In den letzten Wochen hat es eine Diskussion um die Frage gegeben, ob wir das Bundesverfassungsgericht besser schützen müssen gegen Angriffe politisch extremer Parteien, vor allem gegen die AfD. Ist die Sorge um die Unabhängigkeit des höchsten deutschen Gerichts wirklich begründet?
Zunächst einmal ist mehr als nur bedauerlich, dass die Gespräche, die wir als Unionsfraktion mit der Koalition in dieser Frage seit dem Herbst des letzten Jahres führen, bereits zweimal durch Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangt sind. Gewiss, Entscheidungen in einer Demokratie müssen transparent und damit öffentlich sein. Aber eine ergebnisoffene Diskussion, ob denn bestimmte Entscheidungen überhaupt erwogen werden sollten, müssen innerhalb einer Regierung und zwischen der Regierung und der Opposition zunächst in einem geschützten Raum geführt werden können. Insbesondere mit der SPD-Bundestagsfraktion sind solche vertraulichen Gespräche gegenwärtig kaum möglich.
In der Sache selbst gilt es abzuwägen zwischen den denkbaren Bedrohungen für das Bundesverfassungsgericht und den sich daraus ergebenden gesetzlichen Schlussfolgerungen. Welche denkbaren Schwachstellen gibt es?
Anders als beispielsweise in den USA wird unser höchstes Verfassungsgericht nicht maßgeblich auf Betreiben der Regierung besetzt, sondern je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat, jeweils mit Zweidrittelmehrheit. Das ist für die Besetzung des Gerichts eine hohe Hürde und schützt es vor dem einseitigen Zugriff durch die Regierung oder einer einfachen Regierungsmehrheit. Dieses Besetzungsverfahren ist einfach-gesetzlich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt und könnte mit einfacher Mehrheit geändert werden.
Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat sind bei den Richterwahlen auch schon heute mitunter schwer zu erreichen. Immer wieder verzögern sich Nachbesetzungen, weil es an konsensfähigen Kandidatinnen oder Kandidaten fehlt. Unterstellt, ohne AfD oder andere links- und rechtspopulistische Parteien ließe sich in Zukunft im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit grundsätzlich nicht mehr erreichen, wäre nicht nur das Besetzungsverfahren für das Bundesverfassungsgericht betroffen. Dann hätten wir noch viele weitere Probleme, bis hin zu allen zukünftigen Grundgesetzänderungen. Für das Bundesverfassungsgericht ließe sich eine Lösung finden, indem wir zum Beispiel zwischen Bundestag und Bundesrat ein wechselseitiges Ersatzwahlverfahren einführen: Kommt im Bundestag eine Wahl nicht zustande, würde nach einem gewissen Zeitablauf der Bundesrat eintreten und umgekehrt. Bei Grundgesetzänderungen ginge so etwas nicht.
Allein an diesen beiden Beispielen ist zu sehen: So einfach wird es nicht sein, das Bundesverfassungsgericht gegen Einflussversuche durch Rechtspopulisten besser zu schützen. Der beste Schutz besteht in einer erfolgreichen Abwehr des zunehmenden politischen Extremismus selbst und zwar durch alle Parteien der breiten politischen Mitte. Ein solcher Erfolg käme auch nicht allein dem Bundesverfassungsgericht zugute. Wenn wir trotzdem über den Schutz unserer Verfassungsorgane sprechen müssen, dann sollten wir das unaufgeregt und vertraulich tun. Jede Aufregung, jede Indiskretion und jede öffentliche Empörung nutzt allein der AfD.
Quelle: MerzMail