack, der sich dem macht- und gewaltbewußten Islam anpaßt.

Die Machthaber islamischer Staaten nehmen sich das Recht heraus, Juden und Christen zu diskriminieren und zu verfolgen. Die Einwohner westlicher Staaten genießen hingegen noch eine Religionsfreiheit, die sie auch den dort ansässigen Muslimen gewähren. Diese müssen sich – wie auch die Christen – damit abfinden, Gegenstand der Religionskritik, manchmal auch der billigen und geschmacklosen Polemik zu werden. Von dieser Sorte sind vor allem viele antichristliche Verlautbarungen im Umlauf, ohne daß die Christenheit in gewaltsamen Aufruhr gerät. Die Christen haben eben eine Schwäche für Freiheit und Frieden. Gerade darin liegt ihre Schwäche gegenüber einer politischen Macht und Gewalt, die nicht mehr die Sprache des Naturrechts versteht.

In den islamischen Ländern hatte sich die Reaktion auf ein amerikanisches Video hysterisch gesteigert und wandte sich kollektiv gegen „westliche“ Repräsentanten. Leider diskutiert man im „christlichen“ Westen Fragen der Blasphemie nur dann, wenn sich Muslime beleidigt fühlen und mit Gewalt drohen. Antichristliche Filme, Karikaturen und Polemiken hingegen gehören bei uns zum Alltag, man hat sich fast daran gewöhnt. Leider Gottes. Die üblichen Gewaltexzesse in der islamischen Welt sind einer von langer Hand geplanten Spontaneität der Volksmassen zu danken. Wer von den Gewalttätern und Mördern hatte denn vorher das Video gesehen? Hier folgte man dem Muster, das sich schon bei Salman Rushdie, der Regensburger Papstrede und dem dänischen Karikaturenstreit bewährt hatte. Fanatisierte Muslime scheinen ein gewaltiges Aufregungsbedürfnis zu haben, das unserer Öffentlichkeit einen mächtigen Respekt abverlangt.
Religionskritik muß erlaubt bleiben. Freilich halten sich feige Religionskritiker und Berufsblasphemiker zurück, wenn sie mit gewalttätigen Reaktionen zu rechnen haben. Diese Schere im Kopf wirkt wie eine Selbstzensur. Da braucht es keine Zensurbehörde mehr. Merke: Je gewalttätiger eine Religion, desto besser ihr rechtlicher Schutz vor Beleidigung. Das soll angeblich dem „öffentlichen Frieden“ dienen. Wer aber schützt gewaltfreie Christen vor gemeiner Verächtlichmachung ihrer Religion? Das ist eine Frage des bürgerlichen Anstands und der politischen Kultur. Gerade daran hapert es.

www.die-neue-ordnung.de

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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