„Den Weihnachtsmann gibt es nicht“, hatte ein Bischof auf Sizilien gepetzt und wurde prompt als Spielverderber geschimpft. Dabei hatte er bloß das Geschäftsmodell dahinter angeprangert: „Warum bringt der Weihnachtsmann nur den Reichen Geschenke und nicht den Kindern, die nichts haben?“ Szenenbild aus „Versprochen ist versprochen“.
Entscheidende Augenblicke: Französische Erfahrungen, deutsche Fragen und die Steuerungsfähigkeit des Staates in der Tyrannei der Ungeimpften – Gedanken in der Pandemie, Folge 143.
„Die Schlacht von Austerlitz ist die schönste, die ich jemals geschlagen habe.“
Napoleon Bonaparte, an Josephine, am 2. Dezember 1805
„Der Nebel begann sich zu zerteilen, und in einer Entfernung von etwa zwei Werst konnte man bereits auf den gegenüberliegenden Höhen feindliche Truppen wahrnehmen, wenn auch nur undeutlich. Von links unten wurde das Schießen vernehmbar. Kutusow machte halt und sprach ein paar Worte mit einem österreichischen General. Fürst Andrej hielt dicht hinter ihm und beobachtete die beiden, dann wandte er sich an einen Adjutanten, um sich dessen Fernrohr auszubitten. ,Sehen Sie bloß, sehen Sie bloß‘, sagte dieser Adjutant und blickte nicht auf die Truppen in der Ferne, sondern vor sich den Berg hinunter. ,Das sind die Franzosen!‘ Die beiden Generäle und die anderen Adjutanten griffen nach dem Glase und entrissen es einer dem anderen. Ihre Gesichter hatten sich plötzlich verfärbt und drückten Entsetzen aus. Sie hatten die Franzosen in zwei Werst Entfernung geglaubt, und jetzt standen sie plötzlich unerwartet vor ihnen. ,Ist das der Feind? … Nein! … Aber sehen Sie doch, das ist er … ganz sicher … Was ist das?‘ schwirrte es durcheinander. Fürst Andrej erkannte mit bloßem Auge rechts unten eine dichte Kolonne Franzosen, die nicht weiter als fünfhundert Schritt von der Stelle entfernt war, wo Kutusow hielt. Jetzt ist er da, der entscheidende Augenblick. Jetzt ist’s an mir! dachte Fürst Andrej, riss sein Pferd herum und ritt an Kutusow heran.“
Leo Tolstoi,
„Den Weihnachtsmann gibt es nicht.“
Antonio Staglianò, Bischof von Noto auf Sizilien am 6.12.2021
Es gibt nicht nur eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, sondern auch epidemische Lügen. Und epidemische Dummheit von nationaler Tragweite. Sie kann man leider nicht abschaffen.
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Auch wenn wir schon ganz weihnachtlich gestimmt sind, können wir hier die Corona-Lage und die neuerlichen Lockdown-Forderungen vor allem aus Teilen der Wissenschaft nicht übersehen.
Seit Beginn der Pandemie irriert da Mehreres: Dass einerseits viele Menschen gar nicht auf Wissenschat hören, es immer besser wissen wollen, als die Fachleute, oder – noch schlimmer – auf Alternativwissenschaften und „echte Experten“ ausweichen; dass andererseits dort, wo auf Wissenschaften gehört wird, den Naturwissenschaften und Medizinwissenschaften viel mehr geglaubt und zugetraut wird, als den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften – als hätte Corona nicht mit allem viel zu tun und als wäre der Rat der Natur- und Medizinwissenschaftler wertvoller für unser Leben. Damit einher geht auch die grassierende Kulturverachtung, die während der Pandemie zu erkennen war.
Es irritiert auch, dass Wissenschaft in Deutschland viel lauter und viel politikkritischer ist, als in anderen Ländern. Dass im Gegensatz zu anderen Ländern auch Wissenschaftler , die die Regierung beraten, sich wahnsinnig viel darauf zugute halten, dass sie ihre Empfehlungen öffentlich und über die Medien abgeben. Dass manche Wissenschaftler ihre Aufgabe offenbar vor allem darin sehen, die Politik der Regierung in ihrem Sinne aktiv zu beeinflussen.
Mich irritiert, dass sich ein Expertenrat, noch nicht einmal eine Woche, nachdem er von der Bundesregierung erstmals einberufen worden ist, mit unerbetenen Erklärungen in den Medien zu Wort meldet, in denen die Pandemiebekämpfungspolitik der Regierung kritisiert und Lockdownforderungen aufgestellt werden – obwohl diese von anderen Wissenschaftlern nicht geteilt werden, und keiner der vorlauten Experten die politischen oder ökonomischen oder kulturellen Folgen solcher Forderungen zu tragen hat.
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Deutschland in einer Zeitungsmeldung: Ein Vater sorgt sich beim Radfahren um seine Kinder. Deshalb fotografiert er reihenweise Falschparker und sendet diese Bilder über ein Portal an die Polizei. Die Behörden sehen darin jedoch einen Verstoß gegen den Datenschutz.
Und alle haben sie recht. Irgendwie. Juristisch sowieso. Das ist allerdings genau das Problem.
Bei Jean Renoir heißt es einmal: „In der Welt gibt es eine schreckliche Sache, nämlich dass jeder seine guten Gründe hat.“ Das bringt es leider auf den Punkt.
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Regeln Regeln Regeln. Die Deutschen mögen ja Regeln besonders gern und deswegen mögen sie auch auf eine ganz subtile, versteckte, manchmal querdenkerische Art Corona, jeder natürlich auf eine andere Art.
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Regeln durchsetzen, auch das mögen die Deutschen. Genauso wie konsequente Überwachung, dann wenn die Durchsetzung von Regeln gefährdet ist.
Interessant daran ist, dass man die Dinge, die man zur Pandemiebekämpfung gerne einsetzt keineswegs auch im übrigen Leben verwendet. Etwa wenn es um das Gehwegparken geht, dann gibt es heute obwohl dies auf Radwegen wie Bürgersteigen verboten ist, die Tendenz die bisherige Praxis schlicht zu legalisieren, wenn Platz genug für die wenigen Fußgänger ist. Immer mehr Bürger neigen auch dazu, ihre SUVs die man auf normalen Parkplätzen gar nicht mehr abstellen kann eben mal quer auf den Bürgersteig zu stellen oder Kreuzungen zuzuparken.
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Ein überdurchschnittlich interessanter Abend bei „Maybrit Illner“. Das liegt nicht an Friedrich Merz, sondern vor allem daran, dass in der Sendung vom 16.12.2021 Daniel Cohn-Bendit zu Gast war. Der redet gern, aber auch direkter, ungeschützter und somit frischer als andere deutsche Politiker.
Er fungierte als „Stimme Frankreichs“ und plädierte überraschenderweise für Zentralismus, gegen die deutsche Länderhoheit: „Wir müssen die Kraft haben, über den Föderalismus nachzudenken. Dass da keine zentrale Entscheidung getroffen werden konnte ist angesichts einer solchen Pandemie im Endeffekt unverantwortlich.“
Klar sollte er, selbst wenn Cohn-Bendit kein Grüner und Ex-68er wäre, vielleicht etwas vorsichtiger sein mit seiner Schwärmerei fürs „Durchregieren“, und das Geläster über „irgendwelche Ministerpräsidenten, die Angst haben vor der nächsten Landtagswahl“ ist nicht nur billig, sondern klingt auch ein bisschen demokratieverächtlich.
Andererseits sollte sein Hinweis auf die größere Risikobereitschaft von Politikern in anderen Ländern uns Deutschen zu denken geben: „Macron hat im Sommer 2021 3G wirklich durchgesetzt – und da ist die Impfquote rapide hochgegangen. Und er hatte 350.000 Leute gegen sich und gegen den Impfpass auf der Straße gehabt. Da sind die paar Idioten in Sachsen gar nichts dagegen. Aber er hat es durchgezogen. 90 Prozent der erwachsenen Menschen sind geimpft.“
Einmal in Fahrt machte Cohn-Bendit weiter: „In Spanien ist das komplette Gesundheitssystem digital. Das heißt: Man wurde angerufen: ,Sie sind noch nicht geimpft.‘ Dann wurden Termin-Angebote gemacht. Und zwar jedem einzelnen Bürger. Das ist effektiv gewesen. Und ich finde diese Frage müssen wir uns stellen: Warum in einer solchen Situation vor lauter Angst Entscheidungen zu treffen, die vielleicht auch Bürger verstört, wir zu spät kommen.“
Cohn-Bendit war sich mit Friedrich Merz nicht nur in der Klage über die schwache Digitalisierung einig, in der Notwendigkeit eines nationalen Impfregisters, sowie auch darin, dass aufgrund der vernachlässigten Modernisierung in Deutschland inzwischen die Steuerungsfähigkeit des Staates auf dem Spiel steht: „Ich will nicht sagen, dass Deutschland so zentralistisch werden soll wie Frankreich oder Italien. Aber die Pandemie hat uns gezeigt, dass die Gewichtung der Entscheidung in Deutschland in einer solchen Lage labil ist.“
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Andere Länder haben auch keine „ständige Impfkomission“, die fortdauernd Sonderwege geht, die Freigabe weltweit verwendeter und auf EU-Ebene längst genehmigter Impfstoffe verzögert und das abgibt, was auch Markus Söder „kontraproduktive Empfehlungen“ nennt, die Moderna für unter 30-jährige verbietet, und Kinderimpfungen in die Eigenverantwortung der Eltern gibt – was nur Ängste und Unsicherheit fördert.
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Später dann ging es bei „Maybrit Illner“ noch um die Impfpficht. Die Moderatorin behauptete es habe „einen ziemlich eklatanten Wortbruch“ seitens der Politiker gegeben – so ein Unsinn! Auch durch Wiederholung dieser Phrase wird sie nicht wahrer. Warum soll es sich eigentlich um einen Wortbruch handeln? Niemand hat irgendetwas versprochen; manche haben höchstens sehr deutlich gesagt: Mit uns wird es das nicht geben.
Und selbst wenn es einen Wortbruch gegeben hätte – warum diesen problematisieren? Soll man, nur um sein Wort zu halten, besser Politik gegen die eigene Überzeugung machen?
Noch einmal dazu Cohn-Bendit: „Plötzlich entdecken wir, dass die Menschen nicht alle gut sind, nicht vernünftig sind. Plötzlich entdecken wir das Böse.“
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„Den Weihnachtsmann gibt es nicht, und Coca Cola – aber nicht nur – nutzt sein Image, um sich als Träger guter Werte darzustellen“, hatte der Bischof von Noto in Sizilien, Antonio Staglianò, am Nikolaustag vor Kindern laut italienischer Medienberichte gepredigt, und damit eine Debatte über den weihnachtlichen Konsumrausch entfacht.
Einige Eltern und Medien klagten, der Geistliche habe den Kindern damit die Freude an Weihnachten und Geschenken genommen. Die Diözese sah sich zu einer Entschuldigung gezwungen: Es sei nicht die Absicht gewesen, einen Medienrummel zu verursachen oder Kinder zu enttäuschen. Aber das Fest sei „zunehmend konsumorientiert, entchristlicht und der Logik des Marktes unterworfen“.
Staglianò präzisierte: „Ich habe den Kindern nicht gesagt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, aber wir haben darüber gesprochen, dass man unterscheiden muss, was real ist und was nicht.“ Er habe das Beispiel von Nikolaus von Myra genannt, einem Heiligen, der den Armen Gaben brachte, nicht Geschenke. „In der angelsächsischen Tradition wurde er zum Weihnachtsmann, aber sicher nicht zu dem von Coca Cola geschaffenen Weihnachtsmann.“ Die Frage sei: „Warum bringt der Weihnachtsmann nur den Reichen Geschenke und nicht den Kindern, die nichts haben?“
„Der wahre Sinn von Weihnachten liegt in dieser Grotte, in der Kälte und im Frost, wo das Jesuskind in einer Wiege im Stroh geboren wird, die sicher nicht Amazon geliefert hat“, sagte er der Zeitung „Repubblica“.
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Vor einer Woche waren etwa 1 bis 3 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Corona infiziert. Im Prinzip ist das eine gute Nachricht, denn man kann es nicht oft genug betonen: Wir müssen uns alle infizieren!
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2022 ist das Jahr 1972 50 Jahre her. Die Olympischen Spiele von München gehören zu meinen frühen Kindheitserinnerungen. Der 5. September auch.
Was wird unser kommendes Jahr bestimmen? Mir scheint, dass wir noch einmal anders und stärker über Angst reden müssen. Angst das Element, dass uns in Deutschland besonders deutlich bestimmt, das wir uns aber ungern eingestehen.
Angst und Freiheit bedingen einander: Angst macht unfrei; man kann nur frei sein, wenn man Angst überwindet.
Beide bedingen einander, wie Öffentlichkeit und Geheimnis, wie Risiko und Gefahr. Wie Krieg und Frieden.
Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ bringt diese Wechselwirkungen gut auf den Punkt. Der Romantitel meint ja mehr als nur die Napoleonischen Kriege. Er meint einen Weltzustand.
Es ist ein Weltzustand, der von produktivem Konflikt und dauernder Bewegung geprägt ist. Wie die Epoche zwischen 1750 und 1850, deren berühmtester Vertreter Napoleon war. Tolstois Titel meint, so scheint mir, Bonaparte genau so wie Beethoven, wie Hegel, wie Kleist, wie Byron, wie Stendhal, wie…
Es gibt neben der schönen Hollywood-Verfilmung mit Audrey Hepburn und Henry Fonda und dem sowjetischen Pendant von Bodartschuk, das bereits mit seinen rund 7 (sieben!) Stunden Gesamtlänge wie eine Miniserie funktioniert, auch noch eine britische Serie , in der ein junger Anthony Hopkins die Hauptrolle spielt. In bester klassischer BBC-Solidität schreitet die Handlung in 20 Episoden gleichmäßg voran und trifft so am ehesten den Ton Tolstois.
Dies wäre mein Serientip für die Feiertage – abgesehen von allem auf den großen Streamern, wo nicht Englisch gesprochen wird. Schon aus Anstand!
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Viel deutet darauf hin, dass wir es auch im kompletten nächsten Jahr mit Corona zu tun haben werden. Es wird auch im nächsten Herbst neue Wellen und Mutationen geben. Nicht nur Politiker werden sich weiter Illusionen hingeben. Wir lernen nur sehr begrenzt.
Viel deutet auch darauf hin, dass wir es bald wieder einmal mit einem Lockdown zu tun haben werden. Wie lange wird er noch gehen dieser Rhythmus des Öffnens und Schließens?
Wer von uns sehnt sich nach dem Lockdown-Zustand, wenigstens ein bisschen?
Im nächsten Lockdown wäre dann Zeit, endlich einmal „Krieg und Frieden“ auch zu lesen. Vielleicht genügt ja auch die Zeit bis zum nächsten Pandemie-Blog, im Neuen Jahr?
Bis dahin jedenfalls alles Gute – und: Bleibt gesund!
Erschienen auf out-takes, der Blog der Film-und Fernsehbranche