Die geplante Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafenbetreiber HLLA hat einen heftigen Streit ausgelöst. Kritiker der Investition argumentieren, dass die chinesische Regierung unerwünschte Kontrolle über die Hafenanlagen erlangen würde. Befürworter halten dagegen, es handle sich nur um eine Minderheitsbeteiligung, und der deutsche Staat sei in der Lage, Hafenbetreibern Auflagen zu machen, unabhängig davon, wer der Eigentümer ist.
Weltbild der 00er Jahre
Die Debatte zeigt, dass geopolitische Faktoren wirtschaftspolitische Entscheidungen zunehmend beeinflussen. Bislang beruhte die deutsche Außenwirtschaftspolitik primär auf dem Leitbild, dass Handel und grenzüberschreitende Investitionen willkommen sind, weil sie allen Beteiligten nutzen. Danach ist steigender Wohlstand in China auch gut für Deutschland und Europa, denn er steigert die Exportchancen für deutsche Produkte. Chinesische Investitionen in Deutschland können Wachstum und Beschäftigung hierzulande fördern. Hinzu kam der Glaube, dass Wirtschaftskontakte das Verständnis füreinander und die friedliche Zusammenarbeit fördern – und im Fall Chinas gar zu einer Übernahme demokratischer Wertvorstellungen führen können.
Dieses Denken passt in eine Welt, in der sich Staaten friedlich verhalten und eng miteinander kooperieren. Nach dem Ende der Konfrontation zwischen dem kommunistischen Ostblock und dem Westen zu Beginn der Neunzigerjahre war der Optimismus groß, die Weltwirtschaft werde sich in diese Richtung entwickeln. Diese Hoffnung ist teilweise durchaus in Erfüllung gegangen. Die Einbindung vieler mittel- und osteuropäischer Staaten in die EU und die Integration Chinas in die Weltwirtschaft sind Ausdruck friedlicher wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
Neue „Konfliktordnung“
Der US-Politikwissenschaftler Edward Luttwak hat allerdings schon 1990 gewarnt, das Ende des kommunistischen Machtblocks und die Hinwendung zu marktwirtschaftlichem Austausch bedeute keineswegs, dass geopolitische Konflikte keine Rolle mehr spielten. Er argumentierte, dass Regierungen weiterhin eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen und sie auch auf Kosten anderer durchsetzen werden. Zu erwarten sei eine Welt, in der sich die kooperative Logik des internationalen Handels mit der Konfliktlogik der Geopolitik vermischt. Luttwak nennt dies „Geoökonomik“. Zahlreiche Konflikte zwischen den USA, Europa und China über Handelshemmnisse oder den Schutz geistigen Eigentums zeigen, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag.
Der russische Überfall auf die Ukraine und die zunehmenden Drohungen Chinas gegenüber Taiwan zeigen, dass nun eine neue Epoche begonnen hat. Nicht nur Handelskriege, sondern militärische Konflikte werden wieder wahrscheinlicher. Dabei geht es um Konflikte zwischen Staaten, die wirtschaftlich teilweise eng miteinander verbunden sind – was dazu führt, dass Wirtschaftsbeziehungen als Waffe dienen können. Die Sanktionen des Westens gegen Russland, die weitgehende Einstellung der russischen Gaslieferungen nach Europa und die Sanktionen der USA gegen China sind Beispiele dafür.
Diese Entwicklung erfordert einen grundlegenden Wandel der Außenwirtschaftspolitik, der ökonomische und sicherheitspolitische Fragen verbindet – eine „neue Geoökonomik“.
Risiken beherrschen
Da der Wohlstand in Deutschland stark auf internationalem Handel beruht, ist es hier besonders wichtig, die richtige geoökonomische Strategie zu entwickeln. Sie muss zwischen teils konkurrierenden Zielen abwägen. Es geht zum einen darum, kritische Abhängigkeiten, die Deutschland im Krisenfall erpressbar machen, zu begrenzen. Es ist aber ebenso geboten, die immensen Vorteile internationaler Arbeitsteilung weiterhin umfassend zu nutzen – und zwar nicht nur, um den Wohlstand zu mehren. Wirtschaftskraft ist auch ein wichtiger Faktor militärischer Macht und der Abschreckung.
Daraus folgt: Es wäre voreilig, Handelsbeziehungen zu China oder anderen autoritären Staaten pauschal abzubauen. Stattdessen gilt es, im Sinne geoökonomischer Stresstests systematisch zu überwachen, wie sich Störungen der Wirtschaftsbeziehungen auswirken könnten – und Vorkehrungen zu treffen, die Kosten im Fall der Fälle beherrschbar zu halten. Dazu gehört eine Diversifizierung von Rohstoff- und Energielieferungen ebenso wie eine verstärkte Cyberabwehr und eine höhere Resilienz kritischer Infrastrukturen.
Was bedeutet das für den Hamburger Hafen? Prinzipiell erhöhen chinesische Investitionen in Europa die Kosten eines Konflikts für China, wenn derartige Investitionen im Krisenfall enteignet werden können. Lässt sich durch staatliche Regulierung die Funktionsfähigkeit dieser Infrastruktur unabhängig vom Eigentümer sicherstellen, sind die Risiken für Deutschland begrenzt. Aber ob das gewährleistet ist, ist unklar. Das zeigt, dass eine geoökonomische Gesamtstrategie bislang fehlt. Deshalb wäre es ratsam, das Projekt vorerst auf Eis zu legen.
Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts