Tipp der Redaktion: Rezension zu Peter Sloterdijk: Die Reue des Prometheus

Die Reue des Prometheus. Buch von Peter Sloterdijk

NIedermünstergasse 1. (edition suhrkamp 2023)

Ein vom Umfang her eher kleines, vom Inhalt her jedoch großes Werk!

Die äußere Handlung ist schnell erzählt. Von jeher setzte sich der Mensch über die Arbeit mit der Natur auseinander. Mit dem Feuer, das Prometheus dem Mythos zufolge auf die Erde brachte, kam ein entscheidender Input hinzu. Feuer braucht es, um Nahrung zu garen, Werkzeuge zu härten und es existieren unzählige weitere Anwendungen für die prometheische Gabe. Wo das Holz der Bäume sich vormals nur je einmal verbrennen ließ, verschoben sich mit der Entdeckung unterirdischer Lagerstätten von Kohle und Öl, also einer unermesslichen Zahl von Bäumen aus Erd-Urzeiten, die Relationen der Faktoren Arbeit und Feuer. Die moderne Menschheit, so Peter Sloterdijk, kann als ein Kollektiv von Brandstiftern an den unterirdischen Wäldern gelten. Kehrte Prometheus heute auf die Erde zurück, würde er seine Gabe bereuen, dies im Angesicht der negativen Folgen für Umwelt und Klima. Diese Reue würde unseren Krieg gegen die Naturressourcen beenden und damit einen energetischen Pazifismus begründen.

Die zweite in dieser Kurzbeschreibung nicht sichtbare Ebene des Buches beinhaltet die Kontinuität und den Wandel der menschlichen bzw. gesellschaftlichen Akteure mit der Feuernutzung im Zeitenverlauf.

Der Inhalt ist in sich abgeschlossene Kapitel gegliedert und im Folgenden soll jedes der fünf Kapitel für sich besprochen werden.

Das Buch beginnt in „Stoffwechsel mit der Natur“ (Kapitel A) mit einem Auszug aus dem Marxschen „Kapital“, wonach der Mensch mit seiner Arbeit in einen „Stoffwechsel mit der Natur“ tritt und zwar mittels der seiner „Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte – Arme, Beine, Kopf und Hand –  um sich den Naturstoff anzueignen“. Das von Peter Sloterdijk (P, S.). aufgezeigte Defizit der Marxschen Definition, aber auch von Scharen weiterer Philosophen bis in die Gegenwart, besteht darin, dass die Begegnung von „Kraft und Stoff“ in der Arbeit nicht nur über die menschliche Muskelkraft vermittelt wird, sondern bereits in prähistorischer Zeit ebenfalls das Feuer als „außerleibliches Agens“ beinhaltet. Dieses – religiös betrachtet– Gottesgeschenk, rational nüchtern gesehen – diese „Pyrotechnik“ macht anfangs nur die Nahrung als Gegartes für den Homo sapiens besser verträglich. Später gehen dann die Metalle mittels Feuer in den menschlichen Gebrauch über, durch Erzschmelze und durch das Schmieden von Werkzeug und Waffen. Rohstoffbasis des Feuers ist über Hunderttausende von Jahren Holz.

Kapitel B unter dem Titel „Sklavenarbeit und Arbeit überhaupt“ startet mit der Feststellung, dass die Beute der Jäger und Sammler nicht nur den Fang und das Erlegen von Tieren für Nahrungszwecke umfasste, sondern durchaus auch „menschliche Beute“, die man als Sklaven bzw. Arbeitskräfte nutzte. Eine Nutzung erbeuteter Stammesfremder als „humanoide Biomaschinen“ von archaischen Zeiten an findet in der bisherigen Forschung zur menschlichen Frühgeschichte kaum Beachtung.

Von der Arbeit der Sklaven, in der Regel mit simplen Werkzeugen, bis zu der der Handwerker des Mittelalters wurden durch ein entstehendes Maschinenwesen die Anforderungen an die Arbeiter höher. Ungeachtet einer frühneuzeitlichen Wirtschaftsblüte vor allem der Niederlande durch Wind- und Wassermühlen blieb der Gesamtumfang der Energieerzeugung überschaubar und nach wie vor sehr holzlastig mit inhärenten Knappheitsproblemen. Die dafür gefundenen wissenschaftlichen Lösungsansätze sind mit dem Namen Carl von Carlowitz (1645-1714) verbunden. Dieser – beruflich zuständig für die Brennstoffbereitstellung im Hüttenwesen des damaligen Königreiches Sachsen – verwendete in seinem Werk über die Waldbewirtschaftung erstmals den Begriff „Nachhaltigkeit“. Dieser steht für den Zweck ein Gleichgewicht zu erreichen zwischen Baumpflanzung/Aufforstung durch Samengewinnung beziehungsweise Setzlinge und der „geernteten“ Holzmenge.

In Kapitel C „Der Mythos der Freiheit und die pyrotechnische Revolution“ geht es in die Neuzeit als Befreiung von Knappheit des Brennstoffes Holz durch Übergang zu Kohle, später Erdöl und Erdgas, dies in nachfolgend erörtertem klarem Bezug zum Rousseauschen Gesellschaftsvertrag mit dessen Ziel „Befreiung des Menschen von seinen Ketten“. Diese Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen beschreibt Peter Sloterdijk aber sehr verhalten als Mythos.

Der mit dem Fabrikwesen ab dem 18ten Jahrhundert aufkommende Typus des freien Arbeiters verkauft seine Arbeitskraft für Lohn an einen Patron, Industriellen oder auch Kapitalisten.

Größter „game changer“ wird aber der Brennstoff Kohle, indem man ab Ende des17ten Jahrhunderts die „unterirdischen Wälder“ (der Begriff mit seinen Implikationen für die Energiewirtschaft geht auf R. P. Sieferle, 1949-2016, zurück), die aus der vegetativen Erd-Urzeit stammen, erschließt und zwar in einem ungeheuren, zur Holzära für unmöglich gehaltenen Ausmaß. Das Kohlezeitalter bedeutet demnach ein Ende der Knappheit, ja, es rechtfertigt den Begriff „pyrotechnische Revolution“. Bezogen auf das Bildungsniveau geht es ebenfalls um Überwindung von Knappheit, verkörpert der gebildete Arbeiter doch den „Juniorpartner der maschinentreibenden pyrotechnischen Energien“ – von den Bergleuten über die Hütten- und Stahlwerker bis zu den Maschinisten und Maschinenbauern.

Im Gefolge der Industrialisierung bildete sich die neuzeitliche Wissenschaft heraus mit den Begriffen Kraft, Energie, Elektrizität und deren Quantifizierung und damit verbunden ebenfalls ein Ingenieurswesen.

Jedoch, bereits in der beginnenden Blüte des kapitalistischen Wirtschaftens gab es Vordenker und Skeptiker mit Verweis auf ein Ende der Kohlevorräte und die Endlichkeit von Öl sowie Gas mit all ihren Konsequenzen für eine Gesellschaft der „post-fossil-energetischen Ära“, z. B. Max Weber (1864-1920). Wesentlicher Treiber in den vergangenen Jahrzehnten gegen eine Verbrennung der Fossilrohstoffe ist der übermäßige CO2 Ausstoß mit seiner Begünstigung der Klimaerwärmung.

Was aber über den Widerhall eines Endes der „Fossil-Brennstoff-Ära“ in den Geisteswissenschaften? Zitiert wird der Philosoph Günther Anders (1902-1992) mit dessen Vorschlag einer „prometheischen Wende“: Das ist, nach einer ersten euphemistischen Phase der Überbringung des Feuers, eine zweite, nämlich die der Scham und Reue des Prometheus aufgrund des unverantwortlichen Handelns des modernen Menschen durch dessen exzessive Brandstiftung in den „unterirdischen Wäldern“.

Kapitel D „Moderne Welt – Die Ausbeutungsverschiebung“ startet mit einer Referenz an Henri de Saint-Simon (1760-1825), den Hauptvertreter der Frühsozialisten. Dieser proklamiert die Vorherrschaft einer Klasse und zwar die der Arbeitenden. Diese auch „industrielle Klasse“ besteht aus Arbeitern, Unternehmern, Handel Treibenden, Handwerkern, Wissenschaftlern und Erfindern, also aus der Gesamtheit der Güter und Wohlstand Schaffenden. Diese eine „industrielle Klasse“ steht im Gegensatz zur Marxschen Zwei-Klassen-Lehre vom Hauptwiderspruch zwischen der Arbeitskraft des Proletariers und deren privatkapitalistischer Aneignung durch den Ausbeuter. Überwunden werden kann dieser Hauptwiderspruch nur durch Klassenkampf bzw. die proletarische Revolution, die später dann in den Sozialismus bzw. Kommunismus einmündet. Entgegen der Marxschen Lehre setzt Saint-Simon demnach auf friedlichen Ausgleich innerhalb der industriellen Klasse, in der Hauptsache zwischen den Arbeitern und den Führungskräften mit dem Idealbild des „Unternehmer-Ingenieurs“.

Was hat es nun aber mit der „Ausbeutungsverschiebung“ laut Kapitelüberschrift auf sich?

Hier geht es um die „moralische Morgenröte“ mit Heinrich Heines (1797-1856) berühmtem Ausspruch: „Beendigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nur durch die Ausbeutung der Erde im Interesse des Menschen“. Der erste Teil des Zitates, nach wie vor in aller Munde, verdeckt(e) leider den wichtigen zweiten Teil. Ein Heine und dessen Zeitgenossen konnten diesen noch gelassen aussprechen. Aus heutiger Sicht der immensen Ressourcenbeanspruchung ist diese Aussage jedoch „extraktiver Nihilismus“ (so viel wie ausbeuterische negative Weltsicht), der bis in die jüngste Vergangenheit „durch die wohlklingende Phrase von der Entfaltung der Produktivkräfte“ verdeckt wurde. Schlussfolgernd – und deshalb stimmt der zweite und zynisch klingende Teil des Heineschen Slogans nach wie vor – erlaubt erst die Ausbeutungsverschiebung aus der gesellschaftlichen Sphäre heraus auf „die Erde“ – das schließt die Ausbeutung aller Ressourcen wie fruchtbares Land, Bodenschätze, Wasser ein – die definitive Beendigung der gesellschaftlichen Ausbeutung.

Das letzte Kapitel E „Andere Kräfte, andere Feuer“ beginnt mit zwei Feststellungen abgeleitet aus den vorangegangenen Buchteilen: 1.) Die Ausbeutungsverschiebung unserer fossilenergetischen Ära in Richtung Ressourcenplünderung „erfüllt nicht die rationalen Erfordernisse des forstlich nachhaltigen Wirtschaftens“, erklärt in Kapitel B. 2.) Die „fossilenergetische Entlastung“ des Lebensstils manifestiert sich vor allem darin, dass die Erzeugung und das Aufziehen von Nachkommen „nicht mehr als die ernsteste und vordringlichste aller gesellschaftlichen Aufgaben“ angesehen wird. Ausdruck dessen sind rechtlich geschützte offene Bekenntnisse zu sexuellen „Präferenzen abseits der Mann-Frau-Polarität“, die zunehmende Schwächung der Familie mit deren „althergebrachten Solidaritäten“ und ebenfalls damit im Zusammenhang die Überlastung der öffentlichen Alten- und Pflegeeinrichtungen.

Macht man nun Ernst mit der Scham bzw. Reue des Prometheus, den Menschen das Feuer überbracht zu haben, „folgt die Frage, was an die Stelle der Abfackelung der unterirdischen Wälder treten könnte“.

Hier hält P. S. ein glühendes Plädoyer für den „energetischen Pazifismus“, also für die Beendigung des Raubbaues an den fossilen Energieträgern. Wenn man so will, ist das der Friedensschluss mit der Natur durch Beendigung des Krieges gegen das Jahrmillionen-alte Naturerbe. Als Hauptmaßnahme wird die Energieerzeugung mittels nicht-fossiler, also der „erneuerbaren Energieträger“, konkretisiert, z. B. die Wasserkraftnutzung nicht nur im Fließgewässer und durch Pumpspeicher sondern auch durch Gezeitenkraftwerke oder die Geothermie mit ihren Facetten bis zur Nutzung der heißen Schichten in Vulkanen. Beachtung findet auch die Rückgewinnung von Energie etwa durch Bewegung/Sport entstehender Wärme und deren Umwandlung in Elektroenergie durch „intelligente Mikroenergetik“. Eine Wende zu „pazifistischen Formen der Energiegewinnung“ würde sich auf die Gesellschaft auswirken. Vor allem würden Stoff- und Energiekreisläufe gestärkt – das setzt Überschaubarkeit voraus, also Präferenzen für die lokale Ökonomie. Hierzu stünden „überdehnte Nationalstaaten“ im Gegensatz; als Negativbeispiel wird auf China eingegangen. Aber auch Megacities mit ihrer unkontrollierbaren Überverdichtung, ausufernd in den Slums, würden sich als „Irrwege der Zivilisationsgeschichte erweisen.“. Gegenbeispiele für Überdehnung bzw. Überverdichtung wären hiesige Landkreise beziehungsweise Städte, deren Landräte bzw. Bürgermeister als Ordnungsmacht mehr bewirken als Staatsregierungen mit angesichts der Vor-Ort-Situation abstrakten, zumeist unwirksamen Verbesserungsregeln.

Was aber nun über die Gegenkräfte zum „energetischen Pazifismus“, deren Agieren P. S. einen großen Kapitelteil widmet? Vordergründig geht es um den noch immer unstillbaren Hunger auf Kohle, Erdöl und Erdgas, vor allem der USA, Chinas und Indiens mit ihren insgesamt mehr als zwei Drittel des Weltverbrauches der fossilen Rohstoffe (Dieser betrug im Jahr 2021 insgesamt 8,1 Mrd. Tonnen Steinkohle, 4,3 Mrd. Tonnen Erdöl und 4 Mrd. Kubikmeter Erdgas.). Auf der Verkäuferseite der Fossillobby stehen die Öl, Gas und Kohle fördernden sowie exportierenden Länder, unter denen die Organisation erdölexportierender Länder (Organization of the Petroleum Exporting Countries, OPEC) mit den Hauptakteuren Saudi-Arabien, Iran, Kuwait, Venezuela und Vereinigte Arabische Emirate die Schlüsselrolle für Preisbildung und die Verkäufe des Öles und letzten Endes auch von Kohle und Erdgas spielt.

Wichtige Grundlage der globalen Ungleichgewichte in der Verteilung der Fossil-Rohstoff-Lagerstätten mit Förderung und Verkauf ist das nationale Recht, welches sämtliche Eigentums-, Ausbeutungs- und Verwertungsrechte dem Staat zuspricht, auf dessen Territorium die Bodenschätze entdeckt, erschlossen und gefördert werden. Alternativ zu dieser Rechtsauffassung wird zunehmend ein globaler Anspruch auf alles erdgeschichtlich subterrestrisch Angelegte diskutiert. Dieser könnte in das internationale Recht eines „Welt-Bodenschätze-Erbes“ münden (in Analogie etwa zum bereits länger etablierten „Weltkuturerbe“). Die Anerkennung der Fossilrohstoffe als Menschheitserbe würde deren verantwortungsvollen und im Sinne des Wortes nachhaltigen Umgang befördern, also den Ausschluss bzw. die Verringerung der Nutzung als Energieträger zugunsten der stofflichen Nutzung, das heißt ihre Verwendung als Ausgangsquelle für die Synthese der unterschiedlichsten organischen Verbindungen, vor allem des Kohlenstoffs.

Am Ende des Buches verweist aber der Autor eine international ausgehandelte rechtlich verbriefte Teilhabe jedes Landes am „Welt-Bodenschätze-Erbe“ in das Reich der Utopie, ist doch die gegenwärtige und künftige Politik Länderinteressen-geleitet, wobei sich vielfach das Recht der wirtschaftlich Stärkeren durchsetzt, darunter viele Förderländer fossiler Rohstoffe.

Wenn es also nun doch um die Abkehr von der fossilenergetischen Wirtschaft geht, welche Wege tun sich dabei auf? Hier zitiert P. S. zwei Vordenker. Bruno Latour (1947-2022), konstatiert einen sich von Jahr zu Jahr verstärkenden Krieg außerhalb aller bisherigen Kriegs- und Klassenkampfgeschichte. In diesem sehen sich die „Kinder Gaias“ (griechisch: die Gottheit Erde und Mutter aller Göttinnen)- mythologisch sind das die Bewohner des Vitalgürtels der Erde, ihrer Biosphäre – in Konfrontation zu den Vertretern einer malignen Globalisierung mit fortbestehender Ausbeutung der Bodenschätze, insbesondere der Fossil-Brennstoffe. Anders als der in der Tradition der Aufklärung stehende Latour setzt der schwedische Klimaaktivist Andreas Malm (geb. 1977) „in der Tonlage eines grünen Leninismus auf die Zerschlagung der weltweit agierenden Ölkonzerne durch die Staaten“. Nehmen die Staaten diese Aufgabe nicht wahr, werden Attentate etwa auf Pipelines und auch Schüsse „gegen das Spitzenpersonal der Fossilelite“ nicht ausgeschlossen. Im Rückgriff auf die Geschichte lehnt P. S. den in der Tradition der roten Oktoberrevolution mit ihrem blutigen Bürgerkrieg stehenden Malm ab und präferiert Latour, den grünen Quasi-Sozialdemokraten, welcher für die friedlichen Ambitionen der genannten Kinder Gaias plädiert. Zusammengesetzt wäre diese eine „ökologische Klasse aus Personen, Vereinigungen und Unternehmen, die sich – über kulturelle, religiöse und geschlechtliche Differenzen hinweg – als Kuratoren, Konservatoren, Forscher und Öko-Ingenieure, demnach als nicht-Zerstörer der Lebensgrundlagen der meisten Mitbewohner des Planeten verstehen.“ Als kurze Formel in Umsetzung der Reue des Prometheus in einen für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit und ihres Planeten wichtigen Auftrag, repräsentiert die „ökologische Klasse“ die „Freiwillige Feuerwehr mit der Einsicht und dem Einsatz, die Brände der unterirdischen Wälder einzudämmen oder sie sogar in Gänze zu löschen“.

Die Reue des Prometheus. Buch von Peter Sloterdijk

Fazit

Die eindeutige Botschaft des Buches „Schonung der in erdurzeitlicher Entstehung und ihrem Vorkommen endlichen Bodenschätze Kohle, Erdöl und Erdgas des Planeten“ durch Verbrauchskontrolle, ja Bremsung des Verbrauches als Energiequellen, wird jeder denkende Bewohner unseres Planeten ohne Wenn und Aber bejahen. Die Kernfrage lautet jedoch, in welcher Zeitspanne sich ein solcher „Friedensschluss mit dem Naturerbe“ vollziehen sollte und hierzu liefert das Buch, lediglich Andeutungen (siehe dazu im letzten Kapitel die Passagen über die von Latour vertretene Ökobewegung!), jedoch keine schlüssigen Antworten.

Vom Autor dargestellt sind die Pole des derzeitigen globalen Glaubenskrieges der Menschheit über die verbleibende Frist zur Nutzung von Öl, Kohle und Erdgas als fossile Energieträger. Muss der Ausstieg aus Sicht der „Letzten Generation“ oder der „Fridays-for-Future“-Bewegung sehr schnell, wenn möglich sofort, erfolgen, um ein Kippen des Klimas mit entsprechenden Weltuntergangsszenarien zu verhindern? Oder haben die OPEC-Länder recht mit ihren Lagerstättenbefunden und Förderquoten im Kontext mit den Hauptverbrauchern China, Indien und USA, die von einer sehr langsamen Erschöpfung der Vorräte an Öl, Gas und Kohle erst nach 2050 sprechen. Dieser Zeitrahmen würde selbst bei der gegenwärtig präferierten ausufernden Nutzung als Energieträger, sprich Brennstoffe, gelten, also noch nicht das Umschalten auf die von P. S. angemahnte die Bodenschätze schonende primäre stoffliche Verwertung beinhalten, das ist die Nutzung als Kohlenstoffquelle für die vielfältigen chemischen Synthesen etwa von Kunststoffen, Pflanzenschutzmitteln oder auch Waschmitteln.

Das Plädoyer des Rezensenten tendiert zu einem in der Wahl der Zeiträume moderaten Übergang zu nicht-fossilen Energieträgern. Die Fossile Ära mit der für uns alle unbestreitbar vorteilhaften Energiebereitstellung zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jeder gewünschten Verbrauchshöhe kann also erst dann zu Ende gehen, wenn in vollem Umfang störungsfreie also grundlastfähige und damit versorgungssichere Energie-Alternativen da sind. Diese sind bisher weder durch Windkraft noch durch Sonnenenergie gewährleistet, angesichts des Risikos von Dunkelflauten mit Blackout im Gefolge. Auch ist das von Politikern und „Klimawissenschaftlern“ viel gebrauchte Schlagwort „Transformation“ als Umschreibung eines („angeblich immensen“) Zeitdruckes der Umstellung der fossilienbasierten Energiewirtschaft wenig zielführend, wird doch damit suggeriert, dass alles sehr schnell gehen muss, um uns vor einem mehr oder weniger gefühlten Weltuntergang zu retten.

Empfehlungen zum Lesen des Buches sind auch aus der DDR-Vergangenheit des Rezensenten gespeist. Entsprechend den in den früheren Marxismus-Leninismus-Kursen (Abkürzung ML) vermittelten gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen – im damaligen Jargon hießen diese Pflichtveranstaltungen während des Studiums und im Berufsleben für Führungskräfte „Rotlichtbestrahlung“ – gab es an der Theorie des Klassenkampfes von Marx und ihrer revolutionären Umsetzung durch einen militanten Lenin nichts zu rütteln. Wenn dann die Grenzen von Marx im Buch von P. S. aufgezeigt werden, zum Beispiel an dem vom genannten Schöpfer des wissenschaftlichen Kommunismus als „utopischen“ Sozialisten abqualifizierten Saint-Simon mit dessen Lehre von der einen industriellen Klasse im Arbeitnehmer-Unternehmer-Verbund – das alles ganz ohne Klassenkampf und Revolution a la´ Leni, ist das eine wunderbare, weil alternative Geschichtslektion für den „gelernten DDR-Bürger“. Dahinter verblassen dann dem Zeitgeist geschuldete Aussagen Peter Sloterdijks zur agrarischen Erzeugung pflanzlicher und tierischer Lebensmittel bzw. der Ernährungssicherung, auf die der Rezensent nicht eingehen kann und will und die auch angesichts der umfassenden Botschaften des Buches als Petitessen gewertet werden sollen.

Es ist also ein kluges Buch, unbestritten, und man sollte, ja muss es einfach gelesen haben!

Über Friedrich Schöne 2 Artikel
Prof. Dr. agr. habil.Friedrich Schöne ist Agrar- und Ernährungswissenschaftler – Spezialist für Futter- und Lebensmittel, geb. 1951, verh. 2 Kinder// Promotion über Vitamin A (1981), Habilitation über Jod (1991)// Dienststelle 1991 bis zur Pensionierung 2017: Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft (TLL), Refe-rats- bzw. Laborleiter mit Forschungsprojekten zu ernährungsrelevanten In-haltsstoffen von Backwaren, Speiseölen (Rapsöl!!!), Fleisch, Milch und Eiern, besonders Fettsäuren vom Omega-6 und Omega-3 Typ) und Spurenelemente speziell Jod, Eisen und Selen// langjährige Lehraufträge zu “Lebensmittelsi-cherheit und -qualität” an den Universitäten Jena und Stuttgart-Hohenheim mit Honorarprofessur im „Ländle“// Gutachter für die Europäische Behörde für Le-bensmittelsicherheit (EFSA) in Parma/It und für Fachzeitschriften, v. a. im Else-vier-Verlag, zum Beispiel Journal of Trace Elements in Medicine and Biology, JTEMB (dort auch unter den Herausgebern, siehe Editorial Board). Mitheraus-geber des Handbuches der Futtermittel, Agrimedia 2024.