Auch wenn es EU-Spitzenpolitiker wie Donald Tusk anders träumen mögen – Großbritannien wird trotz aller Liebesschwüre den Brexit machen. Und das ist irgendwie auch gut so.
Er hatte einen Traum, der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk. „Unsere Herzen sind immer noch offen für Sie“, sagte der 60jährige Pole pathetisch im EU-Parlament in Straßburg. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterstützte das Liebeswerben um die Abtrünnigen: „Ich hätte nicht gerne, wenn dies in London überhört wird.“
Derart romantisches Säuseln des Brüsseler Führungsduos gegenüber der uncharmanten (sorry!) Premierministerin Teresa May und dem getürmten 65-Millionen-Inselvolk sind nicht neu. Dieses Mal allerdings waren die Liebesschwüre besonders aufmerksamkeitsstark. Denn sie waren präzise getimt: exakt zum Beginn der schwierigsten Phase in dem Scheidungsprozess zwischen dem Kontinent und der Nation nördlich des Ärmelkanals.
Die Herzoffensive ist aber nur Show. Zu gut weiß man in Brüssel, dass es kein Zurück in die alte Ehe von UK und EU geben kann. Großbritannien selbst hat signalisiert, dass es keine heimlichen Back-to-the-Union-Pläne habe.
Ein Brexit vom Breit wäre sowieso quasi unmöglich. Abgesehen von juristischen Hürden – unzählige Unternehmen und zahlreiche Institutionen haben den Brexit ja bereits vorweggenommen. Banken von Weltrang verließen fluchtartig ihren Sitz in London und siedelten sich auf dem Kontinent an. Zugleich sagten diverse EU-Agenturen dem Vereinigten Königreich bye-bye und mieteten sich mit ihren Hauptquartieren im EU-Kernland an. Fait accompli – vollendete Tatsache.
Außerdem wird wohl kaum jemand glauben, dass viele der 27 zurückgebliebenen EU-Nationen großen Wert darauf legen, die schon immer quengeligen Briten so, als sei nichts geschehen, wieder über die Schwelle zu lassen. Unvergessen ist, dass sie weniger Geld in die Gemeinschaftskasse zahlen als andere Mitglieder, seit Mays Vorgängerin Margaret Thatcher 1984 egoistisch giftete: „I want my money back!“ – „Ich will mein Geld zurück.“ Seitdem erhält das Land 66 Prozent seines Nettobeitrags an die EU zurück – eine fette, dicke Extrawurst.
Gut vor Augen haben wir auch die jahrzehntelangen britischen Blockaden gegen Initiativen wie eine europäische Sicherheitspolitik, weil London eine „special relationship“ mit den USA pflegt. Mehr noch: 10 Downing Street verschmähte den Euro, beteiligte sich nicht an der Grenzöffnung im Schengenraum und hielt sich vornehm aus wichtigen Bereichen der Innen- und Justizpolitik heraus. „Opt out“ heißt das, was das EU-Mitglied mit den meisten Sonderrechten praktizierte.
So ein Hickhack brauchen wir nicht mehr in Zeiten, in denen sich nun auch Polen, Ungarn und Andere selbstgerecht abkoppeln. Es kann doch niemand ernsthaft wollen, dass die inzwischen mit allerlei Projekten vorangeschrittene EU27 den roten Teppich für ein unbequemes Land ausbreiten wird, das dem Staatenbund vor der jetzt endgültig selbstgewählten Isolation manch‘ Kummer bereitet hat.
Dankbarkeit haben britische Regierungen aller Couleur dem Projekt Europa sowieso nie entgegengebracht. Dabei war Großbritannien 1973 beim EU-Eintritt der „sick man of Europe“, der „kranke Mann Europas“: abgewirtschaftet, technologisch abgehängt, verzopft. Das einst weltumspannende Empire zog zwar danach einen harten Modernisierungskurs durch – ja, aus eigener Kraft, aber es nutzte auch die Hilfe der EU-Institutionen, ihrer Fördertöpfe und der Chancen im europäischen Binnenmarkt.
Tusk hat bei anderer Gelegenheit den unvergessenen Ex-Beatle John Lennon und sein Friedenslied „Imagine“ („Stell‘ Dir vor“) bemüht, um seine Zuneigung zu den Briten zu dokumentieren. „You may say I’m a dreamer,“ sagte er 2017 in Anwesenheit Mays bei einem EU-Gipfeltreffen, „but I’m not the only one…“ („Sie mögen sagen, ich sei ein Träumer, aber ich bin nicht der einzige“).
Nett verpackt, der Antrag für eine Wiederheirat. Dennoch: ich glaube nicht daran, dass die EU dem UK den Trauring wieder über den Finger stecken wird, jedenfalls nicht bedingungslos. ?
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