In der nächsten Woche findet in Brüssel der letzte Europäische Rat des Jahres statt, das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Regierungskrise in Deutschland überschattet auch dieses wichtige Datum in Europa, denn wenn das größte Mitgliedsland der EU politisch nicht handlungsfähig ist, dann hat dies Auswirkungen auf alle.
Dabei müssten gerade jetzt in Europa wichtige Weichen gestellt werden für das nächste Jahr. Immer noch im Vordergrund steht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die innenpolitisch motivierte Blockade in den USA gegen weitere Hilfen für die Ukraine müssen wir in Europa äußerst ernst nehmen. Denn zum selben Zeitpunkt, und dies ist gewiss kein Zufall, droht Putin offen gegen Lettland mit der Behauptung, dort würden russische Staatsbürger nicht korrekt behandelt. Wir erinnern uns: Das war genau die Begründung, mit der Putin vor fast zehn Jahren die Krim annektierte und in die Ostukraine einmarschierte. Wir müssen damit rechnen, dass Putin auch diesen Drohungen Taten folgen lässt. Vor einer direkten militärischen Intervention stehen in der Regel systematische Akte der Destabilisierung eines Landes wie Attacken auf die Datennetze und Desinformationen über die Medien. Die großrussischen Machtansprüche, die Putin in seinen Reden immer aggressiver zum Ausdruck bringt, die Gleichschaltung aller russischen Staatsorgane, die Unterdrückung jeder Opposition und die Beseitigung aller Kritiker durch die Geheimdienste können keinen Zweifel lassen an der Entschlossenheit des russischen Regimes. Gleichzeitig konnte die Ukraine in diesem Jahr keinen größeren militärischen Erfolg gegen die russische Armee auf dem eigenen Staatsgebiet erzielen. Im Gegenteil, die unzureichende Verteidigungsfähigkeit der Ukraine hat es ermöglicht, dass sich die russischen Truppen in gestaffelten Linien mit großräumiger Verminung festsetzen und ihre militärische Überlegenheit ausbauen konnten.
In dieser Lage müsste Europa jetzt geschlossen handeln. Aber schon die grundsätzliche Weigerung von Viktor Orban, daran teilzunehmen, verhindert einstimmige Beschlüsse. Umso wichtiger wäre es, dass wenigstens eine größere Gruppe von Mitgliedstaaten der EU keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit zulässt, der Ukraine weiter zu helfen: politisch, humanitär und militärisch. Nach dem in der nächsten Woche bevorstehenden Regierungswechsel in Polen böte sich die Gelegenheit, zusammen mit Frankreich und eben Polen eine dahingehende Initiative zu ergreifen. Und was ist mit Großbritannien? Auch wenn die Briten leider nicht mehr in der EU sind, sie sind und bleiben ein wichtiger NATO-Partner in Europa und damit ein wichtiger Partner auch für uns. Wann gab es eigentlich die letzten Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Regierung in London?
Wenn die EU sich so schwer tut Entscheidungen zu treffen, dann müsste wenigstens eine Gruppe von Staaten in Europa eng und entschlossen zusammen handeln. Ohne Deutschland geht das in der Regel nicht, denn wir sind nun einmal das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land in der Mitte Europas. Aber der Streit in der Ampel lähmt die deutsche Politik seit Wochen, die Enttäuschung über Deutschland kommt in allen Gesprächen in Europas Hauptstädten zur Sprache. Deutschland wird zum Totalausfall auf der internationalen Bühne.
Die innenpolitischen Schäden, die die Bundesregierung hinterlässt, werden wir mit viel Mühe wohl eines Tages beseitigen können. Aber der Ansehensverlust und der Schaden, der gegenwärtig in Europa und in unseren auswärtigen Beziehungen entsteht, der ist möglicherweise auf sehr lange Zeit nicht mehr zu reparieren.
Quelle: MerzMail