Für Fremdenfreundlichkeit, gegen Ausgrenzung -Die Dauerausstellung auf dem Grünen Hügel beklagt eine Künstler-Misere der Hitlerzeit

Ausstellung Vertriebene, Foto: Hans Gaertner

Als Besucher der Bayreuther Festspiele wird man nicht unbedingt draufgestoßen. Vor Beginn der Aufführungen und in den Pausen, aber auch außerhalb der Festspielzeit ist allerdings eine gute Gelegenheit, sich unter freiem Himmel, solange es Tag ist, über ein trauriges, Bedauern und Beschämen weckendes Kapitel des berühmtesten Opernfestivals der Welt zu informieren.

Unter dem Motto „Verstummte Stimmen“ geht es auf den frei in den Park unterhalb des Festspielhauses gestellten Schautafeln mit relativ viel Text und Schwarz-Weiß-Fotos um – so der Untertitel – die „Vertreibung der Juden aus der Oper“ in den Jahren 1933 bis 1945. Aus einer Studie geht hervor, dass es seinerzeit einen „Kulturkampf“ gab, der sich, über Jahrzehnte vorbereitet, gegen alle und alles richtete, was „klassisch“ und „deutsch“ war. Die einbrechende Moderne, so wurde befürchtet, wirke „zerstörend“ und „zersetzend“. Personenbezogen gesehen, richtete sich das aggressive Potential der antisemitisch eingestellten Verantwortlichen der Festspiele gegen „die Juden“.

Für den Komponisten Richard Wagner (1813 – 1883) war der Jude unter den Deutschen ein „Fremder“, dem er eigenständige künstlerische Kreationen absprach. Die Schwäche jüdischer Kulturträger, glaubte er, nehme ausschließlich negativen Einfluss auf die deutsche Kultur. Diese sei gerade durch die Schuld der Juden dem Verfall preisgegeben.

In Wagners Musikdramen finden sich Nachtgestalten als Gegenspieler „germanischer“ Lichtträger. Noch Wagners Witwe Cosima, geborene Liszt, sprach von „fremdartiger Überwucherung“. Hier, am Ort der Bewusstwerdung dieses Zustands gab es schon unter ihrer Ägide die „Meistersinger von Nürnberg“ ohne einen jüdischstämmigen Rolleninhaber. Nur mit Nichtjuden besetzte die Festspielleiterin Cosima Wagner die glanzvollen Partien. Nur arische Künstler – so ihre Haltung – brächten Kultur, jüdische vernichteten sie.

Also wurden zahlreiche jüdische Festival-Mitwirkende als Fremde angesehen und ausgegrenzt – und damit diffamiert. Vom Festspielhügel wurden in den Jahren 1933 bis 1945 alle Künstler, egal ob Musiker oder Sänger, Dirigenten oder Bühnentechniker, verjagt. Ihre Vertreibung wurde mit staatlicher Zustimmung durchgeführt. Dieser These folgt diese Ausstellung, die von Berlin über Hamburg, Darmstadt, Dresden und Stuttgart nach Bayreuth kam. Hier wird sie eine Dauereinrichtung auf dem ansonsten mit bunten Blumen und viel Grün bewachsenen Festspielhügel bleiben.

Wer sich die Mühe macht und die Reihen der grauen wetterfesten Schautafeln abschreitet, hat womöglich noch nie von den hier genannten und mit Porträtfotos vergegenwärtigten Künstlern gehört oder gelesen: Richard Breitenfeld, Marie Brema, Lucian Horwitz, Lilli Lehmann, Hermann Levi, Pauline Mailhac, Ottilie Metzger-Lattermann, Milka Ternina. Die Reihe ist mit zahlreichen weiteren Künstlernamen fortsetzbar. Zu jeder Persönlichkeit ist eine Kurzbiografie zu lesen. Die vielen Frauen, namentlich Sängerinnen, fallen auf. Die damals weltbeste Wagnersängerin, die streitbare deutsche Sopranistin Lilli Lehmann, kann als Beispiel für viele ihrer Zunft gelten, die bereits in den Anfängen der Bayreuther Festspiele diffamiert wurden 1886 verweigerte ihr Cosima Wagner die Mitwirkung am „Ring“, in dem sie 10 Jahre später denn doch die Brünnhilde übernehmen durfte. Von Richard Strauss wurde sie als „alte Judengroßmutter“ ohne darstellerisches Talent, von Felix Mottl regelrecht als „schaudervoll“ abgestempelt.

Es gehört zu den verdienstvollen Taten der Festspielleitung, dieser wichtigen Wanderausstellung zur deutschen Musiktheatergeschichte eine bleibende Heimat geboten zu haben.

Foto: Hans Gärtner

Richard Wagner – die Büste stammt von Arno Breker (1986) – schaut im Park des Bayreuther Grünen Hügels auf ein bedauernswertes Kapitel seiner Festspiele herab – oder doch darüber hinweg?

 

 

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.