– Das zu 100% vom russischen Energieriesen Gazprom geführte Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“ hat kürzlich alle für Deutschland notwendigen Genehmigungen erhalten. Es soll auf einer Länge von 1224 Kilometern über eine unterseeische Doppelleitung parallel zum bestehenden Röhrensystem „Nord Stream“ noch mehr Gas ohne Umwege direkt nach Deutschland führen.
Klingt gut, ist aber politisch gesehen fragwürdig. Hier sieben Gründe gegen den Bau von „Nord Stream 2“, das – dem Wunschdenken der Betreiber zufolge – „wie geplant 2018“ umgesetzt werden soll:
- Spaltung Europas und der EU:
„Der Plan spaltet die EU politisch und stellt unsere Solidarität mit Polen, unseren baltischen Nachbarn, der Slowakei und der Ukraine, aber auch mit Dänemark und Schweden in Frage,“ schreiben deutsche Europa- und Bundespolitiker mehrerer Parteien in einem Zeitungsbeitrag. „Wir sollten ein Prinzip achten: Die Interessen von EU-Mitgliedstaaten sollten uns näherstehen als die eines Drittstaates, zumal eines aggressiven. ‚Nord Stream 2‘ist ein politisches Instrument Putins. Putin will damit auch Europa spalten. Wir sollten ihm das nicht gestatten.“ Auch die Europäische Kommission lehnt das Projekt vehement ab und will es unter europäisches Recht stellen, um es zu stoppen.
- Mehr Abhängigkeit von Russland
Die im Aufbau begriffene Europäische Energieunion soll die EU unabhängiger von einem Russland machen, das den Westen zu destabilisieren sucht. „Nord Stream 2“ würde dieses Vorhaben konterkarieren, die Zersplitterung des EU-Energiemarktes festigen und die Abhängigkeit von Energie aus Moskau mitsamt Erpressungspotenzial verstärken. Allein Deutschland bezieht gegenwärtig rund 40 Prozent seines Gases aus Russland. Jedes Prozent mehr bedeutet mehr Abhängigkeit von Moskau.
- Kapazität weit über Bedarf
„Nord Stream 2“ soll mit der ersten Doppellinie jährlich mindestens 110 Milliarden Kubikmeter (bcm) Erdgas aus Russland nach Deutschland liefern. Der gegenwärtige Verbrauch belaufe sich aber auf nur ca. 80 bcm im Jahr, rechnet Anke Schmidt-Felzmann vom Schwedischen Institut für Internationale Politik (UI) vor. Der Erdgasverbrauch werde wegen der Energiewende, Effizienzsteigerungen und der Klimaziele in den kommenden Jahren „signifikant schrumpfen“. Daher bewirke „Nord Stream 2“ eine Übersättigung an Gaslieferungen.
- Affront gegen Anrainer
Alle Anliegerstaaten der Ostsee lehnen das russisch-deutsche Projekt ab. Denn „Nord Stream 2“ soll die Erdgaslieferungen ohne Abzweig an ihren Küsten vorbei von Russland aus direkt nur nach Deutschland fließen lassen. Dänemark hat ein Gesetz beschlossen, das den Bau einer Pipeline durch dänische Gewässer untersagen kann. Diese Lex „Nord Stream 2“ kann das Baukonsortium zum Suchen einer neuen Route zwingen – das treibt die Errichtungskosten von derzeit geschätzten 9,5 Milliarden Euro hoch. Eine Baugenehmigung durch ihre Gewässer ist auch von Polen, Schweden und Finnland sowie den Baltenstaaten nicht zu erwarten.
- Pipeline führt durch Krisenzone
„Nord Stream 2“ führt in der Ostsee durch eine Region, die enormes Risikopotenzial birgt. Russland hat hier seine Luft- und Marinepräsenz ausgebaut, testet die Nato bis an die Grenze des völkerrechtlich Erlaubten (Karte rechts). In Kaliningrad sind dauerhaft Iskander-Raketen installiert, in den Häfen mehr Kriegsschiffe stationiert und sogar die chinesische Marine zum Manöver geladen worden. Die neue Pipeline liefe Gefahr in mögliche Auseinandersetzungen einbezogen zu werden und gäbe Russland außerhalb der eigenen Gewässer einen Grund, „Schutzmaßnahmen“ zu ergreifen.
- Unterlaufen von EU-Sanktionen
Die EU hat im Zuge des Konflikts um die Ukraine Sanktionen gegen die Russische Föderation verhängt, die vor allem auf den für Moskau lebensnotwendigen Energiesektor zielen. „Nord Stream 2“ würde dem Kreml ausgerechnet in diesem zentralen Wirtschaftshebel ein wichtiges Puzzlestück der europäischen Energieversorgung sichern und damit die Sanktionen unterlaufen. Das wäre ein fatales Signal an die großmachtträumerische Putin-Regierung, die sich aus „Nord Stream 2“ ihre Expansionspolitik mitfinanziere könnte: Hilfe an rechtspopulistische EU-Parteien, Krieg in Syrien, Unruhestiften in der Ostukraine, völkerrechtswidrige Eingliederung der Krim sowie Einflussnahme auf Georgien und die Republik Moldau.
- Schlag gegen die Ukraine
Kritiker sehen in der Isolierung der Ukraine eines der Hauptmotive Russlands für die Investition in eine neue Ostseepipeline. Der Kreml möchte die Ukraine der Einnahmen und damit seiner strategischen Rolle berauben. Denn die einstige Sowjetrepublik ist ein zentraler strategischer Partner des Westens geworden. Der Führung in Moskau passt es nicht, dass die Ukraine die derzeit wichtigste Transitstrecke russischen Erdgases in Richtung Westen betreibt, somit eine Schlüsselrolle im Energiesektor hat und für die Durchleitung von gut der Hälfte des EU-Bedarfs auch noch zwei Milliarden Dollar kassiert. Präsident Petro Poroschenko nennt die Projektbefürworter wenig charmant „Russlands Komplizen in seinen Hybridkriegen“.
Es gibt noch viele weitere Fragezeichen hinter „Nord Stream 2“, darunter ungeklärte Umweltfragen.
Einen Ausweg im Sinne des Westens könnte indes das „Baltic Pipe Project“ weisen: ein Konsortium aus den EU-Mitgliedsstaaten Dänemark und Polen will ab 2022 erstmals Gas aus der norwegischen Nordsee über Dänemark bis nach Polen pumpen und von dort an osteuropäische Kunden bis nach Kroatien weiterleiten. Ein Abzweig nach anderswo ist möglich, so Baltic-Pipe-Pressechef Jesper Nørskov Rasmussen auf meine Anfrage: „Da der europäische Gasmarkt zunehmend ein Verbundnetz wird, ist ein Anschluss an Deutschland möglich, sofern Nachfrage und Transportkapazität bestehen.“
Fazit:
„Nord Stream 2“ ist kein rein wirtschaftliches Vorhaben. Es ist eine politische Intention. In friedlicheren Zeiten ergäbe das Projekt vielleicht einen Sinn. Aber derzeit schärft „Nord Stream 2“ bestehende Probleme eher an, als sie zu lösen. Die Pipeline nützt momentan vor allem einem: Putin. Deshalb sollte „Nord Stream 2“ rasch politisch beerdigt werden. Wir brauchen eine andere, EU-kompatible Lösung zur Gasversorgung Deutschlands und Europas.