Mittlerweile melden sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union öffentlich zu Wort: die deutsche Regierung ist in Brüssel – anders kann man es nicht sagen – ein Totalausfall. Das geradezu ostentativ zur Schau gestellte Desinteresse der Bundesregierung an der europäischen Politik schadet inzwischen nicht mehr nur uns selbst; es wird zunehmend zur Belastung der europäischen Politik und unseres Verhältnisses zu den europäischen Nachbarn.
Allein der beständige Streit der Ampel über die drei Jahre ihrer Arbeit in der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ (so haben sie sich tatsächlich am Anfang selbst genannt!) führte zu einem faktischen Ausfall der deutschen Mitwirkung an europäischer Gesetzgebung. „German Vote“ nennt man in Brüssel mittlerweile die ständige deutsche Enthaltung in den Räten, zu denen zahlreiche Regierungsmitglieder, wie etwa der Bundeswirtschaftsminister, erst gar nicht hinfahren. Von der deutschen Regierung gibt es in den letzten drei Jahren nicht eine einzige Initiative etwa in der Flüchtlingspolitik oder in der Wirtschaftspolitik, über die man hätte in Brüssel diskutieren können. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wurde von den Grünen im Europaparlament abgelehnt, obwohl sich die Grünen in Deutschland nach quälend mühsamer Debatte zur Zustimmung durchgerungen hatten. Jetzt gibt es von der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, einer Sozialdemokratin, zusammen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und dem niederländischen Ministerpräsidenten Dick Schoof eine Initiative zur weiteren Verbesserung der Kontrolle der illegalen Migration, 16 Mitgliedstaaten der EU haben Zustimmung signalisiert, nicht dabei: Deutschland.
Am letzten Samstag wurde in Paris die Kathedrale Notre-Dame feierlich wiedereröffnet. Trump, Macron und Selenski haben die Gelegenheit genutzt, um über die Lage in der Ukraine zu sprechen. Der deutsche Bundeskanzler war eingeladen, aber er hatte offenbar keine Lust, nach Paris zu reisen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte am Donnerstag dieser Woche den französischen Staatspräsidenten in Warschau zu Gast, um mit ihm ebenfalls die Lage in der Ukraine zu beraten. Wieder nicht dabei: Der deutsche Bundeskanzler. Man muss es leider so sagen: Die Mehrzahl der europäischen Staats- und Regierungschefs hat einfach keine Lust mehr, den deutschen Bundeskanzler zu treffen, der entweder stundenlang schweigend dasitzt oder belehrend die Welt erklärt.
Dabei ist diese Welt zum Ende des Jahres 2024 so voller Ungewissheiten, dass es gerade jetzt einer intensiven Zusammenarbeit der europäischen Staaten bedürfte. Die „Zeitenwende“ wird in den Hauptstädten Europas außerordentlich ernst genommen. Aber ohne Deutschland bleiben alle Beratungen und Entscheidungen in Europa unvollständig. Denn ob wir es nun wollen oder nicht, wir sind das Land in Europa, auf das es besonders ankommt. Wir liegen in der Mitte des europäischen Kontinents, wir sind das bevölkerungsreichste Land Europas, und wir müssten daraus ein beständiges europäisches Engagement und Miteinander entwickeln. Gerade in Europa braucht es gute persönliche Beziehungen, Empathie, verlässliche Absprachen und vor allem die Bereitschaft, zuzuhören und die Interessen der anderen zu berücksichtigen. Nur so haben wir trotz aller Widrigkeiten in den letzten Jahrzehnten Frieden und Freiheit, Wohlstand und Sicherheit in Europa gemeinsam bewahren können. Es wird dringend Zeit, dass sich Deutschland in Europa wieder mehr engagiert, zum Nutzen Europas, aber auch und ganz besonders in unserem eigenen Interesse.
Quelle: MerzMail