„Was suchen Sie denn?“ fragt mich eine gehbehinderte siebzigjährige Frau am Busbahnhof in Prien am Chiemsee. „Die Linie 9480 zum Kloster Seeon“, antworte ich. „Aha, Sie meinen den Bürgerbus“, meint sie freundlich und zeigt auf ein Schild, auf dem Kloster Seeon auch vermerkt ist: 14.49 Uhr Ankunft vor Ort. Bis der Bürgerbus eintrifft, vergehen noch ein paar Minuten, in denen Frau Irmi mir nicht zuletzt von einer falschen Impfung berichtet. Und schon trifft der Bus mit dem ehrenamtlichen Fahrer ein. Als einziger Gast zahle ich den Fahrpreis von € 1, 50 und nehme glücklich Platz, in Erwartung all der Ereignisse, die sich an diesem Freitag noch ereignen werden. Schließlich könnte die Ausstellung „Franz von Pocci und der Humor“ das makaber-düstere Bild von dem erneuten Lockdown das Gemüt besänftigen? Da stelle ich mir vor, wie Franz Graf von Pocci (1807-1876) bei der Haltestelle Kloster Seeon auf mich wartet, mir aus dem Bürgerbus hilft, eine seiner genialen Zeichnungen von der Landschaft mitgebracht hat, den Busfahrer – einst leitender Angestellter bei Unilever in der Lebensbittelbranche in Hamburg – portraitiert und sich dann auf die leere Bank neben mich setzt. Das ist der Start für sein Start-up, kurz vor der Vernissage, an der nur einige Auserwählte teilnehmen dürfen. Das sind eben die aktuellen Hygieneregeln. Pocci versteht es, auch diese Situation humorvoll zu kommentieren; denn was vor über 150 Jahren bei den „Zwanglosen“ durch ihn dokumentiert wurde, hat sich nicht verändert: Der Mensch liebt das Leben, auch wenn er sich erst mal zu den Fleischtöpfen Bayerns durchhanteln muß.
Wer denkt, daß es wie früher bei den Benediktinern im Kloster Seeon ein gastliches Gasthaus gibt, der wird an diesem Freitag bitter enttäuscht. O je. Die Klosterwirtschaft ist geschlossen – dieses Mal wegen Umbau.
Aber an der Seite von Pocci hält man es auch ohne Bier, Tee, Kaffee, Wasser und Brotzeit eine Zeitlang aus.
Die geistige Nahrung hat hier Priorität und zeigt, auf was im Kloster aktuell am 30. Oktober 2020, der Pocci- Vernissage, Wert gelegt wird. „Gehen Sie in den Klosterladen, dann finden Sie schöne Sachen“, heißt es an der Rezeption. „Gibts da auch was zum Trinken?“ Eine unanständige Frage von mir, wo es doch im Laden so viel Interessantes zur Geschichte des Klosters und auch einen Pocci Jahreskalender 2021 zu kaufen gibt. Da kommt Freude auf bei Pocci und mir. Wir fragen nicht weiter. Im Rucksack gibt’s noch ein Stück Brot für uns beide und etwas Leitungswasser in einer Plastikflasche. Hinaus ins Freie geht’s. Der Blick rundherum lässt uns erstarren. Alles ist frisch renoviert, clean und menschenleer. Keine vergnügliche Larifari Hand. Und ein kühler Wind scheucht uns vom Ufer des Teiches. Auch im Innenhof ist die gähnende Leere gruselig. Ja, das Plakat der Ausstellung zeigt uns, um was es hier geht: mit Humor das Leben zu genießen. So ist es auch. Rhabarbarschorle wird jetzt serviert, und Gläser, gefüllt mit einer modernen Komposition von Getreide, Salat und Fisch, lassen so manchen faden Beigeschmack der Wartezeit auf die Vernissage vergessen. Hoch lebe nun Pocci und der Humor, der vom Präsidenten des Bezirkstages Oberbayern Josef Mederer in einem Einführungsvortrag herausgestellt wird, wobei die VIP Gäste noch extra begrüßt werden. Dazu gehören freilich der innere Kreis der POCCI-GESELLSCHAFT rund um den Ideengeber und Präsidenten Dr. Michael Köhle und seiner engagierten Frau Barbara, Dr. Michael Stephan, Vize- Präsident mit seiner Lebensgefährtin, und Sepp Hofer, der als Gemeinderat, Kreisrat, Bezirksrat für Oberbayern und stellvertretender Landrat im Landkreis Rosenheim eine wichtige Rolle spielt. Freilich gibt’s noch das Team um den Geschäftsleiter Gerald Schölzel, der als Manager in der Corona- Krise fest an den Erfolg der Pocci Ausstellung glaubt. So sieht es freilich auch Michael Köhle, der als Kurator mit seiner Frau die Wände mit Pocci meisterhaft belebt hat. Da tummelt sich so manche berühmte Persönlichkeit aus dem 19. Jahrhundert wie neu-inszeniert zwischen den weißen Mauern. Was Pocci alles geleistet hat, kann er selbst kaum glauben. Ein wahres Kuriosum ist seine Karikatur von dem Naturforscher Carl Friedrich von Martius, der mit all den Kostbarkeiten aus Brasilien genau vor 200 Jahren am 10.12. zurückgekehrt ist. Diese so erfolgreiche Expedition (1817-1820) steht Humboldts abenteuerlichen Reisen nicht nach, aber diese einst so erfolgreichen Naturwissenschaftler Martius und sein Weggefährte Baptist Ritter von Spix sind eben Bayern und bis heute kaum bekannt. An was mag das wohl liegen? fragt sich Pocci, ohne eine Antwort zu wissen oder zu bekommen. Interessant ist jedoch der Synergie-Effekt, der sofort den Kennern der Geschichte ins Auge fällt: 1852 wurde das ehemalige Klostergebäude Seeon an Dona Amalia, Witwe von Kaiser Pedro I. von Brasilien, verkauft. So ließen sich die Kontakte zwischen Bayern und Brasilien heutzutage neu entfachen, auch wenn sie augenblicklich etwas ermattet sind. Es braucht eben einen zeitlosen Dynamo wie Franz Graf von Pocci, der eingeschlafene, verstaubte und abgekühlte menschliche Kommunikationsparameter wieder innovativ belebt. Was sonst könnte man sich an Überraschungen an einem Herbsttag noch wünschen als wenn wir Gedanken an unsere Kostbarkeiten und unschätzbaren Werte in Bayern wieder Flügel verleihen und die vitalisierenden Lebensessenzen deutlich spüren – dank Franz Graf von Pocci, seinem Können und Wissen, seiner Originalität und der Pocci – Gesellschaft, die sich mit ihren Förderern so um das wegweisende Erbe von Pocci bemüht. Und wer bei der Vernissage nicht dabei war, bleibt nicht außen vor: Der Kurzfilm „Franz Graf von Pocci im Visier“, produziert von OMNIS TERRA MEDIA GmbH, ist auf einem Hightech-Bildschirm eine gute Einführung zur sehr sehenswerten Pocci – Ausstellung im Kloster Seeon.
Der eine sucht Trüffel, die andere Pilze, wer Antworten auf Fragen des Lebens sucht, der findet so manche fantasievolle Definition und Erklärung bei Pocci. Warum also nicht Mitglied in der Franz Graf von Pocci – Gesellschaft werden? Als Zeichner, Dramatiker, Dichter und Komponist hat Pocci viel Spannendes zu bieten für alle, die neugierig auf heimatliche Erkundigungen sind und über den Namensgeber der Münchner Pocci Strasse mehr wissen wollen. Themen in Hülle und Fülle für Plug-In-Detektive. Erwachsene wie Kinder. Dank sei hier auch der Rosenheimer Verkehrsgesellschaft, die Forschungsreisen wie diese Fahrt zur Ausstellung ins Kloster Seeon – abseits von den Hauptrouten – überhaupt ermöglicht. Aber dies herauszubekommen, braucht eine Schnüffelnase à la Pocci. Näheres siehe auch www.grafpocci-gesellschaft.de und www.kloster-seeon.de