Das Bundeskabinett hat in dieser Woche auf Initiative der beiden Bundesministerinnen des Auswärtigen und für wirtschaftliche Zusammenarbeit Leitlinien für eine feministische Außenpolitik beschlossen. Kern dieser Leitlinien sind die echte Gleichberechtigung von Frauen sowie ihre bessere Beteiligung von Frauen und ihre gleichberechtigte Einbeziehung in alle politischen Prozesse – bei der Bekämpfung von Hunger und Armut ebenso wie bei der Friedenssicherung, der Entwicklungshilfe und nicht zuletzt bei Bildung und Ausbildung.
Die Idee der feministischen Außenpolitik wird seit mehr als 100 Jahren diskutiert, der Internationale Frauenkongress in Den Haag im Jahr 1915 war der erste wichtige Meilenstein. Ohne eine bessere Einbeziehung von Frauen werden wir die Probleme unserer Zeit sicher nicht lösen. Und bis hinunter in unseren Alltag wissen wir: Männer und Frauen haben oft einen unterschiedlichen Blick auf die Dinge, gemischte Teams arbeiten besser. Und wo Frauen in führender Verantwortung mit dabei sind, kommen Entscheidungsprozesse zu besseren Ergebnissen.
Eine feministische Außenpolitik bringt uns allerdings auch zu der Frage, an welchen Maßstäben sich Außenpolitik denn ganz grundsätzlich orientieren soll. Ist es eher eine werteorientierte Außenpolitik, die sich nicht nur, aber auch und besonders den Rechten und der Mitwirkung von allen gesellschaftlichen Gruppen zuwenden soll, oder ist es eher eine interessengeleitete Außenpolitik, die sich vor allem an unseren nationalen Interessen, den Sicherheitsinteressen und den ökonomischen Interessen unseres Landes ausrichtet?
Ich meine, eine werteorientierte Außenpolitik und eine interessengeleitete Außenpolitik dürfen nicht in einen Widerspruch zueinander gesetzt werden. Unsere Interessen können sehr wohl auf die Gleichberechtigung, die Anerkennung der Menschenrechte, auf Demokratie und Rechtsstaat ausgerichtet sein. Unsere nationalen Interessen liegen in der gegenwärtigen Zeit auch und vor allem in der Gewährleistung einer im umfassenden Sinne verstandenen Sicherheit: die unseres Landes und unserer Bürger vor physischen Bedrohungen, aber auch die Sicherheit unserer Energieversorgung und der Infrastruktur. Alles zusammen muss einfließen in eine Nationale Sicherheitsstrategie, die laufend fortentwickelt und den aktuellen Herausforderungen angepasst wird.
Über eine solche Nationale Sicherheitsstrategie diskutiert – und streitet – die Bundesregierung nun seit über einem Jahr. Ohne eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie werden auch die Erfolge einer werteorientierten Außenpolitik und damit auch die einer feministischen Außenpolitik eher bescheiden bleiben. Mit anderen Worten: Der größere Teil der Aufgabe, die Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes neu auszurichten, liegt auch ein Jahr nach der „Zeitenwende“ immer noch unerledigt auf dem Schreibtisch der Bundesregierung.
Quelle: MerzMail