Bei der nächsten Pandemie wird alles besser: Coronafunk und Kopfbälle, Brot & Spiele und die Rückkehr zum Normalfall: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 37.
„Leute von der Parkbank zu scheuchen, ist halt irre. Das ist mindestens so irre, wie da vorne zu stehen und zu sagen: Das war Bill Gates.“ – Nikolaus Blome
„In der Demokratie gelingt Integration durch Streit.“ – Ralf Dahrendorf
„Irgendwann holt uns der Sensenmann.“ – Hermann Gerland, Fußballtrainer
Der Normalfall kehrt zurück. Ob das eine gute Nachricht ist?
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Sie bekommen schon von allen Seiten viel zu viel und sehr unverdiente Aufmerksamkeit. Trotzdem muss ich mich noch einmal den sogenannten „Hygienedemos“ widmen, die uns vermutlich auch an diesem Wochenende wieder in den Großstädten der Republik beglücken dürften.
Sie sind nicht nur Rattenfänger, Brunnenvergifter und Brandstifter, sie lügen und betrügen auch. Bereits gestern hatten wir beschrieben, dass sie einen nie genehmigten Text von Yanis Varoufakis in Druck und Internet für sich vereinnahmt und verbreitet haben.
Das Gleiche gilt, in noch ärgerer Form, für den Venezianer Philosophen Giorgio Agamben. Wie sich heute über seine deutschen Verlage (Suhrkamp, Fischer, Matthes&Seitz) leicht ermitteln ließ, dementiert Giorgio Agamben jede Herausgeberschaft und anderweitige Mitarbeit beim sogenannten „Magazin Demokratischer Widerstand“. Im Gespräch mit dem linken Pop-Magazin „Melodie & Rhythmus“ betont Agamben zugleich, er sehe es als gefährlich an, dass „im gegenwärtigen Ausnahmezustand eine Art Monopol auf die Wahrheit“ zu bestehen scheine. „Jeder hat das Recht, seine Meinung zur Epidemie zu äußern.“ Der Italiener vertritt schon seit langem die These, der Ausnahmezustand werde zum „neuen Paradigma des Regierens“.
Wenn die Kämpfer für den Normalzustand diesen allerdings nicht ohne Fake-News und falsche Herausgeber herbeiführen können, ist dieser noch die schlechtere Alternative.
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Wenn Leute demonstrieren, sollten wir es erstmal akzeptieren. Wir müssen wohl auch die Not vieler Menschen anerkennen, beziehungsweise ihre Angst und Ungewissheit. Von „Verschwörungstheorien“ (Buzzwort dieser Woche) zu reden, ist sachlich falsch und oberflächlich, vor allem aber verächtlich. Zumal dieses Wort überhaupt kaum jemand wirklich versteht.
Wir sollten nicht sofort wieder überall gleich Etiketten draufkleben.
Nikolaus Blome vom „Spiegel“ hat es gestern bei „Maybrit Illner“ gut formuliert: „Vorne auf der Bühne des Protest stehen die Irren. Die Leute weiter hinten befinden sich innerhalb des Verfassungs-Bogens. Sie haben im Prinzip nur ein paar Fragen.“
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Inzwischen weiß jeder, wes Ungeistes Kind dieser Haufen ist. Das Übelste und Nervigste an diesen selbsternannten Protestlern ist, dass sie ehrenwerte Begriffe und Haltungen der Politik wie Freiheit und Widerstand besudeln und beschädigen. Sie kontaminieren damit die durch durchaus gut begründete Kritik an bestimmten Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen zur Eindämmung der Pandemie.
Sie machen es schwerer, Einwände und Kritik zu formulieren. Denn mit denen möchte man sich nicht gemein machen.
Aber Einwände und Kritik sind nötig; sie sollten und dürfen auch weiterhin möglich sein. Man darf sich also mit dem Verweis auf die Hygienedemos und ähnliche Wirrköpfe und auf Extremismus auch nicht beeindrucken und mundtot machen lassen.
Die Kritik gilt Ausnahmezustand, Ausgangsbeschränkung, der nach wie vor andauernden (Teil-)Schließung von Kulturstätten, Kinos, Gaststätten, von Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten, dem beispiellosen Herunterfahren der Wirtschaft und des ganzen öffentlichen Lebens, das immense Folgeschäden auch an Leib und Leben vieler Bürger und horrende Kosten verursacht. Wir alle werden dafür bezahlen müssen.
Und darum darf man nicht nur, man sollte nachfragen, ob das wirklich angemessen war? Diese Nachfragen nehmen zu, nicht ab. Sie sind selbstverständlich in einer pluralen demokratisch verfassten Gesellschaft. Diese basiert genau wie auf Vertrauen auch auf Skepsis gegenüber den Regierenden. Solche Skepsis sollte selbstverständlich sein.
Die Bringschuld haben nicht die Kritiker und Fragesteller, sondern die Entscheider. Die, die die Maßnahmen verantworten, deren Folge alle gemeinsam tragen müssen.
Man darf Gegenargumente formulieren. Man darf auch Expertenurteile infragestellen und der Kanzlerin widersprechen, ohne dass das eine wie das andere Majestätsbeleidigung ist.
Zumal es zuallererst deutsche Gerichte waren, die die Politik in ihren Exekutiv-Exzessen an die Kandare genommen haben.
Aber eine solche selbstverständlich skeptische, nachfragende Haltung wird nachhaltig beschädigt, wenn sich Wut und Hass und anti-republikanische Feindschaft gegen rechtsstaatliche Institutionen und demokratische Verfahren die Maske legitimer Kritik aufziehen.
Darum muss unmissverständlich gesagt werden werden: Jeder Einzelne, der in seiner Kritik und der Legitimität seiner Haltung ernst genommen werden will, darf den „Hygienedemonstrationen“ nicht gestatten, ihn zu missbrauchen. Jeder Einzelne sollte hier eine Grenze ziehen.
Wer trotzdem hingeht, lässt sich missbrauchen von den Ken Jebsens und Jörg Bachmanns. Das ist unentschuldbar.
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Es wird wieder normal. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Markus Lanz am Donnerstag erstmals seit zwei Monaten keine Sendung zu Corona gemacht hat. Es war sofort todlangweilig. Denn schon so wäre es todlangweilig gewesen, 75 Minuten lang Jens Söring zuzuhören, der in den USA als Doppelmörder verurteilt war, und deshalb etwa 30 Jahre im Gefängnis gesessen hat. Dass einer, der 30 Jahre lang behauptet, kein Mörder zu sein, auch bei Lanz nichts anderes sagen würde, war absehbar. Und auch wenn man Marcus Vetters ziemlich guten Film „Das Versprechen“ nicht gesehen hatte, wurden Sörings Ausführungen bald redundant, zumal er über manches nicht reden durfte oder wollte. Ein schäger Typ, auch wenn er vielleicht kein Mörder ist. Und Lanz schonte ihn mit seinen Fragen weitaus mehr als jeden Virologen.
So lag Sörings Schuld am Ende wie am Anfang im Auge des Betrachters, ansonsten blieb nur das Fazit: „Sachen gibt’s!“
Immerhin kann man bei der nächsten langweiligen Lanz-Sendung jetzt in die Kneipe flüchten. Oder auch nicht, weil alles noch ein paar Tage bereits gegen 22 Uhr dicht macht, bevor irgendein Gericht auch diese hirnrissige Beschränkung aufheben wird.
Auch der Deutschlandfunk macht ab Montag wieder normales Programm. An diesem Freitag klopfte man sich bei der Call-in-Sendung am Vormittag noch mal ordentlich auf die Schulter, und erklärte (wohl eher den eigenen Mitarbeitern als den längst ermatteten Hörern), warum das Programmkuddelmuddel (von „geschredderten Sendungen“ sprach sehr plastisch eine Anruferin), die langen Sendestrecken und vor allem die komplette Fixierung auf Deutschland (ausgerechnet die tägliche „Europa-heute“-Sendung wurde komplett eingestampft, obwohl man da schwedische Sonderwege und italienische Krankenhauszustände wunderbar hätte vorstellen können) unbedingt nötig war und richtig und überhaupt.
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Jetzt aber endlich zu den schöneren Dingen des Lebens. Fußball!
Die Fußballbundesliga startet, und alle regen sich auf. Zumindest in den Medien. Sie regen sich nicht etwa über Geisterspiele ohne Zuschauer auf, sondern darüber, dass die Bundesliga überhaupt stattfindet, dass bei uns gespielt werden darf, in anderen Ländern noch nicht.
Warum tun sie das? Ansonsten finden es die Deutschen doch immer supertoll, besser zu sein als alle anderen. Exportweltmeister, Autoweltmeiser, Währungsstabiltätsweltmeister, jetzt auch Corona-Weltmeister. Und dann soll es falsch sein, wenn alles wieder langsam aufmacht, der Fußball aber nicht?
Ich habe den Verdacht, dass in dieser Reaktion herauskommt, wie lustfeindlich die Deutschen in Wahrheit sind, wie asketisch und moralisierend.
Wenn sie schon keinen Spaß haben im Corona-Ausnahmezustand, wenn sie schon im Schweiße ihres Angesichts mühevoll Pandemie-Disziplin praktizieren, wie sonst nur Akkord-Autozusammensetzen am Fließband, wenn sie es schon nicht zustandebringen, wie die Italiener auf dem Balkon zu singen, dann sollen gefälligst die Fußballspieler auch keinen Spaß haben. Überhaupt: Spiel! Was ist das denn für ein fürchterliches Bild? Wo bleibt da die Vorbildfunktion des Sports?
Ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen den frühzeitigen (meines Erachtens voreiligen) Schließungen aller Kultureinrichtungen und den absurd übertriebenen, von Forschern in ihrer seuchendämmenden Wirkung längst in Frage gestellten Schließung der Gaststätten und Restaurants und der Schließung des Sportbetriebs.
Und der verspäteten Öffnung der drei Bereiche.
Alle drei Maßnahmen sind nämlich lust- und genußfeindlich. Alle drei Bereiche sind „überflüssig“ im Sinne knallharter Effizienz.
Alle drei sind „unproduktiv“, man braucht sie höchstens um die Leute bei Laune zu halten. Und wenn die Laubne eh im Keller ist …
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Natürlich ist genau das Gegenteil wahr: Fußball ist auch Kultur. Wie überhaupt Sport. Sorry, Leute! Natürlich geht es auch um viel Geld, und ich weiß, ich weiß, die Liga verdient mit der frühen Öffnung viel, weil sie Fernsehrechte nach Asien verkauft, ohne dass die Spanier und Engländer Konkurrenz machen.
Aber um Geld geht es immer in einer kapitalistischen Gesellschaft. Aber wenn VW wieder die Bänder anwirft, wenn bei der BASF wieder die Chemietanks blubbern, dann ist das dringend nötig für die Volkswirtschaft, aber wenn BVB gegen Schalke spielt, dann ist es die Gier der Kicker-Millionarios.
Fehler. Ein Marco Reus oder ein Thomas Müller verdienen sauviel und viel mehr, als wir oder auch die Kanzlerin je verdienen werden. Aber ihre Gehälter sind nichts gegen die unserer Manager. Und noch die obszönste Ablöse ist nichts gegen die Boni für Börsenmakler.
Wozu als die Aufregung?
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Passenderweise sind es genau die üblichen Verdächtigen von der Moral-Titanic, meine lieben Freunde (und in solchen Momenten frage ich mich wirklich, warum ich die eigentlich wähle) von der SPD und den Grünen, die es „unverantwortlich“ und „ein falsches Signal“ finden, dass die Bundesliga wieder aufmacht.
Und meine Freunde aus dem Kulturbereich, ein paar Kinobetreiber und Filmfestivaldirektoren, die beleidigt sind, dass die Stadien wieder aufmachen, ihre Kinos aber nicht.
Mal davon abgesehen, dass Geisterfestivals und -vorführungen im Kino wenig Sinn machen, und einstweilen auch nicht live im Fernsehen übertragen werden, ist das eine totale Fehlkalkulation. Regelrecht dumm in ihrer grenzenlosen Ignoranz und Kurzsichtigkeit.
Der einzige, der es begriffen hat und von dem auch hier wieder alle Kritiker etwas lernen können (tut mir echt leid, das denen, die es angeht, so unter die Nase zu reiben), ist der Filmproduzent Nico Hofmann.
Er hat nämlich verstanden, und bereits letzte Woche bei (wo sonst?) „Markus Lanz“ umfänglich dargelegt, dass die Bundesliga als eine Art Eisbrecher für die Kultur funktionieren wird.
Wenn die Fußballklubs nämlich (meinetwegen aus reiner Geldgier) sich selbstentworfene Corona-Regeln und ein sogenanntes „Sicherheitskonzept“ auferlegen, über dessen Vorbildlichkeit sich sogar Armin Laschet und Markus Söder, also BVB und FCB mal einig sind, dann wird man auch der Kinokultur und allen anderen dies nicht so leicht versagen können – vorausgesetzt sie bringen so ein Konzept zustande.
Wenn Fußball damit erfolgreich durchkommt, können sich alle anderen drauf berufen.
Man sollte also besser nicht hoffen (wie es jetzt manche kurzsichtige Quatschköppe tun), dass die Bundesliga mit ihrem Neu-Start scheitert.
Das ist die Kultur-Bazooka. Von Olaf Scholz wir sie nicht kommen. Und da die Kultur in absolut existenzieller Gefahr ist, muss das jetzt klappen.
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Über die Kritik der Medien mache ich mir keine ernsthaften Sorgen. Sobald der Ball erstmal wieder rollt, wird das Gemecker schnell verstummen, die Bedenkenträgerei, ob jetzt besondere Verletzungsgefahr droht, das Moralisieren, ob man damit ein schlechtes Beispiel gibt.
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Ins Knie schießen können sich jetzt nur die Fußballer selbst. Gerade bei Heiko Herrlich möchte man in der Hinsicht keine schlechten Witze machen, da der Mann schließlich eine Hirnoperation hinter sich hat. Darum sagen wir es mal einfach so, dass Herrlich offenbar zu jenen Fußballern gehört, die in ihrem Leben ein paar Kopfbälle zu viel gemacht haben.
Anders kann man es sich nicht erklären, dass der Trainer des FC Augsburg gestern bei einer Pressekonferenz fröhlich erklärte, wie er das Quarantäne-Hotel verlassen hat, um entgegen aller Regeln in einem Drogeriemarkt Zahnpasta und Hautcreme zu kaufen. Zahnpasta und Hautcreme! Hat er keinen Assistenten, der ihm das besorgen kann? Oder die Hotelrezeption? Und wozu braucht er überhaupt Hautcreme?
Vor allem aber: Warum redet der Mann öffentlich darüber? Wie dumm kann einer sein? Ist Dummheit ein Entlassungsgrund?
Das alles zeigt natürlich, dass alle Regeln und „Hygienekonzepte“ dieser Welt längst nicht nur im Fußball vor allem zur Beruhigung der Öffentlichkeit gemacht werden – selbst die Betroffenen verstehen sie nicht, selbst wenn sie sie akzeptieren.
Es zeigt auch, auf wie dünnem Eis gerade der ganze Fußball steht. Ein Vollpfosten kann die ganze Liga zum Platzen bringen. Und jeder Fußballfan weiß, wieviele Idioten selbst in seinem Lieblingsteam spielen.
Anstelle der Deutschen Fußballliga würde ich jedenfalls alle Beteiligten Verträge unterschreiben lassen, nach denen sie mit ihren Millionengagen in Fällen wie diesen schadensersatzpflichtig sind.
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Trotzdem noch ein letztes Argument für den Fußball-Neustart: Brot und Spiele! Genau: Profi-Fußball dient selbstverständlich unter anderem auch dem Aggressionsabbau breiterer Massen und der Volksbelustigung, er lenkt ab von anderen Dingen. Alles gerade dringend nötig. Wenn sich ein paar Menschen mehr in der kommenden Woche mit dem Tabellenstand ihres Lieblingsvereins beschäftigen als mit der Frage, ob Bill Gates das Corona-Virus gezüchtet hat, um gemeinsam mit Angela Merkel die Weltherrschaft zu erringen, dann ist allen geholfen.
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