Auf einmal steht man im rechten Seitenschiff der St. Paul- Kirche in München vor einerReihe von Bildnissen ungleicher Art in einem völlig zusammenhanglosen Kontext. Und gleich gerät man in die Versuchung, sie zu identifizieren, ihnen einen Namen zuzuweisen. Denn sie kommen uns– persönlich oder gar vielleicht aus den Medien – irgendwie bekannt vor.Dem Autor der sieben köpfigen Reihe, dem Schauspieler und Künstler Stefan Hunstein,geht es aber keineswegs darum, Prominente abzubilden.Er orientiert sich auch nicht nach einem Schönheitsideal. Er hat nach Antlitzen gesucht, in denen Spuren vom Alter eingeschrieben und unverhüllt zu sehen sind.„Unzeitgemäße Gesichter“– wie er bei der Eröffnung erklärt -,die von einem „gelebten Leben“ sprechen. Antlitze voller Charakter,die anCharakterdarstellern denken lassen, wie der bärtige Mann in der Mitte,der einem Christus ähnelt, aber auch eine Dostojewski-Figur oder sogar Dostojewski selbst sein könnte.Menschen, die aus einer anderen Zeit auf uns herüber schauen. Gesichter, die den Blick desBetrachters auf sich ziehen, dem es – beim genaueren Hinsehen – allmählich bewusst wird, nichtFotos, sondern Videos vor sich zu haben, in denen diemenschliche Existenz auf ein Minimum reduziert wird, meistens auf ein Blinzeln oder auf ein kaum wahrnehmbares Atmen. Anekdote, Überraschungen sind nicht zu erwarten, sondern nur eine direkte Begegnung mit einem Gegenüber.
„Gegenwart…!“, in Anführungsstrichen gesetzt und mit einem Ausrufezeichen“,liest man in der schwarzen Schrift am Boden, die als Titel dient. Eine „Aufforderung, die Gegenwart zu erleben“ – betont Hunstein, denn „Gegenwart ist jetzt, das Kostbarste, was wir haben“.
Eine Madonna links und eine Paulus-Figur rechts von seinem „Männer-Chor“ interagieren mit ihm, indem sie auf ihn schauen, und eine spürbare Spannung entstehen lassen.Noch spannender die zwei schwarzen Spiegel auf ausgelichtetem schwarzen Papier, worin sich dieBetrachter wiederfinden und ihr Erscheinungsbild –je nach Tageslichteinwirkung – kontinuierlichenWandlungen aussetzen. Ein existentieller Dialog zwischen Gegenwärtigkeit und Heiligkeit bahnt sich an.
Die Grenze des Materiellen ist überschritten und jede Deutung möglich. Das Ganze ist in Hunsteins Konzept keine Ausstellung, denn eine Ausstellung nicht in einer Kirche gehört, sondern in einemMuseum, wo man hingeht, um etwas anzuschauen. Man betritt einen kirchlichen Raum– lehrte Pater Rainer Hepler in seiner einleuchtenden Einführung – nicht um zu sehen, sondern um uns selbst anderen auszusetzen.„Gegenwart…!“ ist vielmehr eine Installation, die einen Parcours „vom Anschauen in den angeschaut werden“ einleitet undihre Wirkung sanft auf alle ausbreiten soll, die bereit sind, sich auf das Geistige in der Kunst einzulassen.
Bis zum 17. Februar 2015
St. Pauls-Platz 11 – Täglich 8.30-17 Uhr- Eintritt frei.
Kuratierung: Rainer Hepler in Zusammenarbeit mit Dr. Ulrich Schäfert, Fachbereich Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising u. Dr. Alexander Heisig, Hauptabteilung Kunst der Erzdiözese München und Freising.
Zur Ausstellung istein 40.seitiger bebilderter Katalog erschienen mit Beiträgen v. Dr. N. Jocher u. Dr. A. Heisig
Vom besonderen Interesse die auch kunsthistorisch vertiefenden Ausführungen Rainer Heplers, der in seinem Essay „Theologische Reflexionen“ auf Hunsteins Installation auch im Kontext anderer in St. Paul ausgestellten Werke eingeht.
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