Mit zahlreichen Veranstaltungen an vielerlei Orten wird derzeit auf ganz unterschiedliche Weise in Bayern und in ganz Deutschland an den 100-jährigen Geburtstag von Franz-Josef Strauß am 6.September 2015 erinnert. Die viel beachtete Foto-Ausstellung „Franz-Josef-Strauß- Die Macht der Bilder“ war noch im Vorfeld der offiziellen Feierlichkeiten dieser Tage über Monate hinweg im Münchner Stadtmuseum zu sehen. Wohlwollende Würdigungen und kritische Anfechtungen seines Lebenswerks als Politiker und als Mensch füllen die Spalten von Zeitungen und Zeitschriften und liefern neuen Stoff für Kommentare und weitere Enthüllungen, die sich als sensationell ankündigen und diesem Anspruch oft kaum gerecht werden.
Denn eines ist sicher: Franz Josef Strauß polasiert immer noch wie kein anderer, wie es allein die großen Persönlichkeiten tun und dies schon zu Lebzeiten und erst recht nach ihrem Hinschneiden. Im Guten und im Bösen. Denn die Farbe Grau passt nicht zu ihnen, sondern nur zu den Mittelmäßigen, die rasch in Vergessenheit geraten.
Unter den vielen Publikationen nimmt ein Buch eine Sonderstellung ein, dessen auffällig provokatorische Titel auf Anhieb die Aufmerksamkeit auf sich lenkt: „Franz Josef Strauß und sein Jude“. Der Autor, der – wie er selbst offen bekennt – für die Wahl des Wortlauts eigenverantwortlich zeichnet, weil sie auf seine Initiative zurückgeht, ist sicherlich vielen unter dem älteren noch ein Begriff, und selbst wenn er seit sechzehn Jahren nicht mehr in Deutschland lebt.
1878-1988 war Godel Rosenberg – dies sein Name – 10 Jahre lang der Mann an der Seite vom Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, sein Pressesprecher ohne Parteibuch, sein Begleiter auf zahlreichen Auslandsreisen, die ihn – meistens im von Strauß selbst gelenkten Cessna – rund um die Welt brachten, u.a. nach London zu Margaret Thatcher oder nach Jerusalem zu Shimon Perez. Seine Berufung in die CSU-Pressestelle als junger Absolvent der Journalistenschule in München, wo er als Redakteur vom Münchner Merkur tätig war, verdankte er mehr oder weniger einem Zufall, worauf er voller Dankbarkeit zurückblickt.
An jene wichtigste Dekade seines Lebens knüpft Rosenberg humorvoll und mit leichter Hand in Seiten, die unterhaltsam und voller tiefer Gedanken zugleich sind. Seine Erinnerungen will er nicht „aufgrund stenografischer Aufzeichnungen“ schreiben, sondern als „erlebte Dinge“, wie es beispielweise der von ihm hoch geschätzte Amos Oz in seiner „Geschichte von Liebe und Finsternis“ tut. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sollen ineinander fließen, denn im Vordergrund steht das „emotionale Gedächtnis“, „das Gefühl in Worte gekleidet“.
Die Perspektive ständig wechselnd, ohne sich an einem richtigen Schema zu halten, lässt der erfahrene Journalist Geschichten wieder lebendig werden, welche die Geschichte Bayerns, Deutschlands und Europas mitgeprägt haben und dies in Zeiten, die schwierig und dennoch noch einen Hauch von der Euphorie der Aufbaujahre atmeten.
Das Bild, das er von Franz Josef Strauß zeichnet, ist nicht das des geliebt-gehassten Akteurs auf dem politischen Parkett, sondern das eines dem Volk zugewandten, der sich in die Pflicht genommen sah , auf dessen Bedürfnissen einzugehen und keineswegs die Distanz pflegte, die das heutige politische Handeln bestimmt. Ihm bescheinigt er jene „Kraft, Sachlichkeit und die klare, direkte Sprache“, die er derzeit generell vermisst. Vergegenwärtigt wird ein Franz Joseph Strauß aus nächster Nähe, ein Politiker zum Anfassen, ein „Mentsch“, was im Jiddischen diejenigen bezeichnet, „bei denen das Herz am richtigen Fleck sitzt, die weise und mutig sind.“ Jemand, der sich mit Feinden wie Rudolf Augstein wieder versöhnt und – was der Öffentlichkeit wohl entgangen zu sein scheint – wieder trifft, wenn endlich Gras über die Spiegel-Affäre gewachsen ist.
1946 in Lódź als Sohn polnischer, der Shoah knapp entronnenen Juden geboren, „interpretiert“ er Strauß „im Sinne der Thora“: in ihm sieht er den charismatischen Politiker, allem voran den Visionär. Philosophisch – schreibt er – habe der humanistisch gebildeter Metzgersohn und Einserschüler am Max-Gymnasium, der „ Lehre des Augustinus mit ihrem pragmatisch-elitären Geist “ nahe gestanden und Augustinus – fügt er hinzu – sei „Thora Pur“.
Rosenbergs immer spannende Erzählung füllt sich mit Episoden aus dem politischen Alltag aber auch aus seinem Privatleben. Immer wieder kommt seine Erfahrung als Kind und Jugendlicher im Nachkriegsmünchen zum Vorschein, wo er sich angehalten fühlt, sein Judentum „wegzudrücken“, will er von den anderen akzeptiert werden, wo seine Familie „auf 98 Quadratmetern … in der Isar-Vorstadt noch wie im Jüdischen Shtetl irgendwo in Polen lebte“ und wo – ohne dass er es selbst merkt – das Jiddische „zu seiner zweiten Identität“ wird.
Nach Strauß plötzlichen Tod wechselt Rosenberg zum Bayerischen Fernsehen, wo er als Moderator arbeitet, bis er 1998 mit seiner Familie nach Israel zieht, um die Leitung der Daimler-Chrysler-Konzernrepräsentanz zu übernehmen. „Israel hat mir in den 16 Jahren ein neues Lebensgefühl … geschenkt. Juden sind Geldwechsler, Juweliere und Banker wie über 1000 Jahre hinweg in Europa. Aber sie sind auch Soldaten, Elektriker, Drucker, Landwirte oder Installateure…Hier muss ich nicht mehr erklären, wer ich bin, warum ich lebe oder warum ich gerade hier lebe. … Ich bin Mehrheit, will nicht mehr jüdische Minderheit sein …“
Der naturalisierte Israeli versteht sich dennoch als „Deutscher, Europäer, Weltbürger mit einer außerordentlichen Bindung zu Bayern“. Als Repräsentant des Freistaats in Herzliya engagiert er sich seit 2009 für die Intensivierung der Beziehungen Bayerns zu Israel, dem Land das sein Überleben im fernen 1966 dem mutigen Einsatz des früheren Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß verdankt.
Godel Rosenberg, Franz Josef Strauß und sein Jude. Erinnerungen zwischen München und Tel Aviv. Allitera Verlag 2015
Weitere Titel:
Renate Höpfinger, Henning Rader, Rudolf Scheutle (Hg)
Franz Josef Strauß. Die Macht der Bilder
Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Münchner Stadtmuseums
24.April – 2. August 2015 – Allitera Verlag 2015.
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