Wohl kaum ein Thema über Landwirtschaft polarisiert mehr als Pflanzenschutzmittel und Düngung, die letztere speziell mit Mineraldünger, besonders Stickstoff. Begriffe wie Kunstdünger, Dünger aus Erdöl, Nitrat schwirren durch den Raum und provozieren nicht unbedingt Zuneigungsbekundungen für das Agrarische. Nicht besser wird es, kommen Begriffe wie Gülle und Klärschlämme in die Diskussion, die unsere ach so unschuldige Natur kontaminieren können, besonders das Grundwasser und die Luft. Genanntes, größtenteils also mit negativer Konnotation, spiegelt die Information zur Düngung und zu Düngemitteln in den Medien wider. Auf der anderen Seite finden sich die Landwirte und deren Fachvertreter, die um die Notwendigkeit der Nährstoffe in Boden- und Pflanze wissen, in der Regel mit der banalen Aussage „Düngung gleich Pflanzenernährung“. Dabei war und ist Düngung fern jeder Banalität, weil die Basis unseres „Täglich Brotes“! Man kann demnach über diese wichtige Seite des Ackerbaus und unserer Ernährungssicherung eine spannende Geschichte erzählen. Dieses tut hier Friedrich Schöne, Agrar- und Ernährungswissenschaftler an den Universitäten Jena und Stuttgart-Hohenheim.
Deutschland, Beginn 19. Jahrhundert: Der Acker hungert wie die Menschen
Mittlere Getreideerträge von weniger als einer Tonne pro Hektar (wir ernten heutzutage im Durchschnitt 7 Tonnen/Hektar) charakterisieren Deutschland um 1800 als agrarisches Entwicklungsland. Nahrungsmittel sind noch immer knapp – Hungersnöte, Teuerungen an der Tagesordnung: So 1816, im „Jahr ohne Sommer“ infolge des Ausbruches des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815. In diesem Elendsjahr, in Deutschland berüchtigt als „Achtzehnhundertunderfroren“, herrscht hierzulande ungewöhnlich kaltes und regnerisches Wetter mit den Missernten, vor allem beim Getreide, im Gefolge.
Gerade diese Hungerperiode löst dann eine staatliche Förderung der Landwirtschaft aus, in Form einer Konzentrierung und Demonstration der zu dieser Zeit vorliegenden Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen in Ackerbauschulen. Beispiele dafür: die in Weihenstephan (ab 1804), Stuttgart-Hohenheim (ab 1818) oder in Jena-Zwätzen (ab 1856) – in allen drei Fällen Vorläufer der Agrarfakultäten an den gleichenorts bestehenden Universitäten. Hier an den Ackerbauschulen zeigt man den Bauern neben neuen Landmaschinen meist englischer Provenienz bereits länger Bewährtes wie den Futterbau, vor allem den von Kleegras, zur Überwindung der unproduktiven Brache, den Fruchtartenwechsel (auch Fruchtfolge) aber auch die klassische Bodenbearbeitung, die Düngung und die Aussaat.
Mitte 19. Jahrhundert Aufbruch gen Wissenschaft – Liebig, Chemiker an der Universität Gießen, contra Schulz, Humuspapst im Großherzogtum Weimar
Humus, schon sehr lange als Lebenskraft im Boden erkannt, wird durch Albrecht Thaer (1752-1828), einen Pionier der landwirtschaftlichen Forschung, in seinem Werk „Grundsätze der rationellen Landwirtschaft“ (1809) als dunkler, pulverförmiger Rückstand pflanzlicher und tierischer Fäulnis beschrieben und damit zum Pflanzennährstoff Nummer eins befördert. Aus heutiger Sicht sind Pflanzennährstoffe chemisch definierte Mineral- und Stickstoffverbindungen. Humus, mit dem Biopolymer Huminsäuren als zentralem Bestandteil, trägt diese Pflanzennährstoffe und setzt sie langsam, entsprechend dem Aufnahmevermögen der Pflanzenwurzeln frei. Die seit historischen Zeiten bestehende Erfahrung der positiven Auswirkungen der Düngung mit organischen Materialien, wie Mist, Jauche und Kompost, eingeschlossen die Düngungswirkung der Pflanzenreste aus der vorangegangenen Ernte auf die Neuansaaten, wie Stoppeln und Wurzeln des Getreideackers, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich in Düngungsfragen bis Mitte des 19. Jh. um blanke Empirie handelte.
Eine Quantifizierung des notwendigen Düngungsumfanges war erst dem Chemiker Justus von Liebig (1803-1873) gegeben und zwar auf der Basis der in seinem Labor durchgeführten Analysen der Nährstoffe in Pflanze und Boden. In genialer Vereinfachung formulierte der Agrikulturchemiker das für alle Zeiten unverändert geltende Basisgesetz jeder Düngung: ein Zurückgeben dem Boden der Nährstoffe in den erforderlichen chemisch analysierten Mengen entsprechend der Abfuhr/ dem Verlust durch die Ernte/Ernten (letztere für den Spezialfall Kalkdüngung
Anknüpfend an das o. g. Religionsgeschichtliches kommt alles von Gaia und unsere Gaben an die Erdgöttin, seit Liebigs Aufklärung, heißen Düngersalze, also Kali, Kalk, Phosphat aus den Lagerstätten/Schätzen unserer Erde.
Das vom Ca, K und P Bedarf her abgeleitete Liebigsche „Gesetz“ trifft auch für den später erforschten N zu, für den Kohlenstoff bzw. CO2, jedoch nur bedingt zu.
In Liebigs Ära blieb die Stickstofffrage wissenschaftlich völlig offen und ihre Beantwortung wurde mit Spekulationen gefüllt. Im Sinne des Liebigschen Düngungsgesetzes unzureichende, jedoch praxistaugliche,Lösungen, bot der Gründer und Betreiber der Jenaer Ackerbauschule und spätere Professor an der Agrarfakultät der Jenaer Universität Friedrich Gottlob Schulze (1795-1860). Mit seinen Felddemonstrationen damals neuer, großenteils aus England importierter Agrartechnik, aber auch als Vertreter klassischer Bodenbearbeitung, Düngung und Aussaat kann man ihn, ebenfalls in der geistigen Nachfolge des o. g. preußischem Agrarpioniers Thaer, durchaus als Humuspapst einordnen. Und als solcher, mit einem Plädoyer für Mist, Kompost und Jauche, glänzte er durch Streitschriften gegen Liebig.
In Schulzes Streitschrift „Thaer oder Liebig?“ heißt“ es: „Zwei Zeitereignisse …waren einflußreich: die… Liebigsche Agrikulturtheorie und die aus Frankreich … gekommenen Verirrungen … der Nationalökonomie. … Die Zahl der unbedingten Anhänger dieser neuen Theorie war im Schulzeschen Institute groß geworden. Sie hofften, durch Agriculturchemie Alles zu erreichen, vernachlässigten andere wichtige Studien … mit Geringschätzung … ihrer Lehrer und Studiengenossen …, welche nach Thaer… den Weg der Erfahrung dem der Speculation vorzogen. Was vor Liebig geschrieben und gelehrt wurde, sahen sie als veraltet, als überwunden an. Das landwirthschaftliche Studium war demnach in Gefahr, in unpractisches Phantasiren und Speculiren auszuarten.“ (Aus dem 1. Band der „Deutschen Blätter, 4.und 5. Hef, S. 126/127, erschienen in der Frommannschen Verlagsbuchhandlung Jena 1846).
Schulze hin, Liebig her – Mist, Kompost und Jauche sowie auf dem Feld verbleibende Erntereste, wie Wurzeln, Stoppeln oder verfaulte Pflanzenreste bei Kartoffeln und Rüben -bildeten mit ihren natürlichen Gehalten an den Mineralien Ca, K und P und dem weitgehend unbekannten Stickstoff die Düngesubstrate der damaligen Zeit. Sie stellten aber auch Quellen für Kohlenstoff und damit Humus dar, fungierten demnach als Bodenverbesserer sowohl für das Wurzelwachstum der Nutzpflanzen als auch für das reichhaltige Bodenleben mit seinen unzähligen Mikroorganismenstämmen und der Fauna.
Das 19. Jahrhundert in seiner zweiten Hälfte – Ungeachtet Liebig weiter mit niedrigen Ernteetrträgen durch Stickstoffmangel
Mist und Jauche als Motoren des Pflanzenwachstums reichten im sich etablierenden Kaiserreich nicht mehr aus, die Ernährung nachhaltig zu bessern, geschweige denn zu optimieren. Verschärft wurde das Nährstoffdefizit, besonders an Stickstoff, infolge der Züchtung ertragreicherer Getreidesorten, mit deren naturgemäß höherem Mengenanspruch für Nährstoffe und Düngung. Appelle, den Viehbestand auch zwecks Dunggewinnung zu erhöhen, verhallten. Für mehr Vieh fehlte einfach die Futtergrundlage, konkurrierte doch der Futterbau mit der Erzeugung von Nahrungsgetreide. Aber auch im Ernährungssektor fiel nicht zu viel Getreide an, weil Weizen oder Roggen zunehmend in die entstehenden Industrien für Stärke, Papier, technische Alkohole und Spirituosen flossen.
Wo also sollte denn mehr Stickstoffsubstrat für die immer hungriger werdenden Böden herkommen? Letztendlich war es die Bevölkerung, an die Politik und Wirtschaft appellierten, mit aus heutiger Sicht vielleicht zu belächelnden Aufrufen. Die Ausscheidungen von Stuhl und Harn – im größeren, aber auch im kleinen Maßstab – sollten gesammelt werden, um sie als Dünger verfügbar zu machen. Für solcherart Aktivitäten beispielhaft steht ein Nachtgeschirr mit folgendem Dankesspruch: „Hier werden gesammelt von Mann und Frau Liebesgaben für den Ackerbau. Drum drückt und drängt mit aller Kraft für die notleidende Landwirtschaft.“
Technisiert, in den großen Städten vor allem, wurden Ableitung, Sammlung und Ausbringung der menschlichen Ausscheidungen durch Verflüssigung und Rohrleitungen ins Umland, um sie dann auf sogenannten Rieselfeldern zu verregnen. Freilich erscheint dieses Procedere aus heutiger Sicht hygienisch fragwürdig, zumal oft wahllos berieselt wurde, das heißt mit dem Risiko bakterieller Kontamination besonders der Nahrung, die zum unmittelbaren Verzehr bestimmt war. Risikoreich war demnach vor allem der Konsum von Gemüse, wie Blattsalat, Radieschen oder Möhren. In der Erinnerung erscheinen Großvater und Vater, deren Toilettengang auf das Wasserklosett folgendermaßen angekündigt wurde: „Ich muss dann mal mit den Rieselfeldern telefonieren.“
Jedoch, selbst die beschriebenen umfangreichen Sammlungen menschlicher Exkremente und ihr Verbringen auf die landwirtschaftlichen Flächen konnten den Stickstoffhunger der Böden und Pflanzen lediglich lindern, keinesfalls aber beheben. Dieses Problem harrte einer größeren umfassenderen Lösung.
Geträumt wurde davon schon seit Längerem, vor allem in der Wissenschaft.
Brot aus der Luft – Haber und Bosch bringen den Stickstoff vom Himmel auf die Erde
Dieser Menschheitstraum des ausgehenden 19ten Jahrhunderts hieß „Brot aus der Luft“, aus der Atmosphäre, also vom Himmel! Bei 80 % elementarem Stickstoff-N2,-Anteil am Gasgemisch Luft müsste es doch möglich sein, davon etwas abzuzweigen und in Ammoniumsalze als Dünger zu überführen, so die beiden Chemiker Fritz Haber (1868-1934) und Carl Bosch (1874-1940) in ihrer Arbeitshypothese. Und in der Tat, es wurde geschafft – zum einen, die notwendige chemische Reaktionsfolge zu erkennen und zu testen, zum anderen, die technischen Voraussetzungen zu realisieren, vor allem für den schwierigen Syntheseschritt zum Ammoniak.
Synthetischer, besser synthetisierter Stickstoffdünger, in jüngerer Vergangenheit und gegenwärtig in riesigen Mengen großchemisch produziert, hat den in der Natur angelegten bio-geo-chemischen Kreislauf des N (vgl. Knöllchenbakterien der Leguminosen als Luftstickstoff-Verwerter!) im Umfang noch einmal drastisch erhöht. Konventionelle Schätzungen gehen davon, dass die Ammoniaksynthese nach Haber & Bosch über Stickstoffdüngung und Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge die Nahrungsbereitstellung für geschätzt ein Drittel der Weltbevölkerung sichert.
Andererseits ist für viele hiesige Zeitgenossen, besonders die mit ökologischer Sichtweise, der „Riesen-N-Pool Nutzpflanzen“, wenn man so will, mitverantwortlich für die Umwelt- und Klimakrise. Solch eine Störung, ja Aufblähung der naturgegebenen N-Kreisläufe kann nur katastrophale Folgen für die Zukunft zeitigen. Ähnliche Befürchtungen für diesen revolutionären Dünger gab es jedoch von Beginn seiner Erprobung und Markteinführung an. Dessen ungeachtet erhielten den Nobelpreis für Chemie Fritz Haber1918, Carl Bosch1931 sowie 2007 Gerhard Ertl, der Letztgenannte für die vollständige theoretische Erklärung des Mechanismus der Ammoniakbildung.
Kohlenstoff in der Luft, im Boden und in der Pflanze – der lange vergessene Nährstoff
Für C bzw. CO2 scheint alles noch komplizierter zu sein als für den Stickstoff. Ernterückstände (Wurzeln, Stroh), Mist, Kompost, Gülle und weitere stickstoffhaltige Substrate liefern neben den Nährstoffen ebenfalls Kohlenstoffskelette – alle aber in Richtung Humusbildung. Deren Umfang ist Ergebnis der Verrottung der abgestorbenen Pflanzenreste zusammen mit der Tätigkeit der Mikroben (Bodenbakterien und -pilze) und der Fauna (z. B. Larven und Würmer bis zum Regenwurm) – alle Bodenlebwesen immer auch bis zu deren Absterben und Verwesung. Unabhängig vom Kohlenstoffgehalt des Humus basiert der erneute Pflanzenaufwuchs vollständig auf dem CO2 aus der Luft mit der initialen Glucosebildung entsprechend der Photosynthese-Gleichung. In der Folge entstehen im pflanzenbiochemischen Reaktionsgefüge die C-Skelette der Bausteine der Kohlenhydrate, Faserstoffe (Lignin), Proteine und Fette. Aller Kohlenstoff der Pflanze, um das noch einmal für die Bilanzierung festzuhalten, entsteht aus dem Luftkohlenstoff, sprich CO2. Pflanzen bzw. Pflanzenteile sind Nahrungsquelle des C für den Menschen, und, nicht zu vergessen, sie repräsentieren auch Futter für die Nutztierherden.
Und die Humusfrage aus heutiger Sicht?
Diese ist durchaus facettenreich – je nachdem, wo man hinsieht. Die engste Verbindung zu der traditionellen Auffassung, vertreten in der genannten Ackerbauschule des noch heute erkennbaren Zwätzener Gutes in Jenas Norden, hat der Ökologische Landbau. Bei Verbot von Stickstoffdünger aus chemischer Synthese fungiert Humus als die Quelle des Stickstoffs – Grundelement für das Pflanzenprotein, genauer der Aminosäuren als Proteinbausteine. Die Substrate für die ständige Erneuerung des am Gesamthumusgehalt variablen Anteiles Nährhumus (der Dauerhumus als die andere Humuskomponente ist eine von der Bodenart bestimmte Konstante), sind o.g. Pflanzenreste, unterirdisch und oberirdisch, und der Wirtschaftsdünger, sprich Mist, Gülle und auch Jauche.
In Fragen der Düngung dem Öko- auch Bio-Pflanzenbau am nächsten kommen Dauerversuche auf Universitätsgütern oder auch in Landesforschungseinrichtungen durch Einbeziehung nur dieser Substrate aus der Viehhaltung, bezeichnet auch als Wirtschaftsdünger. Bekanntestes Beispiel ist der Ewige-Roggenbau-Versuch der Universität Halle, nun über bereits 140 Jahre. Die Erträge stiegen entsprechend dem Stand der Roggenzüchtung zwischen 2000 und 2010 auf 4,5 Tonnen Roggen pro Hektar – Erntemengen, durchaus vergleichbar mit denen im Ökolandbau file:///C:/Users/Asus/Downloads/jfk_2017_06_herbst_et_al.pdf. Wichtig für das Hallesche Versuchsfeld aber auch für die anderen Forschungsstellen ist die Messung des Humusanteiles im Boden, analysiert über dessen Kohlenstoffgehalt. Hier ist im Ewigen Roggenbau aber auch bei vergleichbarer Düngung in anderen längerfristiger Anbauversuche der Humusgehalt über die Jahre weitgehend eine Konstante.
Anders die Situation im konventionellen Pflanzenbau. Hier kommt chemisch synthetisierter Stickstoffdünger zum Einsatz, in Kombination mit genanntem Wirtschaftsdünger, im viehlosen Betrieb aber auch als alleinige Quelle für N (der Rest-N aus Wurzeln und Stoppeln bzw. Blattresten soll hier vernachlässigt werden). Fakt ist, dass selbst unter diesen Bedingungen mit Humusgehalten im Boden bei 2 % über Jahre hohe Erträge an Getreide und weiteren Erntegütern wie Zuckerrüben oder auch Kartoffeln erzielt werden. Offensichtlich ist der wenige Humus ausreichend, genügend N über den Ammoniumdünger aufzunehmen und diesen entsprechend dem Sog aus den Wurzeln der Hochertrags-Kulturen abzugeben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Vorgabe einer Arbeitsgruppe Düngung bei der EU- Kommission für generell anzustrebende Humusgehalte von mindestens 3,6 % fragwürdig (cdnwnd.com/3a7cbd54c76320ceeec (https://ffe9ccd15f.clvaw- 200000673- 95212da849404/554ee554f7/TP%2005%20Humus%20214%2020240401.pdf). Die daraus folgende Einstufung vieler humusärmerer Böden in der EU als beginnende Wüstenbildung ist insofern nicht nachvollziehbar, weil die durchweg hohen Erträge – trotz niedrigem Humusgehalt – eine gute Bodenfruchtbarkeit belegen.
Der Denkansatz genannter EU-Arbeitsgruppe, wie auch der vieler die Umweltaspekte favorisierender Forschungseinrichtungen, eingeschlossen der ökologische Ackerbau, bestimmt Humus als die Kohlenstoffsenke. Doch stimmt das, kann das, so verabsolutiert, stimmen? Erinnern wir uns an die oben genannten Bodenlebewesen, vor allem diejenigen tierischer Natur. Alle diese Spezies atmen in der lockeren Ackerkrume und verzehren kohlenstoffhaltige Substrate o. g. Herkunft. Und Heterotrophie bedeutet dann auch Freisetzung des CO2. Nur so lässt sich die Abnahme des Humusanteiles des Bodens bei zu geringer oder sogar unterbleibender Zufuhr genannter Düngesubstrate aus der Viehhaltung erklären. Für eine Abnahme des Humusgehaltes der Ackerkrume dürfte sicher auch dessen mögliche Erosion/Ausschwemmung durch starke Niederschläge in Frage kommen, mit dem Mehr oder Weniger an Pflanzennährstoffe im Gepäck des verlagerten Humus.
Mythen, Wundermittel und Wahrheiten zur Düngerwirtschaft
Vieles, was im Blick auf die Düngung an Halb- und Unwahrheiten kursiert, haben hoffentlich die vorstehenden teils auch historischen Betrachtungen geklärt. Andererseits werden trotz der hohen Erträge in den hiesigen Gunstlagen des Ackerbaus stets und ständig ausgelaugte Böden als Folge von Überdüngung vor allem mit Stickstoff thematisiert. Auswege sollen dann auch Wundermittel bieten.
Terra Preta, eine Wiederentdeckung, zurückgehend auf die Indios aus dem Amazonasgebiet bis in präkolumbianische Zeiten, beschäftigt, nach anthropologischen Ansätzen bereits im vorigen Jahrhundert, mittlerweile seit über drei Jahrzehnten die Agrarwissenshaften. Terra Preta übersetzt ist „Schwarze Erde“, also sehr humusreiches und fruchtbares Material, wie man „Chernozem“ – russisch-/ukrainisch für Schwarzerde, abgeleitet von den dortigen ertragreichen Ackerböden – begrifflich in das internationale Ackerbauvokabular aufgenommen hat. Entstanden ist Terra Preta dadurch, dass genannte unzählige Indiogenerationen Küchenabfälle, Aschereste mit Pflanzenkohleanteilen, Fäkalien und Pflanzenreste kompostierten und so über lange Zeiträume dauerhaft fruchtbare Böden aufbauten. Deren hohe Humusgehalte sollen unter den tropischen Bedingungen – im Unterschied zur sonst schnellen Humus-Mineralisierung – stabil bleiben (https://ffe9ccd15f.clvaw-cdnwnd.com/3a7cbd54c76320ceeec95212da849404/200000712-c40b8c40ba/TP%2011%20Terra%20Preta%20212%2020240515.pdf). Ein unter hiesigen Bedingungen bereitetes ähnliches Substrat mit der Schlüsselsubstanz Pflanzenkohle (10-15 %), jedoch ohne Fäkalien, ist zur Zeit an der Universität Halle in Kooperation mit einem Start-up-Unternehmen in der Prüfung https://www.landw.uni-halle.de/professuren_arbeitsgruppen/bodenbiogeochemie/191384_3257612/
Ungeachtet der genannten wissenschaftlichen Aktivitäten sind die Erfolgsaussichten einer Anwendung bisher spekulativ. Es liegen demnach keine Düngungsversuche vor, etwa solche, die die Ertragshöhe verschiedener Kulturen durch Terra Preta im Vergleich mit handelsüblichem Kompost oder mit Stalldung, sprich den hierzulande üblichen Humusbildnern, aufzeigen. Und die in den Tropen nachgewiesene Humuspersistenz muss ebenfalls durch Laboranalysen bestätigt werden.
Wissenschaft hin, Wissenschaft her – Terra Preta bleibt im Internet überaus präsent und ist auf den Angebotsseiten von Gärtnereien und Kompostanbietern ein Verkaufsschlager. Hier helfen dann auch Bezeichnungen wie Wundererde oder Bodenaktivator. Auf den nach wie vor fortdauernden Verkaufserfolg von Terra Preta, selbst in Kleinstabpackungen, würden sich die vorstehend angemahnten offenen Fragen mit den für deren Beantwortung geforderten wissenschaftlichen Düngeversuchen vermutlich nicht unbedingt günstig auswirken.
Fazit
Ungeachtet aller Missverständnisse und Anfeindungen war und ist Düngung Herzstück des Pflanzenbaus. Der Weg heraus aus dem Hunger – dieser präsent aufgrund niedriger Getreideerträge durch unzureichende Düngung bis weit hinein in das 19. Jahrhundert. – steigerte über die Verbesserung der Düngerwirtschaft binnen weniger Jahrzehnte die Erträge vom Acker mit völliger Beseitigung des Hungers. Ja, es wurde Nahrung erzeugt in der erforderlichen Menge und einer in vormaligen Hungerzeiten unvorstellbaren Vielfalt.
Den Schlüssel für den Wohlfahrtsschub in Richtung Ernährungssicherung drehte der Agrikulturchemiker Justus von Liebig (1803-1873) ins Schloss mit seinem zeitlos gültigen Grundgesetz der Düngung, nämlich der regelmäßigen Zufuhr von Nährstoffen in Mengen entsprechend den über die Ernte(n) entzogenen Bodennährstoff-Mengen (kürzer auch Ersetzen der via Ernte dem Boden verlustig gegangenen Pflanzennährstoffe). Fritz Haber (1868-1934), und Carl Bosch (1874-1940), beides Chemiker, letzterer dazu Techniker, haben zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, mit der verfahrenschemischen Synthese des Ammoniaks aus dem N der Luft und der nachfolgend weniger komplizierten Umwandlung dieser Verbindung in Ammoniumsulfat und weitere Düngesalze den Menschheitstraum „Brot aus der Luft“ Wirklichkeit werden lassen.
N-Düngung ist Grundbedingung für Mehrerträge und damit für mehr und verschiedenartigere Lebensmittel, aber auch für mehr Futtermittel und dadurch mehr Milch, Eier und Fleisch. Diese Lebensmittel von Kuh, Legehenne und aus der Tiermast sind in den Entwicklungsländern aufgrund unterentwickelter tierischer Erzeugung Segen für die Menschheit. In den Industrieländern mit sehr hohem Verbrauch tierischer Lebensmittel besteht jedoch die Herausforderung, diesen zu senken zugunsten von pflanzlicher Nahrung. Die „Riesenmenge Stickstoff und damit Eiweiß in den Nutzpflanzen“ ist, wenn man so will, heute für viele mit von Kindheit an gelebter ökologischer Sichtweise eine Störung des naturgegebenen N-Kreislaufes, wenn nicht gar eine Katastrophe. Gerade die EU setzt aber mit ihrer strengen Agrar- und Umwelt-Gesetzgebung (z. B. Düngeverordnung) Maßstäbe und Auflagen besonders für Stickstoff und Phosphor, deren Einhaltung bis in den einzelnen Landwirtschaftsbetrieb hinein in regelmäßigen Abständen kontrolliert wird.
Gestritten in Wissenschaft und Praxis wird nach wie vor über den Humus. Im Biolandbau mit dem prinzipiellen Verbot der Anwendung mineralischer Stickstoffdünger spielt Humus eine viel größere Rolle als in der konventionellen Landwirtschaft, verrotten doch in den Böden Kompost, Stalldung oder Gülle mit Mineralisierung der Pflanzennährstoffe im Humus unter Freisetzung des mineralisierten N als Voraussetzung für dessen Verfügbarkeit durch die Nutzpflanze. Entgegen dieser Doppelfunktion fungiert im konventionellen Ackerbau der aus dem mineralischen Stickstoffdünger freigesetzte N weitgehend direkt im Zutritt zur Pflanzenwurzel. Klar, stellt auch hier der Humus mit seinem enormen Anteil mikrobieller Biomasse einen Puffer Nährstoffspeicher und somit Puffer dar, große Teile des N Vorrates einschließend, mit der kontrollierten Nährstofffreisetzung entsprechend den Abforderungen von Bodennährstoffen durch die Pflanzenwurzel.
Humus als Kohlenstoffsenke ist, im Zusammenhang mit der anzustrebenden Senkung des Ausstoßes von THG, in der Diskussion. Hierzu, aber auch zu echten oder vermeintlichen Boden-Verbesserern, sei auf den Schlussteil dieser Betrachtung verwiesen.
Über den Autor
Friedrich Schöne, Prof. Dr. agr. habil., ist Agrar- und Ernährungswissenschaftler, wofür auch die mittlerweile zwanzigjährige postgraduale Vorlesung „Food Safety and Quality Chains – Lebensmittelsicherheit und Qualitätsketten““ vor einer internationalen Hörerschaft an der Universität Hohenheim steht. Schönes langjährige Forschung war stets auf die Kette vom Rohstoff bis zum fertigen Lebensmittel gerichtet – Beispiele von der Rapssaat zum kalt-gepressten oder raffinierten Speiseöl unter Einbeziehung der Rapsfuttermittel oder von der Rohmilch zum Käse oder zur Butter. Neben der Geschmacks- und Geruchseinstufung interessieren vom Rohstoff bis zum Fertigerzeugnis die für Tier- und Humanernährung relevanten Nährstoffe wie Proteine, Aminosäuren, Fette, Fettsäuren, Calcium, Vitamin A, Eisen, Jod oder Selen. Über viele Artikel in internationalen begutacheten Zeitschriften und die eigene Gutachtertätigkeit hinaus, wirkte Schöne an Fachbüchern mit, z. B. über Ölpflanzen/Pflanzenöle, über Jod und zuletzt über Futtermittel. Unser Autor wurde als Mitglied in die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie der Haustiere (GfE) und den interdisziplinären Arbeitskreis Jodmangel berufen. Ferner ist er Mitglied des Verbandes der Landwirtschaftlichen. Untersuchungs- und Forschungsanstalten, VDLUFA, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE sowie der Gesellschaft für Mineralstoffe und Spurenelemente, GMS.