Geboren im nordböhmischen Reichenberg – Erinnerungsbuch über Hans Richter erschienen

Einsame Bank in Italien, Foto: Stefan Groß

Vor anderthalb Jahren, am 11. Dezember 2017, ist der Jenenser Literaturwissenschaftler Hans Richter (1928-2017) gestorben. Jenseits der DDR-Grenzen war er kaum bekannt, was sich erst dann änderte, als im Berliner Aufbau-Verlag sein umfangreiches Buch (407 Seiten) „Franz Fühmann. Ein deutsches Dichterleben“ (1992) erschienen war. Denn der aus Rochlitz/Riesengebirge stammende Lyriker und Erzähler (1922-1984) war ein engerer Landsmann des am 2. Dezember 1928 in Reichenberg geborenen Germanisten.

Hans Richter hat nur fünf Jahre das Gymnasium in Reichenberg besuchen können, bevor er als Luftwaffenhelfer in der Reichshauptstadt Berlin eingezogen wurde. Nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Österreich arbeitete er von Juni 1945 bis Januar 1946 in Bad Berka/Thüringen als Knecht in der Landwirtschaft und besuchte dann das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Jena, wo er 1947 das Abitur ablegte. Zwei Jahre später nahm er an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein Germanistikstudium auf, das er 1953 mit dem Diplom abschloss. Die Promotion erfolgte 1957, die Habilitation 1964, zum Professor wurde er 1968 ernannt, emeritiert wurde er vorzeitig 1991.

Über „Gottfried Kellers frühe Novellen“ (1960) hat er ein Buch veröffentlicht, was dazu führte, dass er 1961 in der „Bibliothek deutscher Klassiker“ eine fünfbändige Werkausgabe des Schweizer Erzählers herausgeben durfte. Mehrmals hat er, seine biografischen Wurzeln legten das nahe, das Werk deutscher Autoren aus Böhmen erforscht, neben Franz Fühmann waren das Rainer Maria Rilke (1875-1926), Louis Fürnberg (1909-1957) und Günther Rücker (1924-1999), der wie er aus Reichenberg stammte und auf den er einen Nachruf schrieb.

Unter dem Titel „Ringend mit sich und seiner Zeit“ (2019) sind jetzt im Quartus-Verlag/Bucha bei Jena „Texte von und über Hans Richter“ (Untertitel) erschienen, von denen der anrührendste „Der Zustand absoluten Glücks“ von der 1940 geborenen Germanistin Sigrid Damm stammt, die in Jena studiert hat und bei Hans Kaufmann Assistentin war. Sie schreibt: „Seine leise, angenehme Stimme zog mich sofort in ihren Bann. Er sprach über deutsche Lyrik, über Verse von Rainer Maria Rilke, über die von Bertolt Brecht. Die Gedichte selbst und jeder seiner Sätze, entsinne ich mich, öffneten mir eine Welt. Was er sagte, versetzte mich in einen Zustand absoluten Glücks…“     Sehr lesenswert ist auch der aus dem Nachlass stammende Erinnerungstext Hans Richters „Mein 10. Geburtstag“ über den Besuch Adolf Hitler 1938 in Reichenberg.

Harald Heydrich/Ulrich Kaufmann (Herausgeber): „Ringend mit sich und seiner Zeit“, 252 Seiten, 19.90 Euro. Bucha 2019 

Über Jörg Bernhard Bilke 263 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.