Bücher, die eine Ausstellung begleiten, sind keineswegs nur während der oft gar nicht hinreichend bemessenen Ausstellungszeit von Bedeutung. Im Gegenteil: Wer eine Ausstellung verpasste, hat dank des „Katalogs“ quasi immer noch Gelegenheit dazu, Versäumtes nachzuholen. Freilich fehlt ihm dann das Dreidimensionale. Auch das Atmosphärische, das stets eine Ausstellung attraktiv macht und im Gedächtnis behalten lässt. Doch wie dieses Buch ausgestattet und konzipiert ist, kann es durchaus als Ersatz für einen persönlichen Besuch im Historischen Museum Regensburg gelten.
Was den am Thema interessierten Leser sofort in dieses hineinzieht: Persönlichkeit und Sammelgut des Hans Herramhof (1923 bis 2012). Der verstorbene Regensburger Sammler hat einen enormen Bestand an religiös-volkskundlichen Gegenständen hinterlassen, den er großenteils dem Historischen Museum seiner Heimatstadt übergeben hatte. Eingeflossen ist auch sein schriftlicher Nachlass, der als wichtige ergänzende Leihgabe höchst willkommen war. Mit dem Erwerb einer Skulptur der „Anna Selbdritt“ im Jahre 1952 begann der spätere Vater von vier Kindern als Autodidakt gezielt das auf eigenes Risiko und zum persönlichen Vergnügen erfolgte Zusammentragen von Gegenständen des religiösen Volksglaubens. Besonders hatten es Hans Herramhof Andachtsbildchen, Votivtafeln, dann fast ausschließlich bzw. schwerpunktmäßig nur mehr Eisenvotive (der Leonhardi-Wallfahrtsstätten, insbesondere Aigen am Inn, nahe Bad Füssing/Niederbayern) angetan. Alle bis 1975 erworbenen Sachen gab Hans Herramhof an seine Kinder. Die in Ausstellung und Begleitband gezeigten Objekte stammen aus dieser Erwerbs-Zeit. Noch im Todesjahr des begeisterten Sammlers kam es am 24. September 2012 in München (bei Ruef) zur „Auktion Herramhof“. Hierfür gab es einen wissenschaftlich nicht in jedem Detail verlässlichen, nichtsdestotrotz wertvollen, aufschlussreichen Versteigerungskatalog.
Verlässlich darf man grundsätzlich die Text-Informationen und bildlichen Wiedergaben dieses schwer in der Hand liegenden Bandes bezeichnen, auch wenn – um ein Beispiel von wenigen zu wählen – die Abb. 23 (Seite 89) einer Klosterarbeit des 18. Jahrhunderts nicht das „Prager Jesulein“, sondern das Salzburger Loretokindl darstellt. Wir werden tief ins einst durchweg volksfromme Ostbayern – nach Niederbayern also und die Oberpfalz – geführt. Den Blick für längst nicht mehr so intensiv wie womöglich noch vor einem guten halben Jahrhundert erlebbare Praktiken des (vor allem) katholisch geprägten Glaubenslebens dieser Gegenden eröffnen und weiten die Beiträge von Walter Hartinger („Volksfrömmigkeit“), Alois Möstl („Gott und alle Heiligen“), Ulrike Wörner (zur „hl. Kümmernis“), Frank Matthias Kammel (über menschliche Existenznöte in der Frühen Neuzeit) sowie Christine Akas Ausführungen über das „fromme Wohnen“ und den „helfenden Schmuck“ der Christen. Gegen Ende des mit Register, Literatur- und Autoren-Verzeichnis schließenden Bandes kommt Wolfgang Neiser noch auf „Andachtsgegenstände zwischen Dogma und Aberglaube“ zu sprechen, nachdem in drei Beiträgen auf das „Katholische“ in der einst „evangelischen Reichsstadt“ Regensburg dezidiert eingegangen worden war.
Ein vierteiliges Kapitel des gewichtigen Bandes, der jedem von ihnen stets den „Katalog“-Teil mit ausführlichen Foto-Beschreibungen nachschickt, befasst sich mit der Wallfahrt Ostbayerns (Autoren: Barbara Michal, Ludger Drost und Günther Bauernfeind), wozu Ausflüge nach Bogenberg, Kößlarn und Neukirchen b. Hl. Blut vieles Verallgemeinernde konkret verorten. Der Produktion und Rezeption„religiöser Massenware“ – Votivgaben, Hinterglasbilder und Votivtafeln – widmen sich Thomas Raff, Margit Berwing-Wittl und Annette Kurella. Hans Würdinger, ehemals Chefredakteur des Passauer Bistumsblatt, war schon vom Namen her der Berufenste, um über Sankt Leonhard als „Kettenlöser“ und dessen besondere Verehrungs-Punkte als Viehpatron im Ostbayerischen zu schreiben. Der Familienname „Würdinger“ trifft eigenartige Leonhardi-Votive aus Aigen am Inn. Die Klötze heißen auch „Lienel“ und sind „menschliche Torsi aus massivem Eisen, wie sie … beim Leonhardifest auf einem eigenen Wagen mitgeführt und danach auf der Wiese hinter der Wallfahrtskirche `geschutzt` werden … Das Heben der `Würdinger` sollte vor Krankheit und Unheil schützen …“
Damit sind wir wieder beim Sammler Hans Herramhof, der sich bei ungezählten Grabungsarbeiten, besonders in Aigen am Inn, Verdienste erwarb, die die Sach- und Religiöse Volkskunde Bayerns nicht hoch genug einschätzen kann. Fotografien Hans Herramhofs in seinen Fahrtenbüchern aus den Jahren 1957 bis 1974, 1985/86 und 1990 bis 2011 bezeugen diese seine Tätigkeit. Herramhofs Hobby der mit Fotos, Zeitungs-Ausrissen, Postkarten, Briefen, Notizen und Dokumenten bestückten Aufzeichnungen ist eine Quelle – nicht nur der Freude über die mitgeteilten Auskünfte, sondern auch der Forschung. Aus ihnen geht Persönliches ebenso hervor, wie man mitgeteilt bekommt, mit welchen zeitgenössischen Koryphäen der wissenschaftlichen Sachvolkskunde der Autodidakt in Verbindung stand, wie stark er sich in die Fachliteratur vertiefte, um sein Wissen stets zu vermehren und abzugleichen und wie viel Spaß der Mann an seinen schwer verdienten, selbstlos betriebenenEntdeckungen und deren Erfolgen hatte. Einer 1963/64 handschriftlich gefüllten, aufgeschlagenen Fahrten-Ringbuchseite, wiedergegeben auf Buch-Seite 306, ist folgendes zu entnehmen: „Am Montag früh ging`s nach Aigen. Aufnahme d. Bilder und d. Eisen(vot)ive. Eine Gans war nicht mehr drunter – leider! Als wir nach dem Mittagessen schon zusammengepackt hatten, wollte M… noch einen Würdinger fotografieren. Als wir die Sakristei nochmals aufsperrten, kam mir der Gedanke, die obere Sakristei zu inspizieren. Zwar meinte (…)“ Wie die Episode weitergeht, ist vom Leser nicht mehr zu verifizieren. Er kann es sich nach Belieben ausmalen.
Im Gegensatz zu vielen klugen, weitschweifigen, wissenschaftlich anspruchsvollen und mit Fußnoten abgesicherten Texten dieses wunderschönen, reichlich mit Bildmaterial geschmückten Bandes steigen derlei Darstellungen wohltuend in die Niederungen praktischer Arbeit. Ohne sie aber führtekeine „Brücke zum Wunderbaren“.
„Brücke zum Wunderbaren“. Von Wallfahrten und Glaubensbildern. Ausdrucksformen der Frömmigkeit in Ostbayern. Hrsg. Von K. Unger, K. Geiger und S. Tausch. Begleitband zur Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Regensburg, 15. April bis 6. Juli 2014, 328 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 29,90 Euro. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7954-2877-8
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