Die Geschichte der Pest und die Verschwörungstheoretiker

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Seit fast viertausend Jahren wütet der Pestbazillus Yersinia pestis. Grausam griff er in die Geschichte ein, flankierte seinen Aufstieg mit Millionen Menschenleben. Die Pest war nie wirklich besiegt und das neuartige Coronavirus wird auch so schnell nicht von den Oberflächen dieser Welt verschwinden. Die Zeit der Seuchen ist auch die Stunde der Verschwörungstheoretiker. Dies gilt für die Zeit der Pest ebenso wie für das Coronavirus.

Nachgewiesen hatte man die Pest erst im 21. Jahrhundert bei Untersuchungen eines 3.800 Jahre alten Grabes im russischen Samara. Pasteurella pestis oder Yersinia pestis,von Rattenflöhen übertragen,ist die Geisel der Menschheitsgesichte. Lange bevor der „Schwarze Tod“ in Hochmittelalter und Renaissance und als „Große Pest von London“ die britische Insel von 1665-1666 heimsuchte und innerhalb eines Jahres hunderttausende Opfer forderte, grassierte zwischen514-770 nach Christi die „Justinianische Pest“ in Europa und Asien. Die Totenberge stiegen damals ins Unermessliche und wuchsen buchstäblich in den scheinbar götterlosen Himmel.

Nach dem oströmischen Kaiser Justinian (527-565) genannt, wütete diese zyklisch im Abstand von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren. Allein mit bis zu 17 tödlichen pandemischen Wellen erlangte sie apokalyptische Ausmaße. Zuerst zermürbte das Bakterium  Ägypten, bevor es sich gespenstisch über den westlichen Mittelmeerraum und das rheinische Germanien verbreitete. Auch in Gallien und Hispanien, in Kleinasien, Syrien, Mesopotamien und Persien grassierte der Tod. Die damalige Hochkultur, der spätantike Mittelmeerraum, war wie heute die zivilisierte und globalisierte Welt Spielball eines pandemischen Ungeheuers. Schon damals hatte sie Massenverelendung, Armut, Hunger und existentielle Nöte im Gepäck. Und nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass sie politisch die Rückeroberung Westroms durch Kaiser Justinian I. zum Teil mit vereitelt und die antike Welt damit gleich mitbegraben hat. Wie sie damals aus dem Nichts heraustrat, verschwand sie 770 wieder – vorerst.

Geschichte wiederholt sich

Doch Geschichte wiederholt sich. Grausamer wird sie zuschlagen und am grausamsten regierte der „Schwarze Tod“ in den Jahren von 1347 bis 1351 in Europa, das – wie heute Covid-19 – einer Kartografie der Infektionsherde glich und die Spur des Todes nach sich zog.

Begünstigten im Mittelalter Armut, nichthygienische Verhältnisse, das Fehlen adäquater medizinischer Methoden und Impfstoffe den Aufstieg der Seuche regiert das Coronavirus heute selbst in hochzivilisierten und medizinisch top-ausgestatteten Industrienationen. Wie die Pest damals fokussiert sich auch Corona heute auf die Großstädte. Wo der Handel blühte, war man am unsichersten, an den Transportwegen und in den Ballungszentren. Innerhalb von fünf Jahren raffte die Pest 30 Millionen Menschen hinweg, knapp ein Drittel der Bevölkerung Europas. Das probateste Mittel, ihr zu entgehen, war die Flucht auf das Land. Meisterlich beschrieben in Giovanni Boccaccios „Decamerone“.

Die Pest scheint unausrottbar. Im 19. Jahrhundert kann sie ihre Schreckensherrschaft 1890 in Indochina und 1897 in Indien erneut errichten. In den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weit über tausend Pest-Todesfälle über den ganzen Erdball verteilt. Zu einer der größten Pestepidemien kam es im indischen Surat 1994 und 2003 folgte Algerien. Genau 56 Jahre später als der französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus 1947 in seinem Roman „Die Pest“ die Chronologie des Todes zeichnete. 2005 breitete sich mit hunderten von Toten die Lungenpest in Bas-Uele im Norden der Demokratischen Republik Kongo aus. 2008 wütete sie in Uganda, Madagaskar und 2009 in der tibetisch geprägten Provinz Qinghai im Nordwesten Chinas. In den Jahren zwischen 2010 bis 2015 wurden über dreitausend Pestfälle und fast sechshundert Pest-Todesfälle registriert – und immer wieder waren China und der südliche Westen der USA Krisenherde, ob 2014 in Idaho, im chinesischen Yumen oder 2019 in der Mongolei – die Pest feiert ihre tödliche Renaissance.

Der Pest kein Ende

Der Pest kein Ende. Zu dieser Einsicht kam bereits der Protagonist, der Arzt Dr. Bernard Rieux, in Camus’ Roman „Die Pest“. Wir spielen immer nur auf Zeit – und der Bazillus wird wiederkommen. Und selbst wenn Camus in seiner Welt des Absurden gegen das Schicksal anstreitet, gegen die Menschheitsseuche rebelliert und den couragierten Kampf gegen die Pest antritt, tödliche Heimsuchungen bleiben ohne Logik und sinnlos. „Heimsuchungen gehen tatsächlich alle Menschen an, aber es ist schwer, an sie zu glauben, wenn sie über einen hereinbrechen.  […] Weil die Plage das Maß des Möglichen übersteigt, sagt man sich, sie sei unwirklich, ein böser Traum, der vergehen werde. Aber er vergeht nicht immer, und von bösem Traum zu bösem Traum vergehen die Menschen […],“ schreibt Camus.

Doch inmitten des Absurden kommt Trost, aus dem Sinnlosen erwächst neuer Sinn, ein sinnerfülltes Leben, das sich in Mut, Verstand und Solidarität manifestiert. Camus schließt seinen Roman mit zwei Botschaften: Die Pest wird zurückkehren, aber was man aus den „Heimsuchungen lernen kann, ist „den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten“. Diese Conclusio gilt auch heute in Coronazeiten.

Hartnäckig wie die Pest halten sich auch in Coronazeiten die Verschwörungstheorien

Doch Camus’ Diktum, „den Menschen  mehr zu bewundern als zu beachten“, mag dann in Schieflage kommen, wo der Mensch die Seuchen instrumentalisiert und missbraucht. Die Stunde der Gefahr ist immer die Stunde der Verschwörung – und je unbekannter die Seuche ist, desto mehr Blüten der Intrige, Desinformation und Lüge werden über ihren Ursprung hervorgetrieben. Fake News sind ja keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, wenngleich sie heute durch die Digitalisierung populärer und umso gefährlicher sind, weil sie millionenfach transportiert und geteilt werden.

Bereits seit einem halben Jahrtausend, mit dem Pestausbruch im 14. Jahrhundert, hält sich hartnäckig die Verschwörungsthese, dass die Juden für die Seuche verantwortlich seien. Faktisch wurden das Volk Jahwes durch die katholische Kirche zu den Brunnenvergiftern erklärt, die als Täter die Auslöschung der Christenheit auf ihrem teuflischen Plan von der Weltherrschaft auf dem Plan hätten. Die Pest als Instrument der Vernichtung. Pogrome und Vertreibung folgten, der Judenhass explodierte und endete zeitversetzt als radikales Böses in den Vernichtungslagern der Nazis.

Dass sich Geschichte wiederholt belegt jüngst ein Schreiben zu den Coronamaßnahmen von hohen Geistlichen und Würdenträgern der katholischen Kirche. In den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, dem Lockdown, wird der Ruf nach einer Weltverschwörung laut, die nicht nur die persönlichen Freiheitsrechte der Einzelnen dauerhaft einzuschränken sucht, so der Vorwurf, sondern nichts anders anvisiert, als einen „Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“. Weiter heißt es: „Es sind Tatsachen, dass unter dem Vorwand der Covid-19-Epidemie in vielen Fällen unveräußerliche Rechte der Bürger verletzt und ihre Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt eingeschränkt wurden, einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Freizügigkeit.“ Zu den Unterzeichnern des dreiseitigen Dokumentes zählen der frühere Päpstliche Botschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, der ehemalige Regensburger Bischof, Kardinal Gerhard Ludwig Müller und Kardinal Joseph Zen Ze-kiun aus Hongkong.

Während Verschwörungstheorien gegen Bill Gates Konjunktur feiern und gleichwohl solche, die den 5 G-Ausbau in Wuhan für die Pandemie verantwortlich machen, ist der Tenor aus den Händen der Kirchenvertreter ein anderer und läuft diametral zur Coronastrategie des römischen Pontifex – Papst Franziskus. Nicht nur, dass Müller und Co von Panik sprechen, Hysterie säen, die Bevölkerung gegen Staat und Lockdown aufhetzen und gar an der Ansteckungsgefahr des Virus zweifeln, sie benutzen die Pandemie als bewusste Stimmungsmache gegen ihren Erzfeind, den reformfreudigen Bischof von Rom. Dessen Offenheit gegenüber dem Synodalen Weg, seine Task Force im Kampf gegen den Kindermissbrauch und gewisse Zugeständnisse bei Freiheiten jeweiliger Ortskirchen ohne „lehramtliches Eingreifen“, sind den Ultrakonservativen ein Dorn im Auge. Die neue Offenheit aus dem Vatikan rüttelt zu sehr an den Grundfesten einer der ältesten Institutionen. Aber im Kampf gegen Franziskus sind den Kritikern eben alle Mittel recht – und sei es selbst das Coronavirus. Doch mit ihrem Schreiben, das von der Deutsche Bischofskonferenz unterdessen heftig kritisiert wurde, befördern sie nicht den Geist christlicher Solidarität für die Papst Franziskus steht. Es ist und bleibt ein Dokument der Selbstinszenierung eitler Bischöfe auf dem Abschiebegleis.

Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, hatte auf Facebook den Unterzeichnern eine Selbstentblößung vorgeworfen. Er sei fassungslos, „was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampfrhetorik, die beängstigend klingt.“ […] Mit Jesus Christus haben derartig wirre Thesen, die Ängste schüren, Schwarz-Weiß-Denken verfolgen, üble Feindbilder zeichnen und das Miteinander in unseren Gesellschaften vergiften, nicht zu tun.“

Der traurige Befund: Die Verschwörungen bleiben und sie gewinnen dort an Macht, wo das Wissen fehlt oder der pure Wille zur Macht regiert.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".