Ein ganzer Reigen politischer Stellungnahmen des Bundeskanzlers in den letzten Tagen zum russischen Überfall auf die Ukraine verdichtete sich zu der von Olaf Scholz im 12. Kanzlergespräch in Dresden verbreiteten Demonstrations-Parole: „Diplomaten statt Granaten, ist der Satz, den wir gemeinsam Richtung Kreml skandieren“ (https://twitter.com/josefheynckes/status/1763303708169814486). Das mag diejenigen wenig überraschen, die die besondere Affinität dieser Bundesregierung zu Demonstrationen mit eher gemischten Gefühlen beobachten.
Nun läge es durchaus in der Hand des Bundeskanzlers, vielfältige diplomatische Initiativen zu starten. Scholz tut das nicht, weil der erfahrene Politiker natürlich weiss, dass es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die russische Führung von ihrem Ziel abweicht, die Ukraine zu unterwerfen und Europa im Schatten russischer Hegemonie neu zu ordnen; gerade hat Putin diese Ziele im US-Fernsehen noch einmal bekräftigt. Während Scholz mit Diplomaten droht, erneuert die russische Führung ihre Kriegs- und Atomkriegsdrohungen gegen Deutschland und seine Partner.
Hinzu kommt, dass jede Friedens- oder Waffenstillstandsregelung mit Garantien der NATO oder nach Trumps Wiederwahl der EU verbunden wäre, die bei ihrer Verletzung zum Einsatz von Bundeswehrsoldaten in der Ukraine führen würden; also genau zu dem, was Scholz gerade kategorisch ablehnt: „Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Das gilt. Darauf können sich unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen. Und darauf können Sie sich verlassen“ (https://www.bundesregierung.de/…/kanzler-kompakt-nato…).
Aber auch schon jetzt stärkt Scholz damit Putin in seiner Gewissheit, dass die NATO ihn gewähren lässt, wenn es Russland nur gelingt, die Ukraine militärisch zu schlagen. Damit erhöht sich die Kriegsgefahr und auch die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Bundeswehrsoldaten. Zudem schürt die Bundesregierung Unsicherheit bei den Partnern, vorneweg in den baltischen Staaten: Würde der Kanzler nach einer wie auch immer gearteten Aggression Russlands gegen eine der baltischen Republiken noch in der Lage sein, die gerade von ihm beruhigten Deutschen für die militärischen Verteidigung ihrer Souveränität zu gewinnen? Werden die 4000 deutschen Soldaten wirklich gegen ein Russland kämpfen, das Estlands Ministerpräsidentin gerade als Verbrecherin zur Fahndung ausschreibt?
Scholzens Initiative ist innenpolitisch motiviert: Als „Friedenskanzler“ will er bessere Wahlergebnisse für seine SPD bei den ostdeutschen Landtagswahlen dieses Jahres erzielen und der AFD Stimmen abjagen. Der innenpolitische Streit über den Kurs ist auch in Kriegszeiten legitim und notwendig; Grossbritannien hat das einst in der Zeit grösster Bedrohung durch Deutschland beispielhaft demonstriert.
Gefährlich wird es allerdings, wenn falsche Erwartungen erzeugt werden. Denn die Enttäuschung spielt der AFD in die Hände. Was antwortet Scholz auf Sahra Wagenknecht, wenn diese ihn bei der nächsten Debatte über die bald anstehenden weiteren Erhöhungen der Verteidigungsmassnahmen beim Wort nimmt: „Diplomaten statt Granaten“? Der Bundeskanzler weiss, dass die russische Bedrohung Deutschland noch schwere Lasten auferlegen wird. Seine Pflicht ist es, Deutschland darauf einzustellen. So gelingt das nicht.