Heute jährt sich zum zweiten Mal der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Fast jeden Tag begleiten uns die schrecklichen Bilder von Tod und Zerstörung vor allem im Osten des Landes. Die Bilder, die wir sehen, dokumentieren nicht allein die Schrecken eines Krieges. Sie dokumentieren die täglichen Kriegsverbrechen der russischen Armee gegen die Zivilbevölkerung, schwerste Kriegsverbrechen im Auftrag eines skrupellosen und menschenverachtenden Regimes, das heute vor allem mit dem Namen von Wladimir Putin verbunden ist.
Das System Putin setzt ähnlich wie das System Stalin auf die gezielte Entrechtung und Entmenschlichung, das System tritt die Würde des Menschen mit Füßen und hat für Freiheit und Rechtsstaat nichts als Verachtung übrig.
Und deshalb müssen wir uns als demokratische Staatengemeinschaft diesem System der organisierten Menschenverachtung mit aller Kraft entgegenstellen.
Nach zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine müssen wir uns heute allerdings auch die Frage stellen: Haben wir in den letzten zwei Jahren eigentlich genug getan, um der Ukraine wirklich zu helfen? Oder werden wir spätestens in einigen Jahren aus der Rückschau erneut feststellen müssen, dass wir uns geirrt haben? Dass wir Putins Skrupellosigkeit und seine Kriegsmaschine erneut falsch eingeschätzt haben?
Der ernüchternde Befund ist: Putin und sein Regime halten sich an keinerlei völkerrechtliche oder sonstige Vereinbarungen, im Gegenteil: Russland ist unter Putin zur größten Gefahr für die Freiheit und den Frieden auf unserem Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg geworden.
Einer solchen Bedrohung müssen wir, die Staaten des Westens, die Gemeinschaft der Demokratien, mit Entschlossenheit und Härte entgegentreten. Nur Stärke und militärische Abschreckung schaffen Frieden und Sicherheit. Schwäche hingegen lädt ein zu Aggression und Konflikt.
Und niemand von uns kann zwei Jahre nach Beginn dieses Angriffskrieges noch irgendeinen Zweifel haben: Der imperiale Größenwahn von Putin ist nicht auf die Ostukraine beschränkt, sondern erstreckt sich gleichermaßen auf die gesamte politische Ordnung des europäischen Kontinents und damit unmittelbar auch auf uns.
Der zweite Jahrestag des Krieges gegen die Ukraine muss deshalb auch für uns ein Anlass sein, um Bilanz zu ziehen. Wo stehen wir nach zwei Jahren Krieg?
Wir haben aus Deutschland heraus viel für die Ukraine geleistet, humanitär, finanziell und auch militärisch. Vor allem die Hilfsorganisationen und die privaten Haushalte haben den Menschen in der Ukraine und denen, die zu uns als Flüchtlinge gekommen sind, sehr geholfen. Aber haben wir uns eigentlich am Anfang des Krieges, also 2014, spätestens aber 2022, auch gefragt, welches strategisches Ziel wir mit unserer Hilfe eigentlich erreichen wollen?
Der Bundeskanzler betont bis heute, die Ukraine dürfe den Krieg „nicht verlieren“ und Russland dürfe den Krieg „nicht gewinnen“. Das sind wohlfeile Formulierungen. Aber einen Zustand, der nicht eintreten darf – „gewinnen“ oder „verlieren“ – sagt noch nichts aus über das Ziel, das wir erreichen wollen. Strategisch sind diese Zielbeschreibungen ein Nichts, im wörtlichen und übertragenen Sinn.
Die Koalitionsfraktionen sind in dieser Woche einen Schritt weiter gegangen. Sie haben in ihrem Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag immerhin zu der Formulierung gefunden, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen müsse. Immerhin, und zwar „gewinnen“ im Sinne der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität aller von Russland besetzten Gebiete einschließlich der Krim.
Aber die Koalition bleibt wieder auf halber Strecke stehen, wenn sie nicht eine Antwort auf die Frage gibt, wie dieses Ziel denn erreicht werden soll, vor allem: welche militärischen Fähigkeiten dazu denn notwendig wären.
Der Ablauf unserer politischen Debatten der letzten Jahre zeigt: Deutschlands politisches Führungspersonal hat die Fähigkeit verloren, interessen- und werteorientierte außenpolitische Fragen nicht nur zu stellen, sondern sie auch zu Ende zu denken. Nur zu sagen, was nicht geschehen dürfe, gewinnen und verlieren, bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück. Deutschland steht auch nach zwei Jahren Krieg in Europa immer noch am Anfang seiner strategischen Neudefinition in einer Zeit, die mit dem Wort „Zeitenwende“ vermutlich noch unzureichend beschrieben ist.