Wie die SPD ihr Subjekt verlor

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Die sich nun schnell anheizende Debatte um den richtigen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten lenkt von der eigentlichen und historischen Schwäche der SPD ab. Sicher können Personen eine Wahl entscheiden: Die schwarze Frau Kamela Harris scheiterte nicht zuletzt an den Ressentiments von Latinos und schwarzen Männern. Und Olaf Scholz hat durch die Unfähigkeit, seine Doppel-Wumms-Kommunikation durch eine ernsthafte und die Sorgen der Menschen respektierende zu ersetzen, die eigene Partei in das gegenwärtige Umfragetief gestürzt.

Aber amerikanische Demokraten und deutsche Sozialdemokraten verbindet die fehlende Bereitschaft, die Sorgen ihrer traditionellen Wählerinnen und Wähler aufzunehmen. Statt aus den Vorstellungen von Uber- und Amazon-Fahrern und der geschrumpften Arbeiterschaft politische, kulturelle und gesellschaftliche Forderungen zu entwickeln, surften sie mit dem Zeitgeist. Es ist gerade drei Jahre her, dass sich Wolfgang Thierse von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Kevin Kühnert zum Austritt gedrängt sah, weil er sich gegen eine ausgrenzende „Cancel-Kultur“ gewehrt hatte (https://www.faz.net/…/wolfgang-thierse-erwaegt-spd…).

Seitdem schlingert die SPD ohne erkennbare Leitlinie durch die Zeiten. Scholz beschwor die Idee des „Respekts“, doch das erwies sich letztlich nur als Wahlkampf-Floskel. Wofür steht Scholz heute, wofür Boris Pistorius? Scholzens Stolz auf den erhöhten Mindestlohn zeigt einen Sozialdemokraten, der glaubt, den Zeitenbruch einer globalisierten Welt und sich anbahnender Völkerwanderungen durch den Sozialbaukasten vergangener Jahrzehnte zu heilen. Die von Gerhard Schröder zuletzt aufgegriffene und der Arbeiterbewegung keinesfalls fremde Leitidee „Fördern und Fordern“ findet nicht mehr statt. Die SPD empfindet ihr klassisches Klientel als Empfänger staatlicher Zuwendungen, aber nicht mehr als Subjekt, schon gar nicht als Treiber geschichtlichen Handelns.

Marc Saxer, Mitglied der Grundwertekommission der SPD, benennt bei seiner Suche nach „einer neuen Leitidee der westlichen Gesellschaften“ immerhin die Problemlage klar: „Statt wie das Kaninchen vor der Schlange auf die „Bedrohung der Demokratie von Rechts“ zu starren, müssen zunächst die Versäumnisse im liberalen Lager reflektiert werden. Es muss Schluss sein mit der kulturellen Verachtung der arbeitenden Mitte. Schluss mit ideologischen Projekten, die keinen Bezug zur Lebensrealität der Menschen haben. Schluss mit Sprachspielen und Haarspaltereien, die von der breiten Mehrheit als unaufrichtig empfunden werden. Und Schluss mit dem gegenseitigen Ausspielen identitärer Gruppen“ (https://web-epaper.tagesspiegel.de/index.html…). Saxer stellt auch erste Fragen. Das ist eine Ausnahme und könnte doch ein Anfang sein. Aber noch ist in der Führung seiner Partei kein politischer Kopf zu entdecken, der eine Wende herbei führen könnte, um die SPD als Volkspartei zu retten.

Pistorius würde der SPD ein paar zusätzliche Prozente einbringen und die Chancen für die Rückkehr von mehr SPD-Abgeordneten in den Bundestag erhöhen. Aber erst nach der Wahl wird sich die Zukunft dieser alten deutschen Partei entscheiden. Und auch nicht durch die Wahl.

 

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