„Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später“, soll Bismarck einst gesagt haben. Spätestens nach der Landtagswahl in Schwerin ist Bismarcks Aussage, wenn sie denn von ihm stammt, Geschichte. Mecklenburg hat einen neuen Trend gesetzt, und der heißt zumindest nicht, oder noch weniger CDU. Merkel ist nun im eigenen Kernland heimatlos geworden, entkernt, so wie sie ihre Partei entkernt hat. Die herben Nordlichter haben ihr ebenso herbes Mädchen für ihre offene Flüchtlingspolitik mit einer Roten Karte abgestraft. Und wie sehr wünscht sich die Kanzlerin nun, dass Bismarck doch Recht hätte.
Schwerin gleicht Waterloo
Für Merkel, die beim Wahlabend im Land der aufgehenden Sonne, beim G 20-Gipfel in China weilte und Weltpolitik machte, ist mal wieder eine Welt untergegangen. Ihr Reich, die „Welt von Gestern“, gibt es so nicht mehr, und die CDU steht vor einem noch größeren Trümmerhaufen. Schwerin gleicht Waterloo, das für den erfolgsverwöhnten Napoleon seinerseits die letzte Schlacht war, bevor der absolutistische Monarch, der einst als Demokrat angetreten war, die politische Bühne endgültig verlassen hat. Zeichen für die Abendröte am Himmel der Kanzlerin gibt es viele, Mecklenburg hat den Horizont weiter verfinstert.
Gesunder Menschenverstand im hohen Norden
Was die politische Denke in Deutschland betrifft, das überregionale Stimmungsbarometer, scheinen auch die herben Nord-Ost-Deutschen, die außer Ostsee, Servicewüste und überteuerten Preisen nur ihre nüchterne Abgeklärtheit haben, einem Gesunden Menschenverstand zu folgen, der Parteien dann abstraft, wenn sie das Gemeinwohl aus den Augen verloren haben und in absolutistischer Manier das Land gegen des Volkes Stimme regieren. Die Stimmung – nicht nur in Mecklenburg – ist vorrevolutionär.
Vormärz schwingt mit, aber auch der Sommer 1989, wo man kurz darauf ein ganzes System zum Einbrechen gebracht hat, ein Regime, das die Interessen des Volkes missachtete und sich in Beton eingemauert hatte. Statt betonierter Eindimensionalität – samt Realitätsverlust – dann doch lieber eine Alternative, selbst wenn diese AfD heißt. Auch zerlegt ist der Mythos von den neurechten und ewig rückwärtsgewandten linken Ostdeutschen, der Nörgler- und Verdrossenengesellschaft. Sie haben sowohl die NPD abgestraft als auch die LINKE, die ostdeutsche Alternative der vergangenen Jahre, auf die hinteren Plätze verwiesen. Der Osten protestiert, aber nicht mehr im Gefolge der Nach-Honecker-Ära.
Merkels abstrakter und apodiktischer Führungsstil
Was man links und rechts der Elbe nicht mag, ist Arroganz, die sich mit göttlicher Vorausschau paart und sich in Personalunion als das universale Weltgewissen aufspielt, das bemutternd jeden Diskurs erstickt. Merkels CDU ist ja nichts anderes als Merkel – die Alternativen, den Adenpakt beispielsweise, hat die Kanzlerin – wie alle kritischen Stimmen – eliminiert. Sie herrscht in Berlin wie seinerzeit Ludwig XIV. in Versailles, gekrönt und umflankt von von Ja-Sagern, die einer Herdenmoral frohlocken, die schon Friedrich Nietzsche als desaströs stigmatisierte.
Die neue Unfehlbarkeit
„Ex cathedra“ verkündete Merkel vor einem Jahr ihr „Wir schaffen das“ und sie klebt an diesem Satz wie an einer geoffenbarten Wahrheit samt Unfehlbarkeitsanspruch. Doch unfehlbar ist, so die Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils von 1870, nur der Papst. Und mit Ausnahme von Pius XII. hat keiner der katholischen Würdenträger davon je Gebrauch gemacht. Zuweilen geht es recht liberal im Vatikan zu, selbst unter Ratzinger und unter Papst Franziskus zumal.
Merkel will nicht gegen Merkel – Was beschlossen ist, wird sein
Doch Merkel kann nicht hinter ihr selbst aufgestelltes Dogma zurück, es würde ihr Selbstverständnis von Wahrheit destruieren und zugleich an ihrer Unfehlbarkeit – samt inkludiertem Machtanspruch – zweifeln lassen. Merkel ist wie Helmut Kohl in seinen letzten Jahren der Kanzlerschaft zu lange im Amt, um ein kritisches Urteil über sich selbst zu fällen. Sie hat ihren Horizont überschritten. Auch die einstigen SED-Parteigenossen waren sich ihrer Urteilsfähigkeit zu sicher – mit der Konsequenz, dass sie die Geschichte zuerst eingeholt und dann überholt hat. Und was derzeit in China noch funktioniert, klappt Gott sei Dank nicht in Europa. Die Direktive, dass die Partei „immer recht“ hat, gehört im Zeitalter der Postmoderne in den Orkus.
Wer auf des Volkes Stimme nicht hört, dem droht Ungemach
Dabei könnte Merkel mit einem Rollback ihrer Willkommenskultur nicht nur die miserable Stimmung im Land befrieden, an die Erfolge der ersten Jahre ihrer Kanzlerschaft anknüpfen und die AfD wieder in der politischen Versenkung verschwinden lassen. Aber so, wie es derzeit aussieht, unternimmt Merkel alles für ihre Entmachtung durch Volkes Gnaden – nur um nicht ihr Mantra zu revidieren. Hybris sagt der Grieche dazu, Superbia der Lateiner. Und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Was Merkel bräuchte, wäre mehr Polyphonie – denn ihr Volk spricht viele Sprachen.
Wer aber die Stimme des Volkes nicht achtet, die Vox populi vox Dei, die öffentliche Meinung – dies wusste schon Hesiod in der „Odyssee“ als er schrieb: „Sag, ob […] das Volk dich etwa hasst in dem Lande, befolgend die Stimme Gottes“, der ist zum Untergang geweiht.
Des Volkes Stimme ist Gottes Stimme
Des Volkes Stimme ist Gottes Stimme und Seneca der Ältere formulierte passend: „crede mihi, sacra populi lingua est, „glaube mir, die Sprache es Volkes ist heilig“. Wird diese ignoriert, droht Wagners Götterdämmerung. Aber nicht auf Seiten des Volkes, sondern auf Seiten der Kanzlerin. Sie muss sich entscheiden:
Ist sie wie Friedrich II. einmal formulierte erste Diener(in) ihres Staates – oder der Staat als Bevormundungsrepublik selbst? Dann aber sind die freiheitlich-liberalen Fundamente entwurzelt und der Rücktritt die logische Konsequenz. Die Bundesrepublik mit ihrer demokratischen Verfassung ist dem Prinzip der Meinungspluralität verpflichtet. Die Zeiten der Blockwärtermentalität und Bevormundung sind vorbei.
Botho Strauss schrieb 1993 im „Spiegel“ seinen „Anschwellenden Bocksgesang“. Im letzten Satz – des viel kritisierten Textes – ließ er verlauten: „Heute ist das Gutgemeinte gemeiner als der offene Blödsinn.“
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